Das Lernen mit Smartphone und Laptop könnte die duale Berufsausbildung attraktiver machen. Ergänzt wird es momentan durch klassische Medien wie Lehrbücher oder schriftliche Unterlagen.

Das Lernen mit Smartphone und Laptop könnte die duale Berufsausbildung attraktiver machen. Ergänzt wird es momentan durch klassische Medien wie Lehrbücher oder schriftliche Unterlagen. (Foto: © everythingpossible/123RF.com)

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Moderne Werkzeuge für die Berufsausbildung

Zwei aktuelle Studien zeigen, dass digitale Medien zurzeit eher zögerlich in Schulen und Betrieben verwendet werden. Aber Moodle, Apps und Co. gehört die Zukunft.

An Pokémon Go scheiden sich die Geister. Die einen verteufeln die virtuelle Monsterjagd, weil die Jugendlichen scheinbar ununterbrochen vor dem Smartphone oder Tablet kleben. Andererseits zwingt sie das Spiel dazu, wieder öfter an die frische Luft zu gehen und sich mit ihren Altersgenossen zu treffen. So wird das Angenehme mit dem Nützlichen verknüpft.

Nur zögerlicher Einsatz digitaler Medien in der Berufsausbildung

Dies würde man sich auch vom Einsatz digitaler Medien für die berufliche Bildung wünschen. Doch Betriebe, Berufsschulen und überbetriebliche Lehrlingsunterweisung sind eher zögerlich. Die Bertelsmann-Stiftung bringt es in ihrer Studie "Monitor Digitale Bildung – Berufliche Bildung im digitalen Zeitalter" auf den Punkt: Was die Jugendlichen in der Freizeit selten nutzen, dominiert den schulischen Alltag. Was sie in der Freizeit häufig verwenden, bleibt in Schule und Betrieben außen vor.

Die Studie der Bertelsmann-StiftungDer Einsatz digitaler Lernmedien folge vorrangig "alten" didaktischen und methodischen Kompetenzen: Die Internetrecherche ersetzt den Blick ins Lexikon, anstelle einer DVD wird ein YouTube-Video gezeigt, die PowerPoint-Präsentation löst den Overheadprojektor ab. Deutlich seltener dagegen lassen Berufsschullehrer und Ausbilder die Auszubildenden eigenständige Inhalte wie kleine Lehrvideos oder Blogs erstellen.

Betriebe legen mehr Wert auf Fachbücher als auf Lernsoftware

Die Betriebe setzen in der Ausbildung zurzeit wohl eher auf die Klassiker. Das zeigt die Studie "Digitale Medien in Betrieben – heute und morgen" des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Als wichtig werden vor allem Fachbücher, schriftliche Unterlagen, reale Gruppenarbeit und Präsenzunterricht im Betrieb eingeschätzt. Erst danach folgen fachspezifische Software und Informationsangebote im Internet. Lernspiele, Online-Kurse, Blogs oder Podcasts spielen eine eher untergeordnete Rolle – das gilt nach Einschätzung der Betriebe sowohl derzeit als auch in naher Zukunft.

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Einen höheren Stellenwert werden in den kommenden drei Jahren – neben den klassischen Medienformaten – vor allem web- und computerbasierte Lernprogramme, Informationsangebote im Internet und fachspezifische Software bekommen. Leicht zulegen dürften Lernplattformen, Software zur Prüfung von Lernerfolgen, Videos, Simulationen und Online-Kurse. Das Fazit: Technologische Innovationen kommen bei den dualen Partnern "nur langsam" an. Die heraufziehenden Veränderungen von "Wirtschaft 4.0" dürften mehr Schwung erfordern. Die Betriebe müssen deshalb für den Einsatz digitaler Medien "stärker sensibilisiert" und "umfassender informiert" werden.

Die Studie des BIBBDass etwas passieren muss, ist ihnen bewusst. Rund zwei Drittel der in der BIBB-Studie befragten Betriebe meint, dass digitale Medien verstärkt in der Ausbildung eingesetzt werden sollten. Zudem versprechen sie sich davon eine leichtere Zusammenarbeit mit den Berufsschulen und überbetrieblichen Bildungsstätten. Die Lernortkooperation ist jedoch noch ausbaufähig, wie die Untersuchungen des BIBB und der Bertelsmann-Stiftung zeigen. So weiß rund ein Drittel der Unternehmen nicht, welche digitalen Lern- und Medienformate von den Berufsschulen verwendet werden, und nur etwa jede zweite Berufsschule nutzt die Potenziale, die sich durch die digitalen Medien für ein besseres Miteinander bieten.

Modernes Handwerk braucht digitale Medien

Immer mehr Jugendliche mit Abitur zieht es an die Hochschulen. Innovative Lerntechnologien könnte dabei helfen, die Berufsausbildung attraktiver zu machen. "Grundsätzlich muss modernes Handwerk für Ausbildung mit digitalen Medien werben", ist Eva Gatzky überzeugt. Vorreiter im Kammerbezirk Potsdam seien die Ausbildungsberufe Kfz-Mechatroniker, Elektroniker, SHK-Anlagenmechaniker, Land- und Baumaschinenmechatroniker sowie Tischler, zählt die Abteilungsleiterin Berufsbildung auf. So nutzen die Kfz-Lehrlinge etwa eine Prüfungstrainer-App und die angehenden Kaufleute für Büromanangement ein Onlineportal, in dem Musteraufgaben hinterlegt sind.

"In unserem Zentrum für Gewerbeförderung in Götz spielt die Anwendung und Anschaffung neuester Technik eine große Rolle", erklärt dessen Geschäftsführer Tilo Jänsch. Schulungen werden beispielsweise für den Umgang mit intelligenter Gebäudetechnik, für Elektromobilität oder für die Fernwartung von Heizungs- und Klimaanlagen angeboten. Eva Gatzky denkt, dass neue digitale Lernformen mehr Lust auf Lernen machen und den Ausbildungserfolg sichern können – allerdings dürfen sie kein reiner Selbstzweck sein. Anbieter und Anwender müssen sich miteinander vernetzen und Lösungen entwickeln, die ein- und umsetzbar sind.

Anreiz für leistungsschwächere Azubis

Nach Einschätzung der Bertelsmann-Stiftung ließe sich mit dem Einsatz digitaler Medien mehr Chancengerechtigkeit erreichen. Internetrecherchen, Lernspiele, Apps und das Erstellen eigener Inhalte seien besonders für jüngere, männliche Auszubildende mit einem niedrigen Schulabschluss attraktiv. Durch digitales Lernen lasse sich diese Zielgruppe "gut motivieren". Dies ist dem Bundesinstitut für Berufsbildung ein bisschen zu euphorisch. "Zu dieser These gibt es keine wirklich belastbaren Untersuchungen. Gerade der Bereich digitaler Medien wird leider immer wieder zu vorschnellen Behauptungen genutzt", sagt Prof. Dr. Michael Heister, Leiter der Abteilung "Berufliches Lehren und Lernen, Programme und Modellversuche".

Für Eva Gatzky ist der Einsatz digitaler Medien stark abhängig von den Voraussetzungen in den Ausbildungsbetrieben. "Wenn wir davon ausgehen, dass in den Vorreiterberufen 70 Prozent das nötige Know-how bieten, müssen Alternativen für den Rest angeboten werden", erklärt die Berufsbildungsexpertin der HWK Potsdam.In der Ausbildungsberatung müsse das digitale Lernen einen festen Stellenwert erhalten.

An den Berufsschulen müssen Technik und Software auf dem "höchst aktuellen Stand" gehalten werden. In punkto Ausstattung macht die Bertelsmann-Stiftung starken Nachholbedarf bei einer zuverlässigen WLAN-Versorgung aus. Laut ihrer Studie steht der überwiegenden Mehrheit der Berufsschullehrer kein oder ein nur unzureichendes kabelloses lokales Netzwerk zur Verfügung.

Um digitales Lernen schrittweise einzuführen, benötigen die Berufsschulen deshalb sowohl die Mittel als auch Unterstützung. Besonders der hohe Zeitaufwand belastet das Ausbildungspersonal. Die Mehrarbeit werde üblicherweise nicht kompensiert und es fehlen entsprechende Regelungen, stellt die Bertelsmann-Stiftung fest. Auch Orientierungshilfen für das unübersichtliche Angebot an Lernmaterialien und Anwendungen scheinen derzeit noch Mangelware zu sein.

Kein Geld für die beruflichen Schulen aus Berlin

Für die sächliche Ausstattung der beruflichen Schulen sind die Bundesländer und Kommunen zuständig. Die Förderung ist sehr unterschiedlich, stellt der Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen (BLBS) fest. Selbst wenn der Bund den oft klammen Ländern unter die Arme greifen will, er darf es nicht. Das Kooperationsverbot hindert Berlin daran. "Danach darf der Bund die Bundesländer im Bereich der Bildung – und damit auch die beruflichen Schulen – nicht mit Geldmitteln unterstützen", erklärt der BLBS.

Nur die Landesverbände des Berufsschullehrerverbandes könnten sich um eine bessere Ausstattung mit digitalen Medien kümmern. "In einigen Bundesländern hat dieses Vorgehen bereits zu sehr guten Erfolgen geführt." Entsprechend wenig bringt den Berufsschulen auch das vom Bundesbildungsministerium aufgelegte Förderprogramm "Digitale Medien in der beruflichen Bildung". Im Fokus stehen hier die betriebliche und überbetriebliche Ausbildung.

Fundierte Aus- und Fortbildung nötig

Die meisten Berufsschullehrer und Ausbilder sind in Sachen Einsatz digitaler Medien momentan Autodidakten. Sie eignen sie sich ihr Wissen vor allem durch Selbststudium oder informellen Austausch mit Kollegen an. Um Lehrkräften und Ausbildern die notwendigen Kompetenzen systematisch zu vermittelt, sind eine fundierte und ständige Aus- und Fortbildung nötig. Die Bertelsmann-Stiftung regt eine "digitale Qualifizierungsoffensive" an. Darüber hinaus lassen sich aus ihrer Sicht die Potenziale digitalen Lernens durch mehr anwendungsorientierte Forschung, die Teilhabe und Chancengerechtigkeit in konkrete didaktische Settings übersetzt und deren Reichweite und Wirkungsweise überprüft, sowie strategisch durchdachte Schulentwicklungskonzepte ausschöpfen.

Selbst wenn alle Betriebe PCs, Laptops, Smartphones und Tablets für die Ausbildung nutzen und in allen Berufsschulen mit den neuesten Medien unterrichtet wird – eines muss stimmen: die Medienkompetenz der Jugendlichen. Laut der BIBB-Studie bewerten 46 Prozent der Betriebe die IT-Grundkenntnisse ihrer Azubis lediglich als ausreichend. Sie müssten damit gezielt für den Einsatz digitaler Medien im betrieblichen Alltag geschult werden. Das betreffe sowohl das umfangreiche Portfolio existierender Medienformaten als auch die fach- und brachenspezifischen IT-Anwendungen.

Eva Gatzky hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Betriebe sollten nicht darauf vertrauen, dass die Jugendlichen die nötige Medienkompetenz automatisch aus den allgemeinbildenden Schulen oder dem Elternhaus mitbringen. "Nicht jeder, der mit dem Smartphone nach Pokémons Ausschau hält, ist fit und bereit für digitales Lernen."   

Text: / handwerksblatt.de

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