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Schlagabtausch um die Mindestvergütung

Die IG Metall steht hinter dem Plan der Regierung, eine Mindestvergütung für Azubis gesetzlich festzulegen. Für den ZDH dagegen besteht keine Notwendigkeit, am bewährten System etwas zu ändern.

Ab dem 1. Januar 2020 soll es eine gesetzlich festgelegte Mindestausbildungsvergütung geben. Das sorgt für Streit. Die Gewerkschaften haben schon ihren ersten Punch gesetzt. Sie fordern 635 Euro für Azubis im ersten Lehrjahr. Das Handwerk kontert, dass das jahrzehntelang bewährte System zur Festlegung von Ausbildungsvergütungen unangetastet bleiben sollte und eine Mindestvergütung die Betriebe zum Teil schmerzlich treffen würde. Wir haben beide Seiten zum verbalen Schlagabtausch in den Ring geholt. In der roten Ecke, mit einem Kampfgewicht von 2,62 Millionen Mitgliedern: Ralf Kutzner von der IG Metall. Ihm gegenüber – er vertritt eine Million Betriebe und mehr als 5,4 Millionen Beschäftigte – ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke. Let’s get ready to rumble!

Ralf Kutzner ist seit Oktober 2015 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Industriegewerkschaft (IG) Metall. Der gelernte Kfz-Mechaniker macht sich unter anderem für die Interessen der Arbeitnehmer im Handwerk sowie in kleinen und mittleren Unternehmen stark. Darüber hinaus ist der 59-jährige Münsterländer bei der IG Metall für das Projekt Tarifbindung zuständig.Handwerksblatt: Herr Kutzner, warum brauchen wir eine Mindestausbildungsvergütung, deren Höhe gesetzlich festgelegt wird?
Kutzner: Natürlich hätte ich dies viel lieber über Tarifverträge geregelt als vom Gesetzgeber. Doch leider erodiert schon seit Jahren im Handwerk die Tarifbindung. Im Handwerk werden nur noch 30 Prozent der Beschäftigten auf der Basis von Tarifverträgen bezahlt. Was in dieser Debatte oft vergessen wird: Auszubildende sind an der Wertschöpfung beteiligt und tragen zum Umsatz der Betriebe bei. Die jungen Menschen sind auch nicht mehr 15 Jahre alt, wenn sie eine Ausbildung beginnen. Das Einstiegsalter liegt heutzutage im Schnitt bei 19,5 Jahren.

Handwerksblatt: Also erhöhen wir einfach die Ausbildungsvergütungen und alles wird gut?
Kutzner: Zuletzt sind im Handwerk insgesamt 19.000 Lehrstellen unbesetzt geblieben. Die Handwerksverbände müssen sich Gedanken darüber machen, wie sich diese Lücke schließen lässt. In den vergangenen Jahren hat die IG Metall deutliche Anhebungen bei den Azubi-Vergütungen ausgehandelt. Das Handwerk darf sich aber in einigen Branchen und Regionen nicht weiter abkoppeln. Bleiben die Ausbildungsvergütungen dort weiterhin so niedrig, wird es für die Betriebe immer schwieriger werden, Auszubildende und damit auch Fachkräfte zu bekommen.

Handwerksblatt: Die Gewerkschaften haben klare Vorstellungen davon, wie hoch die Mindestausbildungsvergütung sein soll. Die Staffelung fängt bei 635 Euro im ersten Lehrjahr an. Das liegt deutlich über dem, worauf sich Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter mancher Berufe geeinigt haben.
Kutzner: Da immer mehr Arbeitgeber tarifflüchtig sind, brauchen wir einen neuen ordnungspolitischen Rahmen. Könnten wir mit den jeweiligen Landes- oder Bundesinnungen verhandeln, wäre im Handwerk eine Mindestausbildungsvergütung überflüssig.

Handwerksblatt: Es gibt Berufe, die sich tarifvertraglich auf eine angemessene Ausbildungsvergütung geeinigt haben, deren  Höhe aber nun unterhalb des DGB-Vorschlags liegt. Entmündigen Sie mit einer gesetzlich festgelegten Mindestausbildungsvergütung in diesen Fällen nicht die Tarifparteien?
Kutzner: Von einer Entmündigung kann man nicht sprechen. Das Problem liegt bei den Landes- und Bundesinnungen, die mit uns nicht verhandeln.

Handwerksblatt: Man könnte einen solchen Schritt als Einschnitt in die Tarifautonomie empfinden.
Kutzner: Ich kann nur wiederholen: Es fehlt ein ordnungspolitischer Rahmen. Der Gesetzgeber ist also gezwungen, einen solchen zu schaffen – auch, um Tarifautonomie und Tarifbindung zu fördern. Insofern ist die Einführung einer gesetzlich festgelegten Mindestausbildungsvergütung richtig. Und dass mit einer solchen Untergrenze nicht der Niedergang des Handwerks einhergeht, sehen wir beim gesetzlichen Mindestlohn. Vergangenes Jahr waren rund 1,5 Millionen  Menschen mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt als vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015.

