Stickoxid, Fahrverbot

Wie schädlich sind die Autoabgase und wie kann man sie verringern? Diese Fragen beantworteten Experten bei einer Anhörung des Oberverwaltungsgerichts NRW. (Foto: © awrangler/123RF.com)

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Dicke Luft vor Gericht

Bei einer Anhörung vor dem Oberverwaltungsgericht wegen der Dieselfahrverbote in NRW-Städten stritten sich Experten über die Grenzwerte.

Selbst in Münster kennt man offenbar das Kölsche Grundgesetz, dessen Artikel drei lautet: "Et hätt noch immer jot jejange". Diese Haltung sei bei der Luftreinhaltung aber nicht zielführend, kritisierte Max-Jürgen Seibert, Vorsitzender Richter am nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht, hier gelte eher Artikel fünf: "Nix bliev wie et wor". In der gerichtlichen Experten-Anhörung am 9. und 10. Mai 2019 ging es um die Luftreinhaltepläne des Landes für viele NRW-Städte. Verschiedene Maßnahmen – unter anderem Fahrverbote – sollen dafür sorgen, dass der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft eingehalten wird.

Schuld ist die Politik, nicht die Justiz

Schuld an drohenden Fahrverboten sei allein die Politik, betonte Seibert. Hier seien die Probleme nicht rechtzeitig angegangen worden. Er verglich die Maßnahmen mit einer Notoperation, nachdem der Patient sich jahrelang einer Vorsorgeuntersuchung verweigert habe. "Jetzt den Arzt, also die Gerichte, für die Nebenwirkungen verantwortlich zu machen, ist falsch". Auch sei es zu billig, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die den Prozess gegen die Landesregierung führt, anzugreifen: Sie habe nur den Patienten zum Arzt geschickt, wie eine besorgte Ehefrau.

Als Hauptquelle für das Reizgas gelten Dieselfahrzeuge, daher hatten Verwaltungsgerichte für Aachen, Bonn, Köln, Essen und Gelsenkirchen bereits Fahrverbote als letztes Mittel gegen Luftverschmutzung gebilligt. Weil die Landesregierung gegen diese Urteile Berufung eingelegt hat, soll das OVG in Münster nun die Frage klären, wie die Luftreinhalte-Maßnahmen wirken.

Experten sagten vor dem Umweltrechts-Senat des OVG aus, wie sie die Wirkung von Stickstoffdioxid (NO2) auf den menschlichen Körper einschätzen. Das Thema erregt die Gemüter bundesweit und sorgte auch in TV-Formaten schon für heftige, emotional geführte Diskussionen. Seibert hielt seine Gäste deshalb zur Sachlichkeit an.

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Am Grenzwert wird nicht gerüttelt

Der Vorsitzende Richter stellte außerdem klar: "Die Grenzwerte sind geltendes Recht, die stehen nicht zur Disposition".

Umweltmedizinerin Prof. Barbara Hoffmann von der Uni Düsseldorf erklärte, wie die Weltgesundheitsorganisation den 40-Mikrogramm-Richtwert abgeleitet hat, der später von der EU als Grenzwert festgesetzt wurde: Grundlage seien Studien zu Reaktionen des menschlichen Körpers auf den Schadstoff. Bei einigen Studien hätten Kinder Entzündungen und Veränderungen der Lunge bereits ab 20 Mikrogramm gezeigt. Wegen Unsicherheiten bei der Zuordnung von NO2 in diesen Studien habe die EU den Richtwert aber höher angesetzt. Hoffmann zitierte außerdem eine Studie, nach der jährlich circa 6000 Deutsche an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, weil sie Stickstoffdioxid ausgesetzt sind.

Dass die Festlegung auf 40 Mikrogramm NO2 auf einer groben Schätzung beruhe, sagte Prof. Alexander Kekulé, Arzt und Biochemiker an der Uni Halle-Wittenberg. "Man hätte aus der damaligen Sicht ebenso 60, 70 oder 80 nehmen können."

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Der Lungenarzt Prof. Dieter Köhler meinte, Gesundheitsgefahren begännen erst bei 100, wahrscheinlich sogar erst ab 500 Mikrogramm NO2. Köhler gelangte kürzlich in die Schlagzeilen, weil er medienwirksam mobil machte gegen scharfe Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide – und später einen Rechenfehler zugeben musste.

Kompetent hinterfragt

Fünf Stunden lang untersuchte Seibert auch die Messmethoden der Behörden. Dipl.Ing. Ulrich Fesser, Hauptabteilungsleiter bei der Handwerkskammer zu Köln, war an beiden Tagen als Prozessbeobachter im Gericht und meint: "Der Richter hat die Expertenaussagen bewundernswert kompetent hinterfragt." Diese Ansicht teilt auch Andrea Raddatz, Abteilungsleiterin bei der Handwerkskammer Düsseldorf, die ebenfalls in Münster vor Ort war.

Fesser selbst befasst sich seit langem mit dem Diesel-Thema und ist mit der Aussage der Sachverständigen vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen nicht zufrieden. Die Handwerkskammer zu Köln hat in ihren eigenen Messstationen an denselben Standorten deutlich geringere NO2-Werte gemessen.

Noch ist nichts entschieden

Nach zwei Tagen Experten-Anhörung ist noch nichts entschieden, zumal die eigentlichen Verhandlungstermine noch ausstehen. Fesser hat den Eindruck, dass der Vorsitzende Richter Fahrverbote nicht von vorneherein als Lösung ansieht. Bei der Anhörung hat sich das Gericht einen sehr fundierten Einblick in die Problematik verschafft und kann auf dieser Grundlage eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten vornehmen. Wie diese am Ende aussieht, wird sich zeigen.

Sicher ist sich Fesser aber: Kommunen, die bislang untätig geblieben sind, müssen mit Konsequenzen rechnen. Dazu fällt einem Artikel zwei des Kölschen Grundgesetzes ein: "Et kütt, wie et kütt".

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Text: / handwerksblatt.de

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