Susanne Haus, Präsidentin der HwK Frankfurt/Main

Susanne Haus, Präsidentin der HwK Frankfurt/Main (Foto: © Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main)

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Handwerk: "Keine Frage der Gene"

Nur in jedem fünften Handwerksbetrieb steht eine Frau an der Spitze, in der Organisation ist ihr Anteil noch geringer. Mit Susanne Haus, Präsidentin der HwK Frankfurt, und Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der HwK Rheinhessen, sprechen wir über die Ursachen.

DHB: Wenn Sie auf Veranstaltungen der Handwerksorganisationen sind, reichen die Finger einer Hand, um die Anzahl der Frauen zu zählen. Fühlen Sie sich nicht einsam?
Haus:
Da ich seit der Lehre im Malerberuf, einem männerdominierten Gewerk, schon immer eine der wenigen Frauen gewesen bin, bin ich daran gewöhnt. Immerhin rückt das Thema "Frauenanteil" mehr in den Fokus. Was mir aber auch auffällt, ist die Altersstruktur. Es fehlen einfach junge Menschen, die sich engagieren.

Obermann: Es gibt zwei Hauptgeschäftsführerinnen und drei Präsidentinnen bei 53 Handwerkskammern. Das sagt viel aus - und gilt auch für alle anderen Organisationen. Männer drängen viel eher in die Chefetage.

DHB: Scheitern Frauen an der Phalanx der "alten weißen Männer"?
Haus:
Einzelne Gründe gibt es nicht. Das Handwerk ist in vielen Branchen männerlastig, so dass sich ein hoher Männeranteil automatisch in den Gremien herausbildet. Ein Ansatz wäre es, über die typisch weiblichen Handwerksberufe – etwa Kosmetiker, Konditoren, Augenoptiker, Goldschmiede und neuerdings auch Bestatter – zu gehen und als Kammer Frauen zu ermutigen. Das gilt für das Ehrenamt gleichermaßen, aber es gilt generell, mehr junge Menschen anzusprechen. Aber gerade für Frauen treffen wir auf ein Strukturproblem. Frauen haben über den Beruf hinaus in der Regel viele weitere Verpflichtungen, die ihnen wenig Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten lassen.

Obermann: Hinzu kommt, dass Männer oft mit einem anderen Selbstvertrauen an Aufgaben herangehen. Die Einstellung "Ich kann das!" liegt ihnen näher als Frauen. Sie muss man in der Regel direkt ansprechen, um sie zu gewinnen. Aber dazu gehört es auch, die strukturellen Hindernisse zu beseitigen. Viele Frauen haben eine Doppelbelastung, die Firma UND zu Hause. Vor allem, wenn sie jünger sind und Kinder haben. Trotz vieler Gegenbeispiele liegt das fast immer noch in ihren Händen. Ein Ehrenamt wäre eine dritte Herausforderung, was man erst einmal miteinander vereinbaren können muss.

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Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen Foto: Foto: © Kristina SchaeferAnja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen Foto: Foto: © Kristina Schaefer

DHB: Was muss sich konkret an den Strukturen ändern?
Obermann: Wenn man zu den Rahmenbedingungen blickt, die wir als Handwerksorganisation erst mal nicht beeinflussen können, dann  geht es zum Beispiel um die Betreuungssituation für Kinder. Die ist bei uns in der Region eine Katastrophe – und das lässt sich auch auf andere Regionen übertragen. Weder für Kinder unter oder über drei Jahren lässt sich ein Platz finden – und in der Grundschule geht das erneut los. Fallen Kindergarten oder Schule aus, sind in erster Linie die Mütter die Ansprechpartnerin. Es fehlt an einer Ganztagsbetreuung.

Haus: Grundsätzlich könnten sich Männer auch für andere Dinge zuständig fühlen, als sie das tatsächlich tun. Das klassische Modell ist leider vielfach immer noch der Mann als Chef, während die Unternehmerfrau am Schreibtisch sitzt und alles managt – dabei ist sie eigentlich auf Augenhöhe ebenfalls selbstständig. Das ist im Handwerk ein bisschen stärker verankert als in anderen Bereichen und es dauert wohl noch länger, bis sich das ändert. Die Betreuungssituation ändert sich übrigens nicht, wenn die Kinder einmal aus dem Haus sind. Dann sind es oft die Eltern, die eine zusätzliche Betreuung brauchen. Auch die Seniorenbetreuung bleibt oft an den Frauen hängen.

DHB: Müssen Frauen mehr auf den Tisch hauen?
Haus:
Frauen bekommen immer noch zu häufig Aufgaben automatisch zugeordnet oder eignen sie sich selber an, anstatt klare Grenzen zu ziehen. Frauen müssen ihr schlechtes Gewissen ablegen, wenn sie Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. In der Realität tun sich Frauen schwer, Jobs zu delegieren und dabei ein gutes Gefühl zu haben.

Obermann: Viele Frauen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Job, Familie und Ehrenamt. Sie wollen an allen Stellen alles perfekt machen. Dann ist es aber entscheidend, die eigenen Grenzen zu kennen: Bei der Selbstüberforderung sind Frauen meist ganz weit vorn.

DHB: Fehlt es an Vorbildern, die Nachwuchskräfte animieren könnten, ins Handwerk zu gehen und dort eine Karriere ins Auge zu fassen?
Haus:
Es ist sicherlich eine Frage von Vorbildern, aber generell steht die Frage dahinter, wie wir überhaupt Nachwuchskräfte für das Handwerk gewinnen. Es gibt spezielle Veranstaltungen wie den "Girl’s Day" oder "Mehr Frauen in MINT-Berufen". Aber Vorbilder helfen nur dann, wenn sie Berührungspunkte schaffen und so die Bandbreite des Handwerks aufzeigen. Das gilt nicht nur für junge Frauen, sondern generell, was auch hilft, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Obermann: Wir fordern beispielsweise schon ewig, an den Schulen Werken als Unterrichtsfach wieder einzuführen. In der Politik stoßen wir damit immer auf offene Ohren, weil so jungen Menschen Grundskills beigebracht werden. Doch leider folgen keine Taten. Selbst wenn ein junger Mann oder eine junge Frau später Jurist oder Juristin werden – die Fähigkeit, einen Nagel in die Wand zu schlagen, weil man das im Werkkundeunterricht gelernt hat, schadet keinem. Aber es hilft vor allem zu erkennen, ob ich als junger Mensch eine Affinität zum Handwerk habe. Da helfen Vorbilder, die diesen Weg gegangen sind, extrem. Gerade Frauen muss man immer wieder zeigen und sagen: "Seht her, es geht!"

DHB: Das klingt so, als ob es nur eine Frage der Ansprache ist.
Obermann:
Auf jeden Fall! Die Affinität zu handwerklichen oder naturwissenschaftlichen Berufen ist nicht genetisch bedingt. Das beweist der internationale Vergleich, etwa wenn wir den MINT-Sektor nehmen. Deutschland ist eines der Länder, in denen der Frauenanteil in diesen Berufen besonders niedrig ist. Wäre das eine Frage der Gene, müsste das weltweit identisch sein. Hier in Mainz gibt es ein Mädchen-Gymnasium, da ