Eine Softorthese soll den Rücken schonen.

ErgoJack Exo mit Federbügeln am Oberkörper und arretierbaren Federbügeln an den Beinen: Die Federbügel geben dem Mitarbeiter beim Heben schwerer Lasten eine Kraftunterstützung. (Foto: © Fraunhofer IPK / Armin Okulla)

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Softorthese meldet ungesunde Bewegung

Von Rückenbeschwerden durch falsche Belastung des Bewegungsapparates werden Handwerker oft geplagt. Eine Fraunhofer-Entwicklung könnte Abhilfe schaffen.

Stundenlang steht ein Schweißer gebückt über einem Anlagenbauteil – Rückenschmerzen sind bei dieser Zwangshaltung vorprogrammiert. Schlimmer noch: Übt ein Handwerker eine solche Tätigkeit über Jahre hinweg aus, ohne auf eine ergonomische Körperhaltung zu achten, sind dauerhafte Schädigungen wie ein vorzeitiger Rückenverschleiß keine Seltenheit. Dies gilt auch für Handwerker, die ständig schwere Gegenstände heben müssen. Und das ist vor allem auf Baustellen an der Tagesordnung.

Mit ErgoJack haben Forscherinnen und Forscher der Berliner Fraunhofer-Institute für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK und für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM eine intelligente Softorthese – ein Hilfsmittel für den Bewegungsapparat – entwickelt, die den Rücken entlastet und Arbeitende animiert, belastende Bewegungsabläufe ergonomisch auszuführen. Mit dem modularen System, das am Körper getragen wird, wollen die Forscherteams das Risiko mindern, dass eine Arbeitskraft am Bewegungsapparat erkrankt.

Bewegungsanalyse in ­Echtzeit

"Alleinstellungsmerkmal unserer Oberkörperorthese ist eine Echtzeit-Bewegungsanalyse. Eigens entwickelte Sensoren und Embedded Control Algorithmen, die auf Künstlicher Intelligenz basieren und in die Orthese integriert werden, ermöglichen die Ergonomieanalyse", erklärt Dipl.-Ing. Henning Schmidt, Wissenschaftler am Fraunhofer IPK, die Innovation. Dadurch unterscheide sich die Orthese von handelsüblichen Exoskeletten, also Stützrobotern, die prinzipbedingt alle – auch unergonomische Bewegungen – einfach nur kraftunterstützen und lediglich die Belastungskräfte des Trägers aus überlasteten in weniger belastete Körperareale umleiten. "Die Bewegungsanalyse der IPK-Orthese hingegen erkennt mit speziellen Algorithmen ergonomische und unergonomische Bewegungen. Per Vibrationsalarm erhält der Träger in Echtzeit Feedback, wenn er Haltungen einnimmt oder Bewegungen ausführt, die gesundheitsschädlich sind."

ErgoJack Exo: In die Federbügel, die Bewegungen kraftunterstützen, sind Bewegungssensoren inte­griert, die Haltungen und Bewegungen messen. Am Rücken ist das ­Aus­wertungs- und Feedbackmodul zu sehen, das die Sensordaten analysiert und in Echtzeit ­gesunde von ungesunden Bewegungen ­unterscheidet. Foto: © Fraunhofer IPKErgoJack Exo: In die Federbügel, die Bewegungen kraftunterstützen, sind Bewegungssensoren inte­griert, die Haltungen und Bewegungen messen. Am Rücken ist das ­Aus­wertungs- und Feedbackmodul zu sehen, das die Sensordaten analysiert und in Echtzeit ­gesunde von ungesunden Bewegungen ­unterscheidet. Foto: © Fraunhofer IPK

Der Trick: Die in die Weste integrierte Bewegungssensordatenanalyse gleicht vorgelernte Bewegungsmuster mit der tatsächlich ausgeführten Bewegung ab und wertet sie in Echtzeit aus. Dieser Vorgang dauert wenige hundert Millisekunden. Die winzigen Sensoren befinden sich an den Schultern, dem Rücken und den Oberschenkeln. Neben den Bewegungssensoren sind eine robuste, miniaturisierte Elektronik sowie ein Vibrationsmodul und ein Akku in die Orthese integriert. "All diese Elemente wiegen nur wenige Hundert Gramm", betont Schmidt, "so dass unsere Softorthese beim Arbeiten nie stört."

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Künstliche Intelligenz eingebaut

Für die Entwicklung der miniaturisierten elektronischen Bauteile zeichnet das Fraunhofer IZM verantwortlich, während das Design des Systemlayouts, der Mensch-System-Schnittstelle, der Mechanik, der Elektronik und Software einschließlich des Echtzeitalgorithmus mit maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz am Fraunhofer IPK erfolgt. Die Datenverarbeitung läuft direkt auf der Weste.


"Die Echtzeitalgorithmik erfordert aufwendige Berechnungen und erreicht eine sehr hohe Robustheit, dennoch kommt der Anlernprozess der Arbeitskräfte mit einem sehr kleinen Bewegungstrainingsdatensatz aus", beschreibt Schmidt eine weitere Besonderheit des Systems. Derzeit arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM daran, die Elektronik und die Sensorik der Textilversion der Orthese so zu verkapseln, dass sie waschbar sind und nicht immer aus der Weste entnommen werden müssen.

Verschiedene Ausführungen

Kunden können künftig zwischen einer rein sensorischen Textilweste und einer Variante mit Kraftunterstützung wählen. Da werden Sensorik und Auswerteeinheit in einem sogenannten Exoskelett untergebracht, das anstrengende und belastende Bewegungen mit Federmechanismen oder sogar mit einem Motor unterstützt. Eine weitere aktuelle Systemvariante mit Rücken- und Hüftunterstützung wurde mit einer minimal nötigen Orthesenbügel-Auflagefläche am Körper konzipiert. Durch ein arretierbares seitliches Hüftgelenk an der Weste lässt sich die Kraftübertragung vom Rücken in die Beine ein- und ausschalten. Dieser Mechanismus ermöglicht wechselnde Tätigkeiten im Stehen und Sitzen.

ErgoJack eignet sich für den Einsatz in vielen unterschiedlichen Branchen. Sowohl Logistiker als auch Produktionsmitarbeiter, die schwere Pakete von Paletten heben müssen oder sich bei Schweißprozessen über Stunden hinweg in einer Zwangshaltung befinden, profitieren davon, wie erfolgreiche Pilottests in der Automobilindus-trie gezeigt haben. "Das Handwerk möchten wir als Zielgruppe besonders ansprechen", verspricht Schmidt. "In handwerklichen Berufen, vor allem in den Baugewerken, könnte unsere Innovation Krankheiten am Bewegungsapparat verhindern helfen."

Prototyp auf der Hannovermesse 2019

Die Forscherinnen und Forscher der beiden Fraunhofer-Institute präsentierten einen Prototypen vom ErgoJack auf der diesjährigen Hannover Messe. Derzeit laufen zudem Gespräche mit Produzenten, um die Softorthese demnächst auf den Markt zu bringen.

Text: / handwerksblatt.de

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