"Wir müssen die Abhängigkeit von russischer Energie so schnell wie möglich beenden", fordert Andreas Ehlert.

"Wir müssen die Abhängigkeit von russischer Energie so schnell wie möglich beenden", fordert Andreas Ehlert. (Foto: © maksym yemelyanov/123RF.com)

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Wir müssen Transformation neu denken

Kommentar: Andreas Ehlert, Präsident Handwerk.NRW, zur Lage der Landes- und Handwerkswirtschaft angesichts krass verschärfter Rahmenbedingungen.

In wenigen Tagen ist Landtagswahl. Zum Glück. Anderswo fehlt eine Freiheit sichernde Auswahlmöglichkeit unter politischen Alternativen und Führungspersonal, wird gar aggressiv bekämpft. Wenn wir in normalen Zeiten lebten, würde ich an dieser Stelle das vortragen, was Sie von mir, als eine Stimme aus dem nordrhein-westfälischen Handwerk mit seinen 1,2 Millionen Beschäftigten und 140 Milliarden Euro Jahresumsatz, als Botschaft an eine künftige Landesregierung erwarten würden.

Etwa zum Thema Berufsbildung: Stärkt sie! Sorgt für echte Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Qualifikation! Kümmert Euch darum, dass in den Schulen durch bestmögliche Kompetenzvermittlung die Basis dafür gelegt wird, den enormen Fachkräftebedarf zu sichern!

Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik

Andreas Ehlert, Präsident Handwerk.NRW. Foto: © HWK DüsseldorfAndreas Ehlert, Präsident Handwerk.NRW. Foto: © HWK Düsseldorf

Oder zum Thema Nachhaltigkeit: Es reicht nicht, eine ohne jede Frage notwendige Klimawende zu beschließen. Sie muss auch in die Praxis umgesetzt werden: eben von hervorragend qualifizierten Fachkräften. Und wenn Ihr mehr Klimaschutz und Energieeffizienz wollt, dann macht es zusammen mit dem Handwerk! Stärkt die Verbraucher, gebt ihnen Wahlfreiheit, setzt den Schwerpunkt auf dezentrale Lösungen bei der Energie- und Klimatechnik, auf Förder-Planbarkeit und Technologie-Offenheit, damit sich Innovationslust und qualifizierte Lösungen durchsetzen können!

Oder zur Wirtschaftspolitik: Sorgt für mehr Freiraum, dass kleine und mittlere Betriebe nicht von der Bürokratie- und Steuerlast erdrückt werden. Sorgt für mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen, damit Unternehmertum Spaß macht und junge Leute begeistert! Sorgt für eine wieder leistungsfähige Infrastruktur. Und für eine digitale, handlungsfähige Verwaltung. Richtet die Standortpolitik so aus, dass Lieferketten kürzer, stabiler und flexibler werden. Kümmert Euch um genügend Gewerbefläche; Handwerk gehört ins Herz der Stadt, nicht an den Rand oder ins Aus verdrängt.

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Brutaler Überfall auf die Ukraine

Ja, das ist und bleibt alles richtig, und all das fordern wir als Handwerk von der nächsten Landesregierung. Und doch geht es in diesen Tagen und Wochen um andere, um größere Dinge. Das zweitgrößte Land Europas ist von seinem Nachbarn brutal überfallen worden. Jeden Tag kommen Hunderte, vielleicht Tausende zu Tode, werden unschuldige Zivilisten systematisch angegriffen und hingerichtet. Das ist eine Tragödie für die Ukraine. Und eine brandgefährliche Situation für ganz Europa. Wir erleben, was der amerikanische Publizist Walter Lippmann einmal sarkastisch umschrieb als die "Ermordung einer schönen Theorie durch eine Bande brutaler Fakten". Mich beschämt, wie naiv die deutsche Außenpolitik sich gegenüber Russland gezeigt hat. Mich bedrückt, wie schwer wir uns damit tun, die Ukrainer in ihrem heldenhaften Freiheitskampf wirksam zu unterstützen.

