Angeregte Diskussion zu "Wirtschaft 4.0: Strukturbruch oder Chance auf gute Arbeit" auf dem Katholikentag in Münster (hinten v.l.): Heinz Jürgens (Jüke Systemtechnik), Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser (BiBB), Geschäftsführer Thomas Harten (HWK Münster), Fachbereichskoordinatorin Digital- und Printmedien Annette Dirks (HWK) und Moderator Carsten Schröder (FH Münster) (Foto: © Peter Leßmann)

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Neue Landlust und Wirtschaft 4.0

Raum für Austausch und Diskussionen zur Zukunft des Arbeitens auf dem Land und zur Gestaltung von Arbeitsplätzen durch und mithilfe der Digitalisierung bot die HWK Münster auf dem Katholikentag.

"Stadtluft schafft Landlust." Diese Prognose der Trendforschung laut Zukunftsreport 2018 brachte Hildegard Kuhlmann von der Landwirtschaftskammer NRW rund 150 Teilnehmern am Katholikentag in Münster als Diskussionsimpuls ein. Zum Podium "Wider die Landflucht" hatten sich Landwirte, Landfrauen, Handwerker, Städter und Dorfbewohner, junge Erwachsene ebenso wie Ruheständler in einem Hörsaal der Universität eingefunden. Städte verlören an Attraktivität, war sich Kuhlmann sicher, und die Digitalisierung beflügele dies – Dorf-App und Homeoffice erleichterten das Ankommen und Leben in dünner besiedelten Gegenden.

Hälfte aller Betriebe und Beschäftigten des Handwerks im ländlichen Raum 

Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, unterstrich, dass die Hälfte aller Betriebe und Beschäftigten des Handwerks im ländlichen Raum angesiedelt seien. Nukleus der Zukunftssicherung sei das Verhindern der Abwanderung von Jugendlichen nach der Schulzeit und das attraktive Gestalten des Ländlichen als Familienraum. Hierfür brauche es zukunftsträchtige Arbeitsplätze in der Region ebenso wie eine Bildungsinfrastruktur von der Kita bis zur Berufsschule in erreichbarer Nähe.

"Das Handwerk will auch künftig Ausbilder der Nation sein – auch auf dem Land." Als Standortbedingungen für Zukunftsräume in den Dörfern nannte der Experte: attraktive, multifunktionale Ortsmitten; Gewerbeflächen, die Umnutzungen ermöglichten ohne die Landschaft zu beschädigen; flächendeckenden Breitbandausbau mit Glasfaser und Gigabitvernetzung für die mobile Erreichbarkeit.

Stärker auf Regionalmarketing setzen

Schulte regte an, "Produkte aus der Region von Betrieben aus der Region" als Regionalmarketing aktiv einzusetzen und neue Wertschöpfungsketten zu organisieren, die die Lust an regionalen Produkten und die Renaissance für handwerkliche Leistungen und Bioprodukte aufgriffen und stärkten. In der Energiepolitik müsse die Bewegung hin zu mehr dezentralem Klimaschutz gehen und angesichts des Ärztemangels auf dem Land ließe sich die Daseinsvorsorge verbessern, wenn die Gesundheitsberufe bestimmte medizinische Leistungen vornehmen dürften. Unbürokratische Gewerbeanmeldungen kämen dem Unternehmergeist im ländlichen Raum zugute. Für die Nachfolgesicherung der Betriebe sei es zudem existenziell, die Demografie und Integration von Migranten auch auf dem Land zu meistern.

In lebendigen Wortbeiträgen von Teilnehmern und Referenten kristallisierte sich heraus, dass die Sicherung der Mobilität – örtlich wie digital – Zukunftsaufgaben für die Lust am Leben auf dem Land sind.

Bildungssystem muss sich besser auf das digitale Zeitalter einstellen

Foto: © www.die-marquardts.comNicht minder vollbesetzt und lebhaft war die Podiumsveranstaltung "Wirtschaft 4.0: Strukturbruch oder Chancen auf gute Arbeit" am Folgetag, wieder in der Uni. Handwerkskammerpräsident Hans Hund (Foto) skizzierte die Digitalisierung als tiefgreifenden gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Prozess, der vielleicht eine sogar noch größere Herausforderung als der Fachkräftemangel darstelle: "Die Digitalisierung der Lebenswelten verändert unsere Gesellschaft wie nur wenige Entwicklungen zuvor. Ich bin der Meinung, die Digitalisierung ist eine riesige Chance für die Betriebe, wenn sie die Möglichkeiten konsequent für sich nutzen." Hund forderte: "Das Bildungssystem muss sich besser als bisher auf das digitale Zeitalter einstellen. Die technische Infrastruktur, ein Teil der Lehrpläne und auch die Ausbildung eines Teils der Lehrkräfte benötigen ein Update."

Die Wege nur gemeinsam mit den Arbeitnehmern gehen

Einblicke in die Praxis gab Heinz Jürgens, Geschäftsführer von Jüke Systemtechnik in Altenberge, einem weltweit vernetzten Handwerksbetrieb mit Großkunden aus der Medizintechnik. Globaler Transfer großer Daten ist für Jüke unentbehrlich. Jürgens ist davon überzeugt, dass in der "Wirtschaft 4.0" Wertschöpfungsketten zunehmend aufbrechen werden – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Arbeitswelt. "Diesen Weg können Betriebe nur zusammen im Team mit Arbeitnehmern gehen", konstatierte der Unternehmer und Arbeitgeber für rund 100 Beschäftigte. Es brauche die Anregungen und Ideen junger Leute ebenso wie den Fundus langjähriger Erfahrung. "Wir müssen zusammensitzen und die Dinge diskutieren." Im Zuge dieser Entwicklung legten gerade die Jüngeren immer mehr Augenmerk auf eine ausgewogene Work-Life-Balance, was weitere Veränderungen des Arbeitens mit sich bringe.

Betriebe müssen mehr Arbeit in die Ausbildung stecken

Das Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB) begleite den Wandel in der Arbeitswelt durch die Ausgestaltung von Ausbildungsordnungen und Weiterbildungsregeln gemeinsam mit den Sozialpartnern, betonte Präsident Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser. In zahlreichen Berufen stiegen die Anforderungen mit der Digitalisierung, was lebenslanges Lernen erfordere, aber die Nachwuchssicherung im Handwerk beim Trend zur Hochschule zusätzlich erschwere.

Die Sorgen und Fragen mehrerer Teilnehmer drehten sich vor allem darum, wo leistungsschwächere Schüler und Auszubildende ihren Platz finden, wenn einfachere Arbeiten durch die Digitalisierung entfallen. Eine Antwort von Maschinenbaumechanikermeister Heinz Jürgens: "Die Betriebe müssen mehr Arbeit in die Ausbildung stecken. Das Handwerk wird im Wettbewerb mit der Industrie um den Nachwuchs für Viele die letzte Chance sein. Das bedeutet, die Betriebe müssen mehr soziale Arbeit leisten, um die Schwächeren erfolgreich auszubilden." Prof. Dr. Esser ergänzte, dass die Anforderungen an Lehrer, Ausbilder und Bildungszentren stiegen. "Die Technik muss der Pädagogik folgen. Pädagogen müssen begeistern, dann haben wir eine Chance!" 

Text: / handwerksblatt.de

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