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HWK des Saarlandes | November 2024
Wirtschaftspolitik neu ausrichten
Die Handwerkskammer des Saarlandes wünscht sich von der Landespolitik konkrete Maßnahmen, die den Mittelstand und das Handwerk entlasten.
Professor Dr. Dr. h.c. Bert Rürup im Gespräch mit dem Deutschen Handwerksblatt. (Foto: © Michael Block)
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Juli 2019
Im Interview mit dem Deutschen Handwerksblatt spricht sich Rentenexperte Bert Rürup für eine Reform der Unternehmensbesteuerung aus.
Der Präsident des Handelsblatt Research Institutes (HRI) und Ex-Wirtschaftsweise Prof. Dr. Dr. h. c.Bert Rürup bescheinigt dem Handwerk weiterhin eine goldene Konjunktur. Um dem Nachwuchsmangel entgegenzutreten, sei eine ordentliche Altersversorgung wichtig. Die Handwerkerversorgung könne in Teilen sogar als Vorbild für die geplante Pflichtversicherung für Selbstständige dienen. Die aktuelle Herausforderung liege in der Vermeidung von Altersarmut. Bei der geplanten Versicherungspflicht für Selbstständige müsse das Rad nicht neu erfunden werden. Außerdem fordert er weniger Bürokratie beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
DHB: Herr Professor, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Dieter Kempf hat am Tag der Industrie Anfang Juni kräftig gegen die Regierung gekeilt: Die Wirtschaftspolitik schade den Unternehmen. Ist die Kritik berechtigt?
Bert Rürup: In der Sache war das nicht falsch. Nicht erst in dieser Legislaturperiode gab es keine wirklichen wachstumspolitischen Initiativen. Nach der globalen Krise 2008/9 setzte bei uns ein anhaltender und bemerkenswert beschäftigungsintensiver Aufschwung ein. Und wirtschaftlich gute Zeiten sind zumeist schlechte Zeiten für weitreichende Reformen. Wirklich große Reformen, die immer auch Verlierer haben, sind zumeist nur in schlechten Zeiten durchsetzbar – wie zuletzt in den gesamtwirtschaftlich lausigen Nullerjahren. Die wachstumspolitische Abstinenz hat Deutschland für Unternehmen zu einem Hochsteuerland mit einer veralteten Infrastruktur und technologischen Schwachstellen werden lassen. Auf diese Versäumnisse hat der BDI-Präsident zu Recht hingewiesen. Da er sich dabei ein Stück weit im Ton vergriffen hat, konnte Bundeskanzlerin Merkel souverän kontern und hat dafür viel Applaus bekommen.
DHB: Wo kann die Bundesregierung etwas für die Unternehmen im Mittelstand tun?
Rürup: Ganz vorn steht eine Reform der Unternehmensbesteuerung. Da sind Anpassungen an die internationale Entwicklung in den letzten Jahren erforderlich – nicht zuletzt an die deutliche Senkung der Körperschafssteuer in den USA durch Präsident Trump. Es gibt zwar keine optimale Investitionsquote, aber angesichts der stolzen Gewinne der deutschen Unternehmen könnte und sollte die inländische Investitionsquote höher sein – was auch den immensen deutschen Leistungsbilanzüberschuss verringern würde. Außerdem muss unser Land mehr für die Bildung tun und in die digitale Infrastruktur investieren. Das käme auch dem Mittelstand zugute.
DHB: Nun stagniert die Konjunktur der deutschen Industrie ja auch nach den Berechnungen Ihres Instituts. Aber dem Handwerk geht es nach wie vor gut. Muss der Handwerksbetrieb sich keine Sorgen machen?
Rürup: Weil dank der unverändert hohen Beschäftigung der private Verbrauch weiterhin gut läuft und der Bausektor weiter boomt, hat die vor einem Jahr einsetzende Schwäche der Industrie noch nicht zu einer Rezession geführt. Dennoch dürfte das gesamtwirtschaftliche Wachstum in diesem Jahr nahezu zum Erliegen kommen. Ich hoffe aber, dass im kommenden Jahr, wenn die USA und China ihren Handelskrieg beigelegt haben, die deutsche Wirtschaft wieder merklich an Fahrt gewinnen wird. Denn sie schwimmt nun einmal wie ein Korken auf der Weltkonjunktur. Und was das Handwerk anbetrifft, ist die Baukonjunktur entscheidend, die wiederum eng an der Zinsentwicklung hängt. Da die Europäische Zentralbank nach Lage der Dinge bis auf weiteres nicht von ihrer ultraleichten Politik abkehren wird, sehe ich keinen Grund, weshalb das Handwerk sich sorgen müsste. Das hat immer noch den sprichwörtlich "goldene Boden".