Wir müssen uns einer neuen Realität stellen, einem bleibenden sicherheits- und wirtschaftspolitischen Risikoaufschlag. Es wird nach diesem Krieg kein Zurück zu einem Status quo ante geben. Auch ich habe keine fertigen Antworten, selbstverständlich nicht. Aber ich sehe einige Herausforderungen, die auch uns als Handwerk im Kern berühren. Wir müssen die fatale Abhängigkeit von russischer Energie und von russischen Rohstoffen so schnell wie möglich beenden.

Zitat"Es reicht nicht, eine ohne jede Frage notwendige Klimawende zu beschließen. Sie muss auch in die Praxis umgesetzt werden: eben von hervorragend qualifizierten Fachkräften." Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk.NRW.

Es gibt keine verantwortbare Alternative dazu. Wir müssen sehr grundlegend unsere Verwundbarkeit reduzieren. Das betrifft die Energieversorgung, das betrifft Lieferketten, das betrifft kritische Infrastruktur. Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, gehört künftig das Denken in der Kategorie von Sicherheit dazu.

Flexibler und anpassungsfähiger werden

Deshalb müssen wir auch Transformation neu denken. Es geht nicht nur darum, dass wir unsere Klimaziele möglichst schnell und effizient erreichen. Wir müssen Transformation auch so verstehen, dass wir Krisenvorsorge betreiben. Wir müssen als Wirtschaftsstandort insgesamt flexibler und anpassungsfähiger werden. Und dabei an globaler Arbeitsteilung festhalten, in Beziehungen mit Partnern in Freiheit und Recht, die sich nicht nach Belieben über Regeln der internationalen Kooperation und der Humanität hinwegsetzen.

Aber – wir selbst müssen uns auch auf unsere eigenen Potenziale besinnen. Denn neben sicherheitspolitischem Realismus hilft uns in den kommenden Jahren nur eines: wirtschaftliche Stärke! Wir müssen in Nordrhein-Westfalen dazu mit mehr Tempo für die Transformation der Wirtschaft sorgen. Versorgungssicherheit und Klimaschutz bekommen wir nur hin, wenn wir schnelle und pragmatische Entscheidungen treffen. Ohne ideologische Scheuklappen und ohne überflüssige Bürokratie.

Neue Dimension der Herausforderungen meistern

Wir müssen alle Talente in unserem Land fördern – vom Kindergarten über die Schulen und Hochschulen bis in die berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung. Nur so bekämpfen wir den Fachkräftemangel, nur so gewinnen wir an Innovationskraft. Wir müssen alles dafür tun, dass es sich lohnt, sein Können in beruflicher Selbstständigkeit am Markt auszuprobieren, eigene Ideen in die Tat umzusetzen, Verantwortung als Arbeit Gebende zu übernehmen. Das macht die Leistungsstärke des Handwerks und des Mittelstands in diesem Land aus.

Ja, das Handwerk kann seinen Teil dazu beitragen, dass auch die neue Dimension der Herausforderungen gemeistert wird. Und ja, dazu gehören ein paar wichtige politische Weichenstellungen; ich habe sie benannt. Es ist jetzt nicht die Stunde selbstverliebter Parteiprogramme und eigensüchtiger Klientelpolitik. Wir müssen gemeinsam Antworten finden auf eine Welt, die nicht mehr so ist, wie wir sie uns wünschen. Was wir von der Politik benötigen, sind keine Gefälligkeiten. Wir brauchen Ernsthaftigkeit, Verantwortungsbereitschaft, einen weiteren Blickwinkel. In allen Parteien! Nur so sichern wir unsere Sicherheit und unseren Wohlstand hier in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, in Europa.

Der Autor ist Präsident von Handwerk.NRW.

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Text: / handwerksblatt.de

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