Vordenker und Vorkämpfer im Handwer

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Vordenker und Vorkämpfer im Handwerk

Vordenker und Vorkämpfer sind eine Minderheit – immer und überall. Aber sie sind wichtig. Das Deutsche Handwerksblatt ist auf der Internationalen Handwerksmesse drei solcher Menschen begegnet.

Sie kommen, um sich zu informieren. Sie kommen, um von anderen Handwerksbetrieben zu lernen. Sie kommen, um Innovationen zu sehen. Sie kommen, weil sie erfahren wollen, was die Digitalisierung für das Handwerk bringt. Sie kommen, weil sie kaufen oder verkaufen wollen. Und sie kommen in Massen: Rund 126.000 Besucher haben sich in diesem Jahr auf den Weg nach München gemacht, um die Internationale Handwerksmesse (IHM) zu besuchen. Es gab Premieren auf dieser IHM: Zum Beispiel die erste Fachtagung der Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH). Und es gab Publikumsmagnete – zum Beispiel die Stände von Handwerksbetriebe, die als sogenannte Vorzeigeunternehmen gelten.

An den Ständen, in den Foren und nach den Vorträgen gab es Gespräche, zum Teil sehr intensive Gespräche. Zum Beispiel mit Handwerkern, die sich nicht nur mit der Entwicklung ihres eigenen Betriebs beschäftigen – so wie die Inhaber der Tischlereien Bächer Bergmann und Dickmänken. Und es gab den Blick von außen auf das Handwerk – zum Beispiel durch die Trendforscherin Dr. Monique R. Siegel bei der UFH-Fachtagung. Was kann das Handwerk von ihnen lernen? Das DHB hat mit ihnen gesprochen: über das Handwerk, die Frauen und die Zukunft.

"Miss Handwerk" – ein Paradebeispiel für den weiblichen Nachwuchs

Dr. Monique R. Siegel ist Mitglied im Club der Querdenker, nennt sich Zukunftsforscherin und wenn sie die Bühne betritt, dürfte der ein oder andere überrascht sein, dass eine grauhaarige Dame ans Rednerpult tritt. Das Erstaunen hält nicht lange an, Dr. Monique R. Siegel braucht nur wenige Minuten, um ihr Publikum davon zu überzeugen, dass Vordenken keine Altersfrage ist. Auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) haben die Unternehmerfrauen im Handwerk für ihre erste IHM-Fachtagung die renommierte Wirtschaftsethikerin eingeladen, die sich schon lange mit dem Thema Frauen in der Wirtschaft beschäftigt. Siegel war auch hier ihrer Zeit voraus, bereits 1985 veranstaltete sie in Zürich das erste Management-Symposium für Frauen.

Zum Thema Handwerk habe sie noch nie gesprochen, vertraut sie ihren rund 130 Zuhörerinnen in München gleich zu Beginn an, aber der Wirtschaftszweig ist ihr überaus sympathisch, vernetze er doch wie kein anderer Kopf, Herz und Hand. Sie zitiert als Beleg den US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett: "Handwerkliches Können hält zwei emotionale Belohnungen für den Erwerb von Fähigkeiten bereit: Verankerung in der greifbaren Realität und Stolz auf die eigene Arbeit." Und Stolz auf die eigene Arbeit sei heute selten geworden, betont die Trendforscherin: "Denken Sie nur an das Management – da ist in puncto Stolz nicht viel zu holen."

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Junge Frauen überholen ihre männlichen Zeitgenossen

Handwerker können stolz auf ihre Arbeit sein, betont die Wirtschaftsethikerin Monique R. Siegel (Foto: © www.christianjaeggi.com) Handwerker können stolz auf ihre Arbeit sein, betont die Wirtschaftsethikerin Monique R. Siegel (Foto: © www.christianjaeggi.com)

