Mit seiner lockeren und offenen Art kommt Ausbildungsbotschafter Osman Kurban gut bei den Schülern an. Südländische Jugendliche sehen in ihm den großen Bruder und hören aufmerksam zu, was der 30-jährige Kfz-Azubi zu erzählen hat.

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Nachwuchswerber auf Augenhöhe

Osman Kurban ist Ausbildungsbotschafter. An den weiterführenden Schulen in seiner Region wirbt er erfolgreich für eine Lehre, weil er den Jugendlichen glaubhaft von seinen Erfahrungen berichtet.

Vielleicht sind es diese selbstironisch rausgehauenen Sätze, für die Schüler Osman Kurban lieben. "Als ich Achtklässlern erzählt habe, was bei mir alles schiefgelaufen ist, habe ich gemerkt, dass ich voll die faszinierende Person bin", sagt der 30-jährige Auszubildende erst mit ernster Miene, lacht dann doch und streicht sich die kinnlangen schwarzen Haare hinters Ohr. Manchen Personalchef dürfte der Blick in seine Bewerbungsmappe deutlich weniger amüsiert haben.

Dilara Ürensel hingegen hat ihn zu einem kurzen Kennenlerngespräch ins Autohaus Markötter eingeladen. Das bietet sie den meisten Lehrstellenbewerbern an. "Obwohl er schon verheiratet ist und Geld verdient hat, wollte er mit 27 Jahren noch eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker bei uns machen", erinnert sich die Ausbildungsverantwortliche. Dass Osman Kurban so überzeugt von seiner Berufswahl ist, hat sie gepackt. "Unser Eindruck war: Das kann nur gutgehen!" So gut, dass sie ihn sogar zum Ausbildungsbotschafter schulen lässt.

Seit Anfang 2015 werben Lehrlinge an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Nordrhein-Westfalen für eine duale Ausbildung. Tuba Hastaoglu von der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld ist eine von 23 Koordinatoren, die Azubis zum Ausbildungsbotschafter qualifiziert und ihre Einsätze steuert. Momentan kann sie auf etwas mehr als 60 junge Handwerker zurückgreifen – rund ein Drittel von ihnen mit Migrationshintergrund. "Doch gerade Osmans Geschichte finden die Schüler extrem spannend." Vermutlich, weil sich viele darin selbst wiederfinden.

Erst mit 27 macht es "Klick"

Osman Kurbans Berufsorientierung verläuft ziemlich orientierungslos. Rückblickend ist die Berufsinformationsbörse an der Realschule für ihn vor allem eins: ein schöner, freier Tag. Auch das zweiwöchige Pflichtpraktikum, das er nach Abklappern einiger Geschäfte in einem Computerladen macht, hilft kaum weiter. Aus Mangel an Ideen geht er nach der Zehnten ans Berufskolleg. Dort schafft er das Fachabitur. Aber wieder hat er keinen Plan.

Ein Bekannter seines Vaters verschafft ihm eine einjährige Einstiegsqualifizierung bei Karstadt. Dem schließt sich eine kaufmännische Ausbildung in der Multimedia-Abteilung des Kaufhauskonzerns an. Doch wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wird sie aufgelöst. Immerhin kommt Osman Kurban in der Schmuck- und Uhrenabteilung unter. "Klick" macht es bei ihm erst, als er sich mit einem Kollegen unterhält, der nach vier Jahrzehnten in Rente gehen wird. "Mit 63 wollte ich nicht mehr bis spät abends oder am Wochenende bei Karstadt stehen. Also habe ich mit 27 Jahren meine ersten Bewerbungen geschrieben."

Der junge Osman lebt lange Zeit nach der Devise "Es läuft schon irgendwie". Als es nicht läuft, gilt: "Was Papa sagt, wird gemacht." Doch der Vater hat so seine eigenen drei Prinzipien: Mein Sohn, du gammelst nicht zu Hause rum! Dein Lebenslauf darf keine Lücken haben! Die beste Arbeit ist die mit Anzug und Krawatte! "Wir haben nie darüber gesprochen, was genau ich beruflich machen möchte", sagt Osman Kurban. Ähnliches hat auch Dilara Ürensel erlebt. "Meine Eltern haben mich nicht an die Hand genommen und gesagt: So, jetzt gehen wir zusammen auf eine Messe und gucken uns an, welche Berufe es gibt." Doch beide sind ihrer Familie deshalb nicht böse. "Sie wussten es halt nicht besser. Darauf nehmen wir Rücksicht und haben dafür Verständnis", begründet sie.

Dem großen Bruder hört man zu

Nun ist der 30-Jährige dieser Ältere und profitiert davon, wenn er als Ausbildungsbotschafter die Schulen besucht. "Die südländischen Kinder sehen in mir den großen Bruder. Wenn ich mich vorstelle, wird auch der größte türkische Klassenclown leiser und hört zu." Er erzählt ihnen seine Geschichte. Dass er schon als Junge gerne geschraubt hat und vernarrt in Autos war, das Naheliegende aber nicht erkannt hat. Er empfiehlt den Schülern, sich vor den Spiegel zu stellen und zu fragen, wer sie sind, was sie können, wo sie hinwollen. Dann Praktikumsbetriebe suchen, Bewerbungen schreiben, Klarheit schaffen.

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Auch in der eigenen Familie ist Osman Kurban engagiert. Seine "kleine Lebensaufgabe" sei es, den vier jüngeren Cousinen bei der Berufs- und Studienwahl zu helfen. Dass er überzeugend genug ist, erlebt Handwerkskammermitarbeiterin Tuba Hastaoglu bei jedem seiner Einsätze. "Nach dem Unterricht stürmen die Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf Osman zu und klatschen ihn ab."

Die kostenlose Schulung zum Ausbildungsbotschafter dauert bei der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld circa einen Tag. Dafür und für die Schuleinsätze werden die Betriebe gebeten, ihre Auszubildenden freizustellen. Bei den Schulungen ist Tuba Hastaoglu vor allem die Selbstreflexion wichtig. "Die Azubis müssen überzeugt von ihrer Berufswahl sein und Spaß daran haben, was sie machen. Sonst springt der Funke bei den Schülern nicht über." Darüber hinaus lernen sie Präsentationstechniken kennen. "Je nach Typ können sie dann selbst entscheiden, ob sie auf eine PowerPoint-Präsentation, ein Rollenspiel oder einen Vortrag zurückgreifen, um ihren Beruf und das duale Ausbildungssystem vorzustellen." Bei den Anfragen von Schulen achtet sie auch darauf, dass beide Seiten harmonieren. "Besteht eine Klasse aus vielen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, setze ich möglichst einen Ausbildungsbotschafter mit Migrationshintergrund ein."Nach langem Anlauf hat Osman Kurban seinen Traumberuf gefunden. Etlichen seiner Landsleute gelingt dies nicht. Laut dem aktuellen Berufsbildungsbericht haben 42 Prozent der 20- bis 34-Jährigen mit türkischer Staatsangehörigkeit keinen Berufsabschluss. Bei den Deutschen in dieser Altersgruppe sind es 9,6 Prozent. Eine gezieltere Berufsorientierung könnte helfen. "Mit den Ausbildungsbotschaftern kommen wir besser an die Schülerinnen und Schüler heran, deren Eltern sich nicht um die Berufswahl ihrer Kinder kümmern können", ist Dilara Ürensel überzeugt.

Text: / handwerksblatt.de

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