Nicht jedem Rentner ist ein ruhiger Ruhestand vergönnt. Wenn die Eltern plötzlich zum Pflegefall werden können die Kinder zur Kasse gebeten werden, was es dabei zu beachten gibt hier lesen.

Nicht jedem Rentner ist ein ruhiger Ruhestand vergönnt. Wenn die Eltern plötzlich zum Pflegefall werden können die Kinder zur Kasse gebeten werden, was es dabei zu beachten gibt hier lesen. (Foto: © ljupco/123RF.com)

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Wenn der Senior zum Pflegefall wird

Viele Handwerksbetriebe sind nach wie vor Familienunternehmen, in denen meistens mehrere Generationen mitarbeiten. Das funktioniert oft wunderbar, so lange alle ihren Beitrag leisten können. Was aber, wenn der Senior nach langen Jahren des Arbeitslebens nicht zum rüstigen Rentner wird, sondern zum Pflegefall?

Das kann die Familie und damit auch das Unternehmen schwer belasten. Denn Angehörige sind einander zum Unterhalt verpflichtet. Wer seine Eltern nicht selbst pflegen kann, ist auf die Unterbringung in einem teuren Pflegeheim angewiesen. Und wenn Rente, Vermögen und Pflegeversicherung des Seniors nicht ausreichen, um die Kosten zu decken? 

"Der Sozialhilfeträger muss zwar zuerst einspringen, aber er holt sich das Geld von den Verwandten der Pflegebedürftigen zurück", erklärt Karin Stein, Fachanwältin für Familienrecht aus Aachen. "Allerdings gibt es Grenzen: Fehlende Leistungsfähigkeit, Selbstbehalt und Schonvermögen sind unter anderem Argumente, mit denen man dem Staat entgegentreten kann".

Wer ist unterhaltspflichtig?

Verwandte in gerader Linie sind laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) einander zum Unterhalt verpflichtet. Das sind Kinder, Eltern, Enkel, Großeltern - nicht aber Geschwister, Tanten/Onkeln etc.. Allerdings schränkt das Sozialrecht hier die Pflichten ein: Das Sozialamt kann sich nicht an die Enkel halten, nur an die Kinder. Selbstverständlich können nur volljährige Kinder unterhaltspflichtig sein. Aber immer gilt: Zuerst haften die Ehegatten. Nur wenn der Ehegatte den Bedarf des Pflegebedürftigen nicht decken kann, sind die Kinder an der Reihe.

Bedürftigkeit

Logischerweise müssen die Kinder erst dann zahlen, wenn die Eltern selbst nicht für ihren Unterhalt aufkommen können, in der Amtssprache heißt das: Die Eltern müssen bedürftig sein. Bedürftig ist, wer das eigene Vermögen aufgebraucht hat. Aber einen kleinen Teil seines Vermögens – das sogenannte Schonvermögen –  darf der Bedürftige behalten.

Zum Schonvermögen gehören z.B. Familien- und Erbstücke oder ein angemessenes Hausgrundstück, das selbst bewohnt wird und an Angehörige vererbt werden soll. Auch ein kleines Barvermögen, dessen Höhe aber nicht gesetzlich festgelegt ist. "Berücksichtigt werden bei der Berechnung immer die bisherigen Lebensverhältnisse des Bedürftigen. Alles Vermögen, das über das Schonvermögen hinausgeht, muss der Bedürftige verbrauchen", erläutert Stein die Rechtslage.
Auch alle sonstigen Forderungen müssen zunächst eingezogen werden, bevor die Kinder vom Staat zur Kasse gebeten werden können. Beispiel: Hat der Unterhaltsbedürftige innerhalb der letzten zehn Jahre Schenkungen gemacht, kann das Sozialamt diese wegen Verarmung zurückfordern.

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Verwirkung

In besonderen Fällen kann der Anspruch auf Elternunterhalt aber ausgeschlossen sein. Ist zum Beispiel der Elternteil seiner eigenen Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind nicht nachgekommen, kann er umgekehrt später auch kein Geld verlangen. Oder wenn die Bedürftigkeit des Elternteils auf Alkohol- oder Drogensucht beruht. "Dieses eigene Verschulden verringert den Unterhaltsanspruch der Eltern oder schließt ihn sogar komplett aus, je nach Schwere des Falles", erklärt Stein.

Auch wichtig: Lässt sich das Sozialamt zu viel Zeit, den Unterhaltsanspruch bei dem Kind geltend zu machen, entfällt dieser ebenfalls. Bereits eine einjährige Untätigkeit der Sozialämter reicht nach der Rechtsprechung aus.

Leistungsfähigkeit

Ein anderes Argument, das Kinder dem Sozialzamt entgegen halten können, ist die fehlende Leistungsfähigkeit. Denn: Verbraucht eine Familie ihr gesamtes Einkommen z.B. für Wohnen, Essen, Trinken, Urlaub etc. entfällt die Unterhaltspflicht. Geschwister zahlen anteilig für den Unterhalt der Eltern. Das bedeutet bei drei Geschwistern zahlt jeder ein Drittel des erforderlichen Betrages. Voraussetzung ist natürlich wieder, dass die Geschwister überhaupt leistungsfähig sind.

Muss ich für meine Schwiegermutter zahlen?

"Eine häufig gestellte Frage in meiner Kanzlei ist: Muss ich für meine Schwiegereltern Unterhalt  zahlen?", sagt Fachanwältin für Familienrecht Karin Stein. "Darauf  kann ich nur mit einem klaren Jein antworten. Eine gesetzliche Pflicht gibt es nicht, aber die Rechtsprechung hat in einigen Ausnahmefällen eine solche Unterhaltspflicht angenommen." Das gilt für Fälle, in denen das Kind nicht leistungsfähig ist, das Schwiegerkind aber ein relativ hohes Einkommen oder Vermögen hat. Hier wird das gesamte Familien-Einkommen betrachtet. In der Praxis läuft es in diesen Fällen also auf eine sogenannte verdeckte Unterhaltspflicht des Schwiegerkindes hinaus. "Hiergegen kann man sich aber schützen mit einem Ehevertrag, der den Rahmen der Rechtsprechung ausschöpft", erklärt die Expertin.

Berechnung des Einkommens

Zur Ermittlung des Unterhalts wird das so genannte "bereinigte Nettoeinkommen" herangezogen. Von dem jeweiligen Nettoeinkommen werden die bestehenden Belastungen abgezogen. Bei Selbstständigen sind die Einkünfte der vergangenen drei Kalenderjahre entscheidend. Daraus wird ein Durchschnitt gebildet. Wichtig: Steuerlich erlaubte Einkommensminderungen (bspw. durch Abschreibungen) können für das Unterhaltsrecht unbeachtlich sein. Dasselbe gilt für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Für Nicht-Selbstständige ermittelt man das durchschnittliche Monatseinkommen, indem man die Nettoeinkommen der letzten zwölf Monate addiert (inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld) und den Gesamtbetrag durch zwölf teilt. Kapitaleinkünfte wie Zinsen und Dividenden (bzw. Ausschüttungen an Gesellschafter) sowie Steuererstattungen erhöhen ebenfalls umgerechnet auf zwölf Monate das relevante Einkommen.Ist das Nettoeinkommen ermittelt, zieht man die jeweiligen Belastungen ab. Dabei kann es sich um Unterhaltsverpflichtungen, Darlehensschulden oder Vorsorgekosten handeln.

Belastungen – was mindert das Einkommen?

Die folgenden Posten können als Belastungen das Einkommen mindern:

  • Darlehen, auch für Konsumkredite, wenn diese vor Kenntnis der Unterhaltspflicht aufgenommen wurden
  • Kosten für die berufsbedingte oder krankheitsbedingte Anschaffung eines Pkw
  • Vorrangige Unterhaltsverpflichtungen: Für unterhaltsberechtigte Kinder, egal ob minder- oder volljährig, werden die Bedarfssätze aus der Düsseldorfer Tabelle von dem Einkommen abgezogen. Ehegattenunterhalt (auch für geschiedene Ehegatten) ebenfall.
  • Altersvorsorge bei Selbstständigen: bis zu 20% des Bruttoeinkommens bei entsprechendem Nachweis
  • Altersvorsorge bei Nicht-Selbstständigen (insb. Riester-Rente, ggfs. auch Kapitallebens- und/oder Rentenversicherung). Maximal 5% des Bruttoeinkommens dürfen verwendet werden.
  • Berufsbedingte Aufwendungen. Voraussetzung ist, dass solche tatsächlich anfallen. Fahrtkosten, Gewerkschaftsbeiträge, Fachzeitschriften, Berufskleidung etc.
  • Kranken- und Pflegeversicherungskosten bei Beamten und Selbstständigen (ggfs. bei allen: Krankenzusatzversicherung)
  • Zuzahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung
  •  Andere Versicherungen (Hausrat, Rechtsschutz, Haftpflicht etc): Die meisten Sozialämter bringen die Prämien für solche Versicherungen in Abzug, also auf jeden Fall angeben.
  •  krankheitsbedingte Aufwendungen
  • Werbungskosten
  • Evtl. Schulden

Selbstbehalt: Was zum Leben bleiben muss

Hat man das bereinigte Nettoeinkommen ermittelt, stellt sich die Frage nach dem sogenannten Selbstbehalt. Das ist der Betrag, der dem Kind und seiner Familie vom Einkommen bleiben muss, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. "Genau festgelegte Beträge hierfür gibt es nicht, denn grundsätzlich kommt es immer auf den Einzelfall und die bisherigen Lebensverhältnisse an", klärt Fachanwältin Stein auf. "Zur Ermittlung der Lebensverhältnisse existieren bei den Oberlandesgerichten die regional gültigen Unterhaltsrechtlichen Leitlinien. In diesen ist geregelt, wie sich die Unterhaltsansprüche grundsätzlich errechnen und wie hoch der Selbstbehalt ist."

Eingearbeitet in diese Leitlinien ist die sogenannte Düsseldorfer Tabelle, die die Gerichte nahezu bundesweit zur Ermittlung des Unterhalts heranziehen. Nach dieser Tabelle bleiben dem unterhaltspflichtigen Kind mindestens 1400 Euro und seinem Ehegatten mindestens 1050 Euro. In diesen Beträgen sind Kosten für die Warmmiete für einen Alleinstehenden in Höhe von 450 Euro enthalten bzw. für Ehepaare in Höhe von 800 Euro. Ist die Miete höher, kann das beim Sozialhilfeträger geltend gemacht werden.

Wichtig: Von dem bereinigten Nettoeinkommen, das über dem Selbstbehalt liegt, muss nur die Hälfte als Unterhalt eingesetzt werden.

Schonzeit für das Vermögen

Auch Vermögenswerte wie Sparbücher, Aktien und fremd genutzten Immobilien der Kinder müssen für den Elternunterhalt eingesetzt werden. Die Frage nach der Höhe ist aber sehr umstritten. Eine allgemeine Regelung gibt es hierzu nicht, die jeweiligen Lebensverhältnisse sind entscheidend.

Aber: Auch Unterhaltspflichtige haben nach der Rechtsprechung ein sogenanntes Schonvermögen! Eine selbstgenutzte Immobilie bleibt grundsätzlich verschont, denn Kinder sollen ihr Eigenheim nicht verkaufen müssen, um Unterhalt leisten zu können. Auch der selbst genutzte PKW bleibt bei der Vermögensberechnung außen vor. Den Verkauf eines Ferienhauses hält der Bundesgerichtshof (BGH) hingegen für zumutbar.

"Die obersten Gerichte betonen, dass Kinder ihren Lebensstandard durch die Unterhaltsverpflichtung nicht einschränken müssen", weiß Stein. Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung (Urteil vom 30.08.2006 (XII ZR 98/04) erklärt, dass der Unterhaltspflichtige berechtigt ist, neben den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung bis zu fünf Prozent seines Bruttoeinkommens als zusätzliche private Altersversorgung aufzuwenden. Dann ist es nur konsequent, ihm auch ein Vermögen in der Höhe zu belassen, wie er es mit diesen Aufwendungen im Laufe eines Erwerbslebens ansparen könnte. Im Einzelfall kann das Schonvermögen durchaus hoch sein, aber es wird immer individuell errechnet.

Grundsätzlich sollte jeder bei diesem komplexen Thema einen Fachanwalt für Familienrecht hinzuziehen. So bleibt der Familienfrieden erhalten und der Betrieb kann weiterlaufen.

Expertenrat: Was tun, wenn die Behörde zur Kasse bittet?
Ist Post vom Sozialamt gekommen, in der Sie zur Zahlung von Elternunterhalt aufgefordert werden? Gehen Sie in die Offensive, wenn Sie mit dem Inhalt nicht einverstanden sind! Lehnen Sie die Forderung ab und lassen Sie sich nicht beirren. Denn die Behörde muss erst einmal ein familiengerichtliches Urteil gegen Sie erwirken, bevor Sie zur Zahlung verpflichtet sind. "Es handelt sich bei einem solchen Schreiben gerade nicht um einen sogenannten Verwaltungsakt, den die Behörde einfach vollstrecken könnte, wie das zum Beispiel bei einem Steuerbescheid der Fall wäre", erklärt Fachanwältin Karin Stein. "Im Zweifel: Nicht zahlen und am besten erst einmal zum Anwalt gehen." Anders sieht es allerdings aus bei der – oft im selben Schreiben angeforderten – Aufforderung zur Auskunft über die Vermögensverhältnisse: Dies ist ein Verwaltungsakt und hiergegen müssen Sie fristgerecht Widerspruch einlegen. Fragen Sie auch hier im Zweifel einen Anwalt.

Praxistipp: Grundsicherung für Rentner prüfen
Bekommt der Unterhaltsbedürftige nur eine kleine Rente, sollte man überprüfen, ob hier ein Anspruch auf Grundsicherung besteht. Die Grundsicherung ersetzt seit Januar 2003 die Sozialhilfe für Rentenbezieher. Der Vorteil der Grundsicherung liegt darin, dass ein Rückgriff auf die Kinder nur erfolgt, wenn diese mit ihrem Einkommen über 100.000 Euro jährlich liegen.

Text: / handwerksblatt.de

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