Doch ihr Kernthema ist eben jenes "Female Shift". Dieser "Mega-Trend" bedeute, dass "weltweit die junge Generation von Frauen ihre männlichen Zeitgenossen in Bezug auf Bildung hinter sich gelassen hat. Keine Generation von Frauen war bisher so hoch qualifiziert, engagiert und ambitioniert." Dadurch sei eine langsame, aber unumkehrbare Verlagerung von Kompetenzen, Entscheidungsfunktionen und Verantwortung von den Männern zu den Frauen in Gang gesetzt worden, betont die Wirtschaftsethikerin. Dabei verliert Monique R. Siegel die Praxis nicht aus dem Auge. Sei es beim wirtschaftlichen Erfolg ("Gemischte Führungsteams sind profitabler"), sei es beim Fachkräftemangel ("Wir haben nicht genügend junge Männer, um alle Jobs zu besetzen"), sei es beim Marketing ("80 Prozent der Ausgaben für Konsumgüter werden weltweit von Frauen bestimmt"). Deshalb sollten gerade im Handwerk Frauen gefördert werden, sowohl von den Unternehmerfrauen im Handwerk als auch von Handwerkskammern und Verbänden, fordert die Publizistin.

Ihre Zukunftshoffnung setzt Siegel auf die sogenannten Millennials, also die nach 1980 Geborenen: "Sie haben ein anderes Geschlechterverhältnis und denken nicht mehr so stark in der Kategorie Mann oder Frau." Ein Paradebeispiel dafür präsentiert sie am Ende ihres Vortrags. Sie zeigt einen kurzen Filmabschnitt, den sie zufällig im TV gesehen hat: Es ist der ZDF-Beitrag in der Sendung "Hallo Deutschland". Porträtiert wird die Steinmetzin und Maurerin Helena Reppin. Sie wurde aktuell auf der IHM beim Wettbewerb des Deutschen Handwerksblatts zur "Miss Handwerk" gekürt ...

Das Handwerk muss sich digital aufstellen, um zukunftsfähig zu werden

Auf der Messe erstellten Sebastian Bächer (r.) und Georg Bergmann mit ihrem Lasercutter Straßenkarten auf Holzpostkarten (Foto: © Mark Hammans) Auf der Messe erstellten Sebastian Bächer (r.) und Georg Bergmann mit ihrem Lasercutter Straßenkarten auf Holzpostkarten (Foto: © Mark Hammans)

Sebastian Bächer steht häufig im Mittelpunkt, doch die Aufmerksamkeit ist dem 34-Jährigen selbst nicht ganz geheuer. Doch Sebastian Bächer und sein Kompagnon Bergmann sind im Moment DIE Vorzeigeunternehmer im Handwerk. Bächer steht bei der Eröffnung der IHM direkt bei Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries, mit der er schon gefrühstückt hat, als sie noch Staatssekretärin war. Sie besucht natürlich seinen Stand auf der IHM, begleitet von ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. Ach was, er hat natürlich nicht nur einen Stand auf der Handwerksmesse, der Kölner Tischlerbetrieb Bächer Bergmann ist gleich doppelt in München vertreten: Auf der Themenfläche "Fokus. Made in Germany", wo ausgewählte Aussteller ihre Produkte und Dienstleistungen zeigen und auf dem Gemeinschaftsstand des Bundeswirtschaftsministeriums zur "Digitalisierung im Handwerk".

Ach ja, Vorträge hat der junge Tischlermeister auf der IHM auch noch gehalten. Worüber? Natürlich über die Digitalisierung, denn die Aufmerksamkeit für den Betrieb ist zu großen Teil dem Trend Handwerk 4.0 geschuldet. Es dürfte nur wenige Tischlereien, vermutlich nur wenige Handwerksbetriebe überhaupt in Deutschland geben, die so gut digital aufgestellt sind, wie Bächer Bergmann mit ihren elf Mitarbeitern. Das stößt übrigens auf großes Interesse bei den Fachbesuchern auf der IHM, berichtet der Unternehmer: "Viele Handwerker haben sich mit großen Augen zeigen lassen, wie wir arbeiten, es gab da eine große Neugier."

"Handwerk muss sich digital aufstellen"

Bächer ist das, was man früher einen Computerfreak nannte, doch was er zu sagen hat, geht weit darüber hinaus. Ihn beschäftigt, was im Handwerk passiert, er beobachtet, dass viele Handwerker vor allem ihr Handwerk betreiben und sich nicht mit der Betriebsführung geschweige denn mit der Digitalisierung befassen wollen. Aber: "Das Handwerk – vor allem das produzierende Gewerbe – muss sich digital aufstellen, damit es möglichst effizient arbeiten kann", betont der Handwerksmeister und nennt als Beispiel die CNC- oder Kantenmaschinen. Die kosteten locker zwischen 50.000 und 100.000 Euro, laufen in einer normalen Tischlerei aber bestenfalls 40 Stunden in der Woche – obwohl doch 168 Stunden möglich wären. Handwerker sollten Netzwerke aufbauen, interessant wären doch Genossenschaftsmodelle, meint der junge Vordenker, ja sie müssten sich zusammenschließen, "damit sie sich wieder aufs Handwerk konzentrieren und der Industrie Paroli bieten könnten".

Und auch wenn in seinem Betrieb ganz selbstverständlich mit 3D-Druckern, Robotorarm, einem siebenachsige Kuka-Roboter und seit kurzem auch mit Virtual-Reality-Brillen gearbeitet wird – es ist nicht die Digitalisierung allein, die Sebastian Bächer und sein Kompagnon vorantreiben wollen: "Wir müssen alle Prozesse in den Gewerken überdenken und wirtschaftlich organisieren!"

Die Fensterbauer sind ein Vorbild bei der Prozessoptimierung

Klaus Dickmänken - hier mit Barbara Wewel, zuständig für die Beratung und Auftragsbearbeitung - macht sich Gedanken, wie das Handwerk in Zukunft auf dem Markt bestehen kann (Foto: © Peter Lessmann) Klaus Dickmänken - hier mit Barbara Wewel, zuständig für die Beratung und Auftragsbearbeitung - macht sich Gedanken, wie das Handwerk in Zukunft auf dem Markt bestehen kann (Foto: © Peter Lessmann)

Klaus Dickmänken ist dafür der lebende Beweis, dass Vordenken keine Altersfrage ist. Der 52-Jährige bezeichnet sich als ein "Spätberufener" im Handwerk, weil er erst mit 36 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder die Geschäftsführung des Tischlerbetriebs übernahm, den ihr Großvater vor 90 Jahren gegründet hat. Vielleicht sieht Dickmänken manche Gewohnheiten und Schwächen im Handwerk etwas leichter, weil er kein Handwerker ist, den kritischen Blick des Externen hat. Natürlich kann die Tischlerei nicht auf das meisterliche Fachwissen verzichten, das bringt sein Bruder in den Betrieb ein.

Stefan Dickmänken ist Tischlermeister, Klaus Dickmänken studierter Betriebswirt und gelernter Banker und diese Kombination funktioniert offensichtlich. So bietet die Tischlerei aus Rheine mit ihren 38 Mitarbeitern bietet mit "Schrankwerk" einen der größten Onlineshops im Handwerk. Mit Hilfe eines 3D-Konfigurators können dort Kunden am Rechner zu Hause ihre Möbel ganz nach eigenen Vorstellungen erstellen, die dann in der Werkstatt individuell angefertigt werden. Grund genug für die IHM, "Schrankwerk" als Vorzeigeunternehmen einzuladen, damit sich der Betrieb auf der Themenfläche "Fokus. Made in Germany" präsentieren kann.

"Schritt für Schritt alle Prozesse digitalisieren"

Auch Dickmänken ist ein Vorreiter bei der Digitalisierung, dazu gehört weit mehr als nur ein großer Online-Shop: "Wir wollen Schritt für Schritt alle Prozesse digitalisieren." Er braucht nicht nur die teuren Maschinen für die Tischlerei, sondern auch die IT, also Aufwand und Kosten für die Programmierung. Doch es lohnt sich, meint der Unternehmer. "Für die herkömmliche Abwicklung eines Auftrages haben wir früher dreimal so lange gebraucht wie heute." Aber er weiß auch, dass er schneller sein muss als andere Handwerker, weil Digitalisierung Geld kostet. Doch Dickmänken will mehr, will sich ständig weiterentwickeln. Derzeit investiert das Unternehmen alle Gewinne aus dem Onlineshop in die technische Weiterentwicklung und das Marketing.

Auch er macht sich intensiv Gedanken, wie das Handwerk in Zukunft auf dem Markt bestehen kann und macht ähnliche Beobachtungen wie Bächer: "Handwerker wollen oft nur ihr Handwerk machen, aber keine Prozesse entwickeln und optimieren." Das Handwerk könne viel von den Fensterbauern lernen, "die haben ihre Prozesse schon vor vielen Jahren optimiert". Größte Aufgabe sei es aber, vom Kunden her zu denken, betont der Geschäftsführer: "Das ist übrigens die größte Herausforderung bei der Digitalisierung."

Text: / handwerksblatt.de

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