DHB: Also auch eine goldene Zukunft?
Rürup: Die entscheidenden Herausforderungen der Zukunft sind weniger der Auftragsmangel als mehr der Nachwuchs- und Fachkräftemangel.
DHB: Dann kommt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wie gerufen?
Rürup: Das hätte allerdings weniger bürokratisch ausfallen können. Bislang ist aber die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU für das Handwerk viel wichtiger als eine strikt regulierte Fachkräfteeinwanderung. Die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit hat dem Handwerk viel genutzt. So hatten wir in den Jahren 2012/13 eine kräftige Zuwanderung von Arbeitskräften – nicht zuletzt aus den osteuropäischen Mitgliedsländern. Aber man kann und sollte nicht nur auf Europa schauen. Denn je höher das Wachstum in den bisherigen europäischen Entsendeländern ist, desto weniger qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden von dort zu uns kommen, wenn sie in ihren Heimatländern Arbeit finden. Ich würde mir bürokratische Erleichterungen wünschen, um das Potenzial der oft auf der Flucht befindlichen Personen aus Drittländern besser nutzen zu können.
DHB: Es fehlt zunehmend an Nachfolgern für Betriebsübernahmen. Wie passt da die geplante Versicherungspflicht für Selbstständige ins Bild? Schreckt das nicht ab?
Rürup: Die Angehörigen der verkammerten Berufe sind seit eh und je obligatorisch in den berufsständischen Versorgungswerken versichert, für Handwerker gibt es seit langem die Handwerkerpflichtversicherung, und auch eine Reihe von Selbstständigen wie zum Beispiel Lotsen oder Hauslehrer sind obligatorisch in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Es ist grundsätzlich ratsam, an diesem etablierten System festzuhalten, anstatt das Rad neu zu erfinden. Die geplante Versicherungspflicht für Selbstständige gilt also nur für etwas mehr als drei Millionen Erwerbstätige, die bislang in keinem der bestehenden Systeme versichert sind.
DHB: Könnte die Handwerkerversorgung eine Art Blaupause für die neue Gesetzesinitiative sein?
Rürup: Bei einigen Regelungen ist das durchaus überlegenswert, beispielsweise die Halbierung des Beitragssatzes für Existenzgründer in den ersten drei Jahren.
DHB: Dann plädieren Sie dafür, die bisherige Handwerkerpflichtversicherung in die geplante Versicherungspflicht für Selbstständige zu integrieren?
Rürup: Oder bei der Handwerkerpflichtversicherung Anleihen für die Ausgestaltung der neuen Versicherungspflicht zu machen. In erster Linie geht es darum, im Alter nicht auf Fürsorgeleistungen angewiesen zu sein. Wenn bereits hinreichend Eigenvorsorge betrieben wurde, sollte das berücksichtigt werden. Allerdings sollte es kein Wahlrecht zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und einer privaten Vorsorge geben. Heute ist Altersarmut zwar noch kein brennendes Thema, aber dieses Problem kommt auf uns zu – insbesondere in den neuen Bundesländern.
DHB: Und welches System wäre besser geeignet, wenn es doch zu dem angedachten Wahlrecht zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer privaten Vorsorge kommt?
Rürup: Ich plädiere für die gesetzliche Rentenversicherung. Denn dort wird anders als bei privaten Vorsorgesystemen neben dem Risiko der Langlebigkeit auch das der Invalidität sowie der Versorgung der Hinterbliebenen abgesichert. Und wenn eine Wahlmöglichkeit zwischen dem staatlichen Umlagesystem und privaten kapitalgedeckten Versicherungen besteht, ist mit einer Entmischung der Risiken zulasten des staatlichen Systems zu rechnen. Ein Wahlrecht ist mehr ein politischer Kompromiss als eine gut begründete Entscheidung.
DHB: Herr Professor Rürup, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führten Michael Block und Rita Lansch.
Vita: Prof. Dr. Dr. h. c. Bert Rürup (75) ist Präsident des Handelsblatt Research Institutes. Zuvor lehrte der emeritierte Ökonom Finanzwissenschaften an der TU Darmstadt. Daneben engagierte er sich als rentenpolitischer Berater der Bundesregierung und als Wirtschaftsweiser. Nach ihm hat der Volksmund die Basisrente in "Rürup-Rente" umgetauft.
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