Direktversicherung: doppelt abkassiert!

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Direktversicherung: doppelt abkassiert!

Betroffene wehren sich dagegen, dass sie bei der Auszahlung ihres Sparvertrags auf eine Kapitallebensversicherung Sozialbeiträge zahlen müssen. Doch ihre Aussichten sind schlecht.

Die Wut ebbt nicht ab. Keine anderen Beiträge auf handwerksblatt.de werden so oft kommentiert wie die zum Thema Direktversicherung. Empörte Betroffene klagen darüber, viel weniger Geld als geplant von ihrer Altersvorsorge übrig zu haben. Das Problem: Auf die ausgezahlte Versicherungssumme werden Beiträge für Krankenkasse und Pflegeversicherung fällig. Das Gesetz, das dafür verantwortlich ist, trat bereits 2004 in Kraft. Doch noch heute fallen Sparer aus allen Wolken, wenn ihre Beiträge ausgezahlt werden, denn sie werden zur Kasse gebeten, obwohl sie ihren Vertrag lange vor 2004 abgeschlossen haben. Zuletzt haben wir 2013 über das Thema berichtet, noch immer treffen fast täglich wütende Kommentare ein.

Der gelernte Fleischermeister Gerhard Kieseheuer hat als Verkaufsberater für eine Gewürzfirma gearbeitet. 1986 schloss er einen Sparvertrag auf eine Kapitallebensversicherung ab, weil er privat fürs Alter vorsorgen wollte. Der Versicherungsvertreter gab ihm den Tipp, seinen Chef darum zu bitten, das Geld direkt vom Gehalt zu überweisen, um Lohnsteuer zu sparen. Darauf ging der Arbeitgeber ein und war im Vertrag als Versicherungsnehmer eingetragen.

Kieseheuer fiel in Ohnmacht

Da seit 1983 auf Betriebsrenten Sozialabgaben gezahlt werden mussten, entschied sich Kieseheuer bewusst für eine Direktversicherung mit Kapitalauszahlung, erzählt er. Dann trat am 1. Januar 2004 das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in Kraft – und als Kieseheuer den Bescheid über die tatsächliche Summe aus seinem Sparvertrag bekommen hat, sei er "in Ohnmacht gefallen". Statt der vereinbarten 75.000 Euro waren es wegen der negativen Zinsentwicklung nur 55.000 Euro. Mit dem Geld, das er jetzt auch noch für die Sozialabgaben aufbringen sollte, blieben ihm knapp 45.000 Euro, sagt er. Einbezahlt hatte er 35.000 Euro. Damit hat er über die Jahre nur 10.000 Euro gewonnen.

Enttäuscht zog Kieseheuer vor Gericht. Sein Argument: "Ich habe eine Kapitalzahlung bekommen, das kann kein Versorgungsbezug sein wie eine monatliche Rente." Doch er verlor. Seit 2012 engagiert er sich deshalb bei der Interessengruppe GMG-Geschädigte. Damals machten nur etwa neun Betroffene mit, heute sind es 700. Die Mitglieder tauschen Informationen über Gerichtsurteile aus, schreiben Politiker an, wenden sich an die Presse, organisieren Mahnwachen und Demons­trationen.

Was haben sie seit 2013 erreicht? Briefe an Politiker wie Franz Müntefering oder Ulla Schmidt sind laut Kieseheuer entweder negativ oder gar nicht beantwortet worden. Im Rahmen einer Demonstration in Berlin hat die Gruppe Politiker verschiedener Parteien zu einem Forum eingeladen, gekommen sind nur wenige. Ministerialrat Detlef Parr von der FDP und der Bundestagsabgeordnete Mark Helfrich (CDU) zeigten Verständnis und versprachen, sich der Sache anzunehmen. Geschehen ist bislang jedoch nichts. Auch vor Gericht blieb der Erfolg aus. Rechtsanwälte würden mittlerweile nur abwinken, berichtet Kieseheuer, da das Bundesverfassungsgericht bereits in dem Fall entschieden habe – zu Ungunsten der Betroffenen.

Sven-Wulf Schöller, Fachanwalt für Versicherungsrecht, kann die Betroffenen verstehen. Er hält es für eine "verdeckte Enteignung und Eingriff in den Besitzstand von Bürgern, die man mit Versprechen, die man nicht hält, zur Eigenvorsorge animiert hat", dass das 2004 eingeführte Gesetz auch rückwirkend für alte Verträge gilt. Bei Einführung von Gesetzen gelte grundsätzlich ein Rückwirkungsverbot. "Aber bei Steuer- und Sozialabgaben hält sich keiner daran", so Schöller.

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Keine Hoffnung für die Betroffenen

Hoffnung kann er den Betroffenen keine machen. "Es ist eine politische Entscheidung. Die Politik will Geld in die Sozialkassen bekommen", sagt Schöller. Würde sie das Gesetz wieder ändern, müssten alle Beiträge zurückgezahlt werden, erklärt der Experte. Er glaubt nicht, dass das geschehen wird. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt in einer Stellungnahme, das Gesetz von 2004 schaffe "mehr Beitragsgerechtigkeit", weil seither auch die vor Renteneintritt einmalig gezahlten Leistungen, die vorher beitragsfrei gewesen sind, ebenso behandelt würden wie "laufende Versorgungsbezüge und Kapitalabfindungen". Alle "gelten als beitragspflichtige Versorgungsbezüge".

Trotz alledem will Gerhard Kieseheuer nicht klein beigeben: "Wir kämpfen für uns und für zukünftige Rentner, damit sie nicht in Altersarmut geraten." Seine Meinung: "Das Gesetz ist in Ordnung, nicht aber seine Auslegung. Auf Betriebsrenten sollen weiter Sozialabgaben gezahlt werden, nicht aber auf Kapitallebensversicherungen und Sparverträge. Sie sind vom Gesetz her sozialabgabenfrei." Kieseheuer will jetzt mit anderen Betroffenen zusammen einen Verein gründen, um seine Interessen besser durchsetzen zu können..

Bis zum 31. Dezember 2003 waren keine Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen, wenn eine nicht wiederkehrende Leistung (Kapitalabfindung) vor dem Renteneintritt gewährt wurde. Laufende Versorgungsbezüge und Kapitalabfindungen nach Renteneintritt waren dagegen schon zuvor beitragspflichtig.

Seit dem 1. Januar 2004 gelten als beitragspflichtige Versorgungsbezüge also auch Kapitalabfindungen, die vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden sind. Die zum Jahresbeginn 2004 in Kraft getretene Regelung schafft daher mehr Beitragsgerechtigkeit, weil seitdem nicht mehr der (wählbare) Auszahlungszeitpunkt das Kriterium für die Beitragspflicht einer Leistung ist.

Text: / handwerksblatt.de