Handwerksblatt: Ihre Kollegin Elke Hannack vom DGB hält die Mindestausbildungsvergütung für ein wirksames Instrument, um Ausbildungsabbrüche zu vermeiden.
Kutzner: Da gebe ich ihr recht. In Gewerken mit niedriger Vergütung brechen viele die Ausbildung ab, z. B. bei Friseuren. Dagegen ist in Berufen mit höherer Vergütung die Abbrecherquote geringer, z. B. im SHK-Handwerk. Ich bin überzeugt, dass sich die Ausbildungsabbrüche durch eine  Mindestausbildungsvergütung verringern lässt und mehr Auszubildende und damit auch mehr Fachkräfte gehalten werden könnten.

Handwerksblatt: Gerüstbauer-, Gebäudereiniger- und Dachdecker-Azubis kriegen im ersten Lehrjahr jetzt schon mehr als 635 Euro, brechen aber fast genauso häufig ab wie die Friseure. Die Aussage "Mehr Geld gleich weniger Abbrüche" erscheint da doch eher schlicht.
Kutzner: Für mich ist die Höhe der Ausbildungsvergütung zentral. Selbstverständlich kommen andere Faktoren hinzu: Werden die Auszubildenden vernünftig behandelt? Haben sie anständige Arbeitszeiten? Stimmt die Qualität der Ausbildung? Dazu kommt, ob sie nach der Lehre eine Perspektive in ihrem erlernten Beruf haben und sich auch weiterbilden können. Über all das müssen die Verbände des  Handwerks nachdenken. Die IG Metall erwartet von den Handwerkskammern, dass diese ihrer Pflicht stärker nachkommen bei der Prüfung der Angemessenheit der Höhe der Ausbildungsvergütungen sowie der Einhaltung bestehender Ausbildungstarifverträge.   

Handwerksblatt: Wenn man die Ausbildungsvergütungen am unteren Ende auf ein Mindestmaß anhebt, müssten doch auch die anderen proportional steigen.
Kutzner: Ein Abstandsgebot halte ich nicht für nötig. Sollte das Handwerk jedoch eine solche Anhebung vorschlagen, wird sich unser Widerstand in Grenzen halten.

Handwerksblatt: Sollte die von den Gewerkschaften vorgeschlagene Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 635 Euro kommen, dürften sich einige Betriebe aus der Ausbildung zurückziehen. Nehmen Sie das in Kauf?
Kutzner: Das ergibt für mich keinen Sinn. Woher sollen denn die Fachkräfte kommen? Das Handwerk stellt die meisten Ausbildungsplätze in Deutschland. Das wird auch nach einer Mindestausbildungsvergütung so sein.

Handwerksblatt: Bei den Auszubildenden gibt es nach Ihrer Einschätzung noch viel zu tun. Ist die IG Metall denn wenigstens mit den Bedingungen für die Gesellen zufrieden?
Kutzner: Die IG Metall verhandelt nicht nur für Gesellen, sondern für alle Beschäftigten, die im Handwerk zum Organisationsbereich der IG Metall gehören. Wir haben Branchen und Regionen, in denen es gut funktioniert. Vorbildlich ist etwa das niedersächsische Metallhandwerk. Dort haben wir vor kurzem einen Tarifvertrag abgeschlossen, in dem die betriebliche Altersversorgung vorbildlich geregelt worden ist. Arbeitgeber und Beschäftigte können zusätzliche Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, um die Bezüge im Alter zu erhöhen. Das zeigt: Es geht!

Handwerksblatt: Wo geht es denn nicht voran?
Kutzner: Die Menschen vergleichen, wo es Arbeit zu besseren Konditionen gibt. Beim Lohn etwa hinken viele Gewerke hinterher. Auch bei den Arbeitsbedingungen gibt es noch Luft nach oben. Für die Gewinnung von Fachkräften ist das ein wichtiger Faktor.  

Handwerksblatt: Welche Lösung schlagen Sie vor?
Kutzner: Das Handwerk wäre aus meiner Sicht gut beraten, dort, wo es noch keine Flächentarifverträge der IG Metall gibt, schnell wieder tarifliche Zustände herzustellen. Wir sind jederzeit bereit, in allen Regionen und mit allen Innungen entsprechende Regelungen zu vereinbaren. Tarifvereinbarungen werden dazu führen, dass wir im Handwerk deutlich bessere Karten haben, um für Fachkräfte attraktiv zu sein.

Handwerksblatt: Herr Schwannecke, wie steht das Handwerk zur einer Mindestausbildungsvergütung?
Holger Schwannecke ist seit Januar 2010 Generalsekretär beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Zuvor hat der 57-jährige Jurist die Rechtsabteilung des ZDH geleitet. Schwannecke vertritt den Unternehmerverband Deutsches Handwerk (UDH) in der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und ist Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit.Schwannecke: Das bestehende System zur Festlegung von Ausbildungsvergütungen in Deutschland hat sich über Jahrzehnte bewährt und als praxistauglich erwiesen. Insofern sehen wir keine Notwendigkeit, daran etwas zu ändern. Die Höhe von Ausbildungsvergütungen variiert je nach Region oder Branche zum Teil deutlich. Diese Spielräume sind notwendig: Eine gesetzlich bundesweit einheitliche, starre Untergrenze für Ausbildungsvergütungen würde der Vielfalt der Berufe und den regionalen und branchenspezifischen Besonderheiten nicht gerecht.

Mit ihrer Sachkompetenz finden die Sozial- und Tarifpartner Lösungen, die für die Azubis angemessen, für die Betriebe machbar und für die jeweilige Branche oder Region passgenau sind. Dass dies funktioniert und sich bewährt hat, zeigt auch die im internationalen Vergleich sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. Die Einführung einer gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung würde die Betriebe zum Teil schmerzlich treffen. Wir würden Gefahr laufen, dass gerade kleine und mittlere Betriebe ihr Engagement in der betrieblichen Ausbildung aufgeben könnten. Die dann wegfallenden Ausbildungsplätze müssten kompensiert werden, etwa indem das staatlich finanzierte Berufsschulangebot auf Steuerkosten ausgebaut wird. Diese schleichende Verstaatlichung des Systems der dualen Berufsausbildung würde die Dualität von schulischer und betrieblicher Ausbildung unterwandern. Das kann niemand wollen.

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Handwerksblatt: Das Handwerk konkurriert mit anderen Wirtschaftszweigen um Schulabgänger. Spielt die Höhe der Ausbildungsvergütung tatsächlich eine so große Rolle bei der Berufswahl?
Schwannecke: Junge Menschen orientieren sich bei ihrer Berufswahl vor allem am Rat der Eltern, an ihren Vorstellungen vom Beruf sowie am vermeintlichen Image des Berufes bei ihren Freunden. Eine gute und umfassende Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen ist unverzichtbar. Sie muss über die Entwicklungsmöglichkeiten in den verschiedenen Ausbildungsberufen umfassend informieren und die Jugendlichen in die Lage versetzen, einen Beruf zu finden, der zu ihren Interessen und Potenzialen passt. Die Höhe der Ausbildungsvergütung spielt für die Jugendlichen nur eine untergeordnete Rolle. Zu den beliebtesten Ausbildungsberufen zählt etwa der Mediengestalter Bild und Ton mit einer durchschnittlichen Ausbildungsvergütung von 750 Euro. Lehrstellen etwa für handwerkliche Ausbildungsberufe mit höherer Vergütung, wie der Beton- und Stahlbetonbauer mit einer durchschnittlichen Ausbildungsvergütung von 1.110 Euro, können hingegen oft nur sehr schwer besetzt werden.

Handwerksblatt: Herr Kutzner begründet die Notwendigkeit einer Mindestausbildungsvergütung damit, dass ein ordnungspolitischer Rahmen fehlt. Sehen Sie das auch so?
Schwannecke: Es wundert mich schon, das von einem Sozial- und Tarifpartner zu hören, der am Aushandeln von Ausbildungsvergütungen beteiligt ist. Der ordnungspolitische Rahmen ist die im Grundgesetz verbürgte Tarifautonomie verbunden mit dem, was das Berufsbildungsgesetz gesetzlich konkretisiert. Im Rahmen dieser Tarifautonomie obliegt es den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, gemeinsam Ausbildungsvergütungen festzulegen, die passgenau, regionalspezifisch und branchendifferenziert sind. Das gelingt mit Erfolg: In den vergangenen Jahren sind die Ausbildungsvergütungen in vielen Gewerken im Vergleich zu den Löhnen sogar überproportional gestiegen.

Handwerksblatt: Die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung ist politischer Wille. Offen ist aber noch die Höhe. Was wäre aus Sicht des Handwerks akzeptabel?
Schwannecke: Um es klarzustellen: Die Ausbildungsvergütung ist kein Lohn oder Gehalt. Azubis lernen noch. Ausbildungsvergütungen sind als Zuschuss zu den Lebensunterhaltskosten gedacht, nicht aber dazu, die Existenz oder den Lebensstandard zu sichern. Das wird auch daran deutlich, dass für Eltern während der Ausbildung weiter Unterhaltspflicht besteht, sie Anspruch auf Kindergeld und teils auch weitere soziale Förderungen haben. In Fällen der Bedürftigkeit haben im Jahr 2016 etwa zwölf Prozent aller Auszubildenden Berufsausbildungsbeihilfen durch die örtliche Arbeitsagentur bezogen. Solche Instrumente sind weitaus zielgenauer, weil sie individuell die sozialen Bedürftigkeitslagen von Azubis berücksichtigen. Entsprechende Instrumente sollten stärker genutzt und ausgebaut werden.

Text: / handwerksblatt.de

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