Im Interview: Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic, über die Herausforderungen der Krankenkassen durch die Pandemie.

Im Interview: Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic, über die Herausforderungen der Krankenkassen durch die Pandemie. (Foto: © Thorsten Schmidtkord)

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"Corona-Kosten nicht Beitragszahlern aufbürden"

Die Pandemie stellt die gesetzlichen Krankenkassen vor große Herausforderungen. Das Deutsche Handwerksblatt sprach mit Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic, über die aktuelle Situation.

Frank Hippler ist Vorstandsvorsitzender einer der größten handwerklichen Krankenkassen in Deutschland, der IKK classic. Im Interview erläutert er, wie schrumpfende Einnahmen und steigende Kosten die gesetzliche Krankenversicherungen in die Zange nehmen. Er warnt davor, dass es in Zukunft zu finanziellen Engpässen bei den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherungen kommen könnte, weil durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit Einnahmen wegbrechen – und gleichzeitig eine Kostenlawine durch die Corona-Krise droht, wenn nicht gegengesteuert wird.

DHB: Herr Hippler, schon im März gab es erste Forderungen eines Rettungsschirms für die gesetzlichen Krankenkassen, kürzlich gab es Krisengespräche mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Geht es den Kassen so schlecht?
Hippler: Die Pandemie geht auch an uns nicht vorbei – die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat die Rolle, das Gesundheitssystem in der Krise am Laufen zu halten. Wie die GKV diese Herausforderung verkraftet, das hängt auch von der weiteren Entwicklung ab. Aktuell greift die Politik kräftig in die Rücklagen des Gesundheitsfonds, um diverse Schutzschirme zu finanzieren. Gleichzeitig werden Kurzarbeit oder sogar Arbeitslosigkeit perspektivisch die Beitragseinnahmen empfindlich vermindern.

DHB: Wie ist die Lage dann generell?
Hippler: Für ihre Einnahmen haben Krankenkassen genau zwei Quellen: Der Löwenanteil sind die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, die vom Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) an die Kassen verteilt werden, der Rest kommt aus individuellen Zusatzbeiträgen. Für 2020 sind unsere Einnahmen garantiert. Der Gesundheitsfonds muss zahlen, selbst wenn er nicht über genügend Mittel verfügt. Die diversen Schutzschirme für Krankenhäuser, Ärzte und viele andere Player im Gesundheitswesen schlagen empfindlich auf die Liquidität des Gesundheitsfonds.  Das BAS hat darum schon begonnen, die Zuweisungen an die Kassen zu strecken, also in kleineren Tranchen als gewohnt zu überweisen. So wird die im Zuge von Corona rasch wachsende Liquiditätslücke vom Fonds  elegant an die Kassen weitergereicht.

Video-Interview mit Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic. Foto: © IKK ClassicVideo-Interview mit Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic. Foto: © IKK Classic

DHB: Dann drohen Liquiditätsengpässe?
Hippler: So ist es. Nehmen wir als Beispiel die IKK classic, Wir haben monatliche Ausgaben von 900 Millionen Euro. Nehmen wir an, statt 500 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds kommen nur 200 Millionen Euro am Monatsanfang bei uns an. Gleichzeitig müssen wir Rechnungen von Krankenhäusern jetzt noch kurzfristiger als bisher bedienen. Dann ist das schon eine Herausforderung für die Finanzabteilung, Mittel liquide zu machen. Wenn man wie wir gute Rücklagen hat, gelingt das ganz gut. Es gibt aber auch schwächere Kassen, bei denen das zwischenzeitlich zu Zahlungsproblemen geführt hat. Was dann oft vergessen wird: Für Krankenkassen besteht ein Kreditverbot.

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DHB: Also kann eine Kasse im Gegensatz zu Unternehmen nicht zur Bank gehen, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken …
Hippler: … sondern muss an ihre Rücklagen heran und sie notfalls sogar mit Verlust auflösen. Wir als IKK classic haben Rücklagen von rund einer Monatsausgabe und sind daher gut aufgestellt. Das unterscheidet uns von so manchen großen Playern, die an ihre Liquiditätsgrenzen kommen.

DHB: Also sind manche besser oder schlechter aufgestellt?
Hippler: Das muss man so konstatieren. Generell hat die GKV Rücklagen aufgebaut, im Gesundheitsfonds und bei den einzelnen Kassen. Je nach Standpunkt ist das viel oder wenig. Schließlich bewegen wir jedes Jahr in der GKV gut 240 Milliarden Euro, da sind 20 Milliarden Rücklagen, die z. B. der Gesundheitsfonds vor Corona angespart hatte, eher relativ. Bei den Kassen ist das Geld unterschiedlich verteilt: Manche haben zwei oder drei Monatsbeiträge auf der hohen Kante, andere haben weit weniger als eine Monatsausgabe.

DHB: Wenn Einnahmeverluste durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit jetzt noch nicht bei Ihnen ankommen, trifft es die GKV aber 2021.
Hippler: Ja, das liegt am Konstrukt des Gesundheitsfonds. Zuweisungen lassen sich natürlich kürzen, aber das schlägt erst nächstes Jahr durch.  Die Frage ist: Woher wird das Geld für die aktuellen Corona-Maßnahmen am Ende kommen. Aus Beiträgen oder aus Steuern? Davon hängt ab, ob man sich schon bald Gedanken um die Beiträge zur Sozialversicherung machen muss.

DHB: Für die Sozialversicherung gibt es die magische Grenze von 40 Prozent, die die Lohnnebenkosten nicht überschreiten sollte.
Hippler: Das ist richtig, aber wir haben bei allen Sozialversicherungen Corona-bedingt besondere Lasten. Immerhin ist Bundesgesundheitsministers Jens Spahn bemüht, diese besonderen Kosten über Steuermittel zu finanzieren. Das würde bedeuten, dass die Beiträge nicht oder nicht im erheblichen Maße angehoben werden müssten.

IKK classic Vorstandsvorsitzender Frank Hippler. Foto: © IKK ClassicIKK classic Vorstandsvorsitzender Frank Hippler. Foto: © IKK Classic

DHB: Die Kosten sind nicht wegzudiskutieren. Wäre die Erhöhung der Beitragssätze eine Option für Sie?
Hippler: Die Pandemie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Daher sollten die Kosten auch entsprechend von der Gemeinschaft geschultert werden, sprich aus Steuermitteln. Zugegeben, die GKV deckt mit 90 Prozent Anteil den größten Teil der Gesellschaft ab. Aber die Privatversicherungen müssten auch ihren finanziellen Beitrag leisten. Ein Anstieg der Lohnzusatzkosten wäre jedenfalls gerade beim angestrebten Neustart der Konjunktur nach Corona nicht zu vermitteln. Die lohnintensiven Branchen von Handwerk und Mittelstand würde das besonders treffen.

DHB: Welche Forderung haben Sie dann an die Politik?
Hippler: Zunächst müssen mit Blick auf die Liquidität die Zahlungen aus dem Gesundheitsfonds verlässlich kommen. Der ehemals prall gefüllte Gesundheitsfonds weckt Begehrlichkeiten und es wird von allen Seiten darauf zugegriffen. Aber durch gestreckte Zuweisungen werden Probleme des Gesundheitsfonds auf die Krankenkassen übertragen. Mein Eindruck ist übrigens, dass sich bis zum Jahresende wenig ändern wird und wir wohl lernen müssen, damit umzugehen. Für unser Haus kann ich nur sagen: Das schaffen wir.

Außerdem sollten Kosten, die nicht originäre Kassenleistungen sind, nicht den Kassen und ihren Beitragszahlern aufgebürdet werden.  Für uns ist es wichtig, dass das ordnungspolitisch sauber getrennt wird.

DHB: Sie zielen auf die Kosten für die Gefahrenabwehr ab, also flächendeckende Tests oder den Aufbau von Intensivbetten ...
Hippler: …die die Stellen finanzieren sollten, die dafür auch zuständig sind. Intensivbetten sind ein gutes Beispiel. Pro Intensivbett reden wir über eine Investition von 50.000 Euro. Doch für Krankenhausinvestitionen sind die Bundesländer zuständig – und die ducken sich seit Jahren bei Investitionen weg. Und bei flächendeckenden Tests, also auch für Gesunde, steht schnell eine Summe von zehn bis 15 Milliarden Euro pro Jahr im Raum, was einem vollen Beitragssatzpunkt entspricht! Es ist in Ordnung, beispielsweise bei Tests für Gesunde die Infrastruktur der Kassen zu nutzen. Aber es muss gewährleistet sein, dass die zuständigen Stellen diese Kosten übernehmen, also der Staat aus Steuermitteln, nicht die beitragsfinanzierte GKV.

DHB: Davon dürften die einzelnen Kassen der GKV unterschiedlich profitieren.
Hippler: Sie meinen das eher kasseninterne Thema des Risikostrukturausgleichs. Es darf nicht passieren, dass beim Finanzausgleich am Ende ein paar Kassen als Gewinner und andere als Verlierer der Pandemie dastehen. Die Mittelaufbringung muss daher wettbewerbsneutral erfolgen.

Das Interview führte Stefan Buhren.

Text: / handwerksblatt.de

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