Die 1905 erbaute Werkhalle mit Jugendstilfassade gilt als Kulturdenkmal. Hase Bikes ist seit der Jahrtausendwende hier ansässig.

Die 1905 erbaute Werkhalle mit Jugendstilfassade gilt als Kulturdenkmal. Hase Bikes ist seit der Jahrtausendwende hier ansässig. (Foto: © Hasebikes)

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Tandems und Trikes statt Kohle und Koks

Spezialräder an einem außergewöhnlichen Ort – bei Hase Bikes ist alles ­irgendwie ­besonders, auch der Erfolg. Von der ehemaligen Zeche Waltrop werden die Räder weltweit versandt.

Ende Juni 1979 förderten Bergleute zum letzten Mal in der mehr als 70-jährigen Geschichte der Zeche Waltrop in harter, gefährlicher Arbeit unter Tage Steinkohle. Was hätten die Kumpel damals wohl gesagt, wenn sie einen Zeitsprung über 40 Jahre in die Zukunft hätten machen und einen Blick in die backsteinernen Werkhallen im Gewerbepark der Ruhrgebietsstadt des Jahres 2019 hätten werfen können?

Foto: © Verlagsanstalt HandwerkFoto: © Verlagsanstalt Handwerk

Sie sähen einen Ort, der für Energiewende, Beweglichkeit und Weltoffenheit steht; sie erblickten Menschen, deren technische, gestalterische und kaufmännische Arbeit sich um das Fahren von Tandems und Trikes im Freien dreht. In das Flair der Jahrhundertwende und Industriekultur mischten sich im Laufe der Jahrzehnte das Werkstattambiente eines mittelständischen Familienunternehmens, das Handwerk und Handel vereint: Hase Bikes.

Konstruktion mit Drehmaschine und 3D

"Wir gehen am besten zuerst in die Konstruktionsabteilung", lädt Marec Hase ein. Fahrräder neu denken, das leitet den 48 Jahre alten Unternehmer seit Schulzeiten. Der Gewinner des Landeswettbewerbs "Jugend forscht" von 1989 (1. Platz für Tandemdreirad) und 1990 (2. Platz für faltbares Liegerad) hat mit seinen Ideen ein Unternehmen gegründet, das Furore macht. So wuchs Hase Bikes von einer Garagenwerkstatt seit 1994 zu einem Betrieb heran, zu dem Händler aus allen Kontinenten anreisen und dessen Produkte mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurden, unter anderem drei Red Dot Design Awards.

Marec Hase Foto: © HasebikesMarec Hase Foto: © Hasebikes

Hase, der sich als Feinmechaniker erst selbstständig machte und dann ein Maschinenbaustudium aufnahm und abschloss, ist nach wie vor auf der Suche nach neuen Lösungen der Fortbewegung. Der Chef, Ehefrau Kirsten Hase als Marketingleiterin und 60 fahrradbegeisterte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eröffnen Mobilitätserlebnisse für alle – Normalos, Weltreisende, Menschen mit Handicap, ­Klimaschützer, Natur­liebhaber, Städter, Tandemfans, Trike­freunde und Kids. Charakteristisch für die Liegedreiräder sind zwei Hinterräder und ein Vorderrad. Diese verhindern das Kippen des Fahrzeugs. Geradezu schon als Klassiker könnte man das Modell "Kettwiesel" bezeichnen, das auch die Basis für Reha-Räder, Handbikes, Sport­varianten und Offroad-Fahrzeuge bildet.

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Die zweirädrigen Tandems "Pino" haben Höhenunterschiede als Markenzeichen; der hintere Fahrer fährt wie auf einem "normalen" Fahrrad, der vordere sitzt wie auf einem Liegerad. Beide können freie Sicht voraus genießen. Das System ist erweiterbar durch ein angehängtes Kindertrike und eine Lastentasche vorn. Mit dem Pino radelten Paare bereits bis Tibet oder durchquerten Amerika vom Norden bis zum Süden.

Aus Anfragen und Anregungen von Kunden, die teils mit körperlichen, teils mit geistigen Einschränkungen leben, entstehen erst Prototypen und dann oftmals neue Produkte. "Durch Mobilisierung erhalten viele Kunden ein neues Stück Freiheit. Das macht uns glücklich", unterstreicht Hase seine Motivation. Sonderanfertigungen werden an der Drehmaschine ebenso entwickelt wie mit CAD-Software und 3D-Drucker. Eine der aktuellen Innovationen ist eine selbstauslösende Bremse für Menschen mit Spasmen. Im Falle einer ruckartigen Bewegung bringt ein um die Arme gebundener Gurt das Rad zum Stehen. Weitere Entwicklungspotenziale ergeben sich aus Elektroantrieben.
Seit 19 Jahren ist der Betrieb in der denkmalgeschützten, sorgfältig sanierten Werkhalle mit Jugendstilfassade und Sprossenfenstern beheimatet, das immer noch die Historie der Zeche samt Kokerei atmet. Hier bauen die Zweiradmechaniker jährlich rund 2.500 Räder an mehreren Stationen á acht Rädern. An einem Rad wird zwei Tage montiert. Zahlreiche Abläufe sind digitalisiert.

Personal zu 80 Prozent selbst ausgebildet

Kettwiesel Cross Steps: Das Liegetrike mit Lizenz fürs Gelände Foto: © HasebikesKettwiesel Cross Steps: Das Liegetrike mit Lizenz fürs Gelände Foto: © Hasebikes

Im nun erreichten 25. Jubiläumsjahr nehmen Pläne zur erneuten Betriebserweiterung durch eine vierte Halle Fahrt auf. Das Lager im vorhandenen benachbarten zweiten Neubau wird wieder zu klein. Von hier aus verschicken die Lageristen neben Fahrrädern auch Zubehör und Ersatzteile um den Globus. "80 Prozent der Belegschaft haben wir selber ausgebildet", unterstreicht Hase mit einem Anflug von Stolz. Neben der Ausbildung von Zweiradmechatronikern bietet er in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Bochum auch eine kooperative Ingenieursausbildung an. Die Betriebszugehörigkeiten sind lang. Dafür tut Ehepaar Hase einiges: flexible Arbeitszeiten, konkurrenzfähige Gehälter, eine positive Atmosphäre beispielsweise durch Homeoffice, freie Getränke und Obst, Fortbildungen, Sportangebote und – natürlich – ein Jobrad.

"Wir gehen in mein Büro", weist Marec Hase den Weg. Auch hier eine Überraschung: In dem ebenso zentral wie ruhig gelegenen Raum stehen nicht nur Büromöbel und ein Konferenztisch, sondern auch ein Flügel. Der dicke Stapel Notenblätter auf dem Brett zeigt, dass das Instrument des Öfteren gespielt wird. So hat auch Musik das Rattern der Fördertürme abgelöst.

Text: / handwerksblatt.de

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