Die baden-württembergische Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann war 2017 Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Ihre Amtszeit stand unter dem Themenschwerpunkt berufliche Bildung; Foto: © Martin Stollberg

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Berlin ist nicht die Antwort auf alle Bildungsfragen

Dr. Susanne Eisenmann zieht mit uns ein Fazit ihrer einjährigen KMK-Präsidentschaft. Eine ihrer zentralen Thesen: Die Abschaffung des Bildungsföderalismus bringt Deutschland nicht voran.

DHB: Die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK) stand zuletzt 1997 unter dem Schwerpunkt berufliche Bildung. Das sagt eine Menge aus, oder?

Eisenmann: Es war überfällig, die berufliche Bildung wieder einmal in den Fokus zu nehmen. Deshalb haben die anderen fünfzehn Bundesländer unseren Vorschlag gerne angenommen.

DHB: Warum ist Ihnen die berufliche Bildung so wichtig?

Eisenmann: Die akademische und die berufliche Bildung sind in Deutschland absolut gleichwertig. Doch die Wahrnehmung der Eltern und ihrer Kinder hat sich verschoben. Sie streben zum Gymnasium und zum Hochschulstudium. Der Drang zur Akademisierung ist in vielen Köpfen mit gesellschaftlichem und finanziellem Aufstieg verbunden. Aber dass der promovierte Kulturwissenschaftler grundsätzlich stärker auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt wird und generell mehr verdient als ein Schreinermeister, muss man mir erst noch beweisen. Deshalb war und ist es der KMK wichtig, ein klares Bekenntnis zur Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung, ihrer Vielfalt und Qualität abzugeben.

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DHB: Dass sie im vergangenen Jahr zentrales Thema der KMK-Präsidentschaft war, hat man meiner Meinung nach nicht unbedingt gemerkt.

Eisenmann: (lacht) Vielleicht waren Sie nur nicht aufmerksam genug. Wir hatten etwa im Mai einen viel beachteten Kongress. Dort haben wir uns damit beschäftigt, wo wir in der beruflichen Bildung stehen und wo wir hinwollen. Wir haben uns mit der Integration von jungen Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt und der Digitalisierung befasst. Es gab ein Gespräch mit dem Bundespräsidenten, dem die berufliche Bildung sehr am Herzen liegt. Wir haben mit den Spitzen von Gewerkschaften und Arbeitgebern diskutiert. Am Ende meiner einjährigen Amtszeit als KMK-Präsidentin standen der Beschluss "Berufliche Schulen 4.0" und die Verabschiedung der Umsetzungsstrategie "Berufliche Bildung in Deutschland". Sie sehen: Die Kultusministerkonferenz hat vieles angestoßen und wird versuchen, dies auch zu verwirklichen.

DHB: Lassen Sie es mich anders formulieren: Gerade weil die Berufsbildung nach so langer Zeit wieder einmal Schwerpunktthema der KMK war, hätte sie mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient gehabt.

Eisenmann: Da stimme ich Ihnen zu. Quer durch die Republik machen alle Akteure in der beruflichen Bildung einen exzellenten Job. Sie leisten viel und klagen wenig. Das macht sie sympathisch. Aber man läuft damit eben auch Gefahr, kaum wahrgenommen zu werden. Die "Beruflichen" müssten viel selbstbewusster auf Probleme und Herausforderungen hinweisen.

DHB: Ein bisschen konnten Sie das Ego der beruflichen Bildung innerhalb der KMK ja schon stärken.

Eisenmann: Richtig. Zu Beginn meiner Präsidentschaft wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Themen der beruflichen Bildung dem Schulausschuss untergeordnet sind. Das haben wir endlich geändert. Beide sind nun Hauptausschüsse. Nun kann man einwenden: Na ja, das ist doch nur ein Verwaltungsakt! Stimmt, aber es ist eben auch ein politisches und psychologisches Signal. Es verdeutlicht, dass die berufliche und die allgemeine Bildung gleichwertig nebeneinanderstehen. Außerdem wird sich durch diese Aufwertung der Druck, in die KMK hineinwirken zu können, spürbar erhöhen.

DHB: Wo sehen Sie in den kommenden Jahren noch Handlungsbedarf?

Eisenmann: Wir dürfen nicht nachlassen, weiterhin die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung zu kommunizieren. Dann müssen wir an allen Schulformen in ganz Deutschland die Berufsorientierung noch stärker verankern. Ein anderes, großes Thema ist, die Ausbildung kontinuierlich den technischen Entwicklungen anzupassen. Stichworte Digitalisierung und Automatisierung. In Baden-Württemberg haben wir die viel beachteten Lernfabriken 4.0 geschaffen. Derzeit lernen die jungen Menschen an 16 Standorten, an denen knapp 30 berufsbildende Schulen kooperieren, in Laboren mit Automatisierungsstraßen, die sie auch aus ihrem Betrieb kennen.

DHB: All dies kostet viel Geld. Geld, das der Bund hat, einige Bundesländer aber nicht. Als Patentrezept wird vorgeschlagen, das Kooperationsverbot aufzuheben. Sollte es komplett fallen?

Eisenmann: Nein! Mir erschließt sich nicht, was mit der Abschaffung des Bildungsföderalismus erreicht werden soll. Geht alles schneller und besser, wenn es aus Berlin kommt? Im Oktober 2016 hat Bundesbildungsministerin Johanna Wanka fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung an den Schulen zugesagt. Im Sommer 2017 haben wir uns mit dem Bund über die rechtlichen Modalitäten verständigt. Seitdem ruht der See! Man kann diesem schlechten Beispiel aber auch etwas Positives abgewinnen. Es zeigt, dass Bund und Länder sehr wohl gemeinsam finanzieren können. Auch das Grundgesetz kennt im Übrigen kein "Kooperationsverbot". Dieser Begriff ist in einem föderalen Staat ohnehin unsinnig.

Dass die gemeinsame Finanzierung und Zusammenarbeit funktioniert, sehen wir auch bei der Förderung von Hochbegabten. Sie umfasst übrigens nicht nur die klassische Hochbegabung, sondern auch die handwerkliche. Das Konzept haben wir vor zwei Jahren zusammen mit dem Bund in der KMK beschlossen. Nun sind die Schulen ausgewählt. Die Mittel fließen. Wir setzen das Konzept um.

Ok, natürlich kann man sagen: Das hat aber lange gedauert! Daran müssen wir arbeiten. Auch die Kultusministerkonferenz muss sich weiterentwickeln, muss schneller werden und konkreter umsetzen. Aber Standards im allgemeinbildenden Bereich und bei der Vergleichbarkeit zwischen den Ländern lassen sich auch im Rahmen eines Länderstaatsvertrags regeln. Die Bundesländer sind dazu befugt, weil die Bildungshoheit qua Grundgesetz bei ihnen liegt. Dazu brauchen wir auch keinen Nationalen Bildungsrat.

Das föderale System lebt von den regionalen Besonderheiten und davon, dass die Länder voneinander lernen können. Dieser positiv belegte Wettbewerb zwischen den Bundesländern ist für die Bildung aus meiner Sicht existenziell. In Baden-Württemberg haben wir ein starkes System von beruflichen Gymnasien. Seit vielen Jahren legen bei uns gut 35 Prozent der jungen Menschen auf hohem Niveau dort ihr Abitur ab. Das gibt es in den anderen Bundesländern nicht. Soll künftig Berlin entscheiden: Entweder ihr macht es alle oder ihr müsst es abschaffen? Ich kann nicht erkennen, was besser werden würde, wenn ein Bundesbildungsminister oder eine Bundesbildungsministerin für 40.000 Schulen in ganz Deutschland zuständig wäre. Meine Befürchtung ist, dass sich das Niveau eher nach unten nivellieren wird.

DHB: In Baden-Württemberg haben Sie ein eigenes Fach geschaffen, das sich unter anderem mit Fragen der Berufs- und Studienwahl auseinandersetzt.

Eisenmann: Seit dem Schuljahr 2017/2018 gibt es bei uns Unterricht in "Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS)". Etwas Ähnliches haben zwar auch andere Bundesländer. Aber während es dort in der Regel nur als Ergänzungsfach angeboten wird, ist WBS in Baden-Württemberg an allen allgemeinbildenden Schulen verpflichtend. Den Bildungsplan dafür haben wir im Rahmen eines sehr aufwendigen Prozesses unter Einbindung aller relevanten Gruppen, darunter der Wirtschaft und der Gewerkschaften, entwickelt.

Grundsätzlich geht es im Fach WBS darum, den Schülern ökonomisches Basiswissen zu vermitteln. Folgende Fragen werden behandelt: Was bedeutet Tarifautonomie? Welche Steuern gibt es? Welche Konsequenzen hat die Leitzinssenkung der EZB? Warum müssen Ressourcen nachhaltig eingesetzt werden? Bei der Berufs- und Studienorientierung beschäftigen sich die Schüler damit, welche Berufe und Studienfächer es gibt und wie die Zugangsvoraussetzungen aussehen. Diese ganze Bandbreite vermitteln die Lehrkräfte neutral, alters- und schulartengerecht ab der siebten Klasse bis zur Prüfungsphase.

Ergänzend dazu habe ich in Baden-Württemberg eingeführt, dass an jeder weiterführenden Schule in der achten Jahrgangsstufe ein "Tag der beruflichen Orientierung" stattfinden muss. Dabei können sich Eltern, Schüler und Lehrer in den umliegenden Betrieben informieren, welche Berufsfelder es gibt und welche beruflichen Perspektiven sich ihnen bieten.

In allen Bundesländern haben wir an allen Schulformen bestimmte Praktikumszeiten. Da werden wir uns auch in der Kultusministerkonferenz fragen müssen, ob sie für die berufliche Orientierung ausreichen oder ob wir sie ausweiten müssen.

DHB: Was verbirgt sich hinter dem Konzept der "Lernfabriken 4.0"?

Eisenmann: Das ist eine Ausbildung mit einem Höchstmaß an Realität. Über die Lernfabriken bringen wir die betrieblichen, in erster Linie industriellen Automatisierungsprozesse in die berufsbildenden Schulen hinein. An den Maschinen können die einzelnen Schritte aufgegliedert werden. Die Auszubildenden lernen damit sehr direkt, was es beispielsweise heißt, wenn sie bei der Programmierung einen Fehler machen. Sie werden somit zu den hochtechnologisierten Prozessen hingeführt, die im Wirtschaftsland Baden-Württemberg gefragt sind. Zurzeit haben wir 16 Standorte. Finanziert werden sie vom Land, von den Kommunen und den Betrieben vor Ort. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium wollen wir noch weitere berufliche Schulen als Lernfabriken aufbauen.

DHB: Einer der Punkte im KMK-Beschluss "Berufliche Schulen 4.0" ist, dass das Fachklassenprinzip mit Blick auf die demografische Entwicklung überprüft bzw. angepasst werden soll. Was heißt das konkret?

Eisenmann: Um pädagogische Konzepte umzusetzen und eine berechenbare Lehrerversorgung gewährleisten zu können, benötigt man eine gewisse Klassengröße. In Baden-Württemberg liegt diese bei mindestens 16 Schülern. Wird dieser Wert unterschritten, müssten wir die Klasse eigentlich auflösen. Nun haben wir aber Berufe, die sehr wichtig für den regionalen Wirtschaftsstandort sind, bei denen die Nachfrage aber relativ gering ist. Um die Ausbildung dennoch ortsnah zu ermöglichen und den Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, schauen wir nun, ob dieser Standort zukunftsfähig ist. Sofern die Betriebe in diesen Berufen künftig einen Bedarf haben und nicht für die Arbeitslosigkeit ausbilden, genehmigen wir auch Klassen mit elf oder zwölf Schülern. Das machen wir im Rahmen der regionalen Schulentwicklung. Wie klein zu klein ist, muss jedoch jedes Bundesland mit Blick auf das pädagogische Konzept und die Ressourcen selbst entscheiden. Fest steht, dass wir künftig nicht mehr mit starren Klassengrößen arbeiten können. In der KMK haben wir dazu Handlungsempfehlungen definiert. Diese werden wir weiter konkretisieren und schrittweise umsetzen.

Neben der Kleinklassenthematik haben wir in der KMK in einem zweiten Schritt über die Schwerpunktbildung gesprochen. Die Länder müssen sich anschauen, wie man Berufsschulstandorte stärkt und so zusammenführt, dass die Auszubildenden sie in zumutbarer Zeit erreichen können. Wo dies nicht gelingt, zahlt etwa das Land Baden-Württemberg die Kosten für die Internatsunterbringung.

DHB: Dass Sie den Zuschuss von sechs auf derzeit 37 Euro pro Tag erhöhen mussten, ist aber erst auf Druck des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim geschehen.

Eisenmann: Manchmal ist es notwendig, rechtliche Klarheit zu bekommen. Das Urteil vom Juni 2016 haben wir sofort akzeptiert. Wir sind verpflichtet, die Kosten zu übernehmen – und das machen wir auch.

Das Interview führte Bernd Lorenz.

Foto: © Martin Stollberg

Text: / handwerksblatt.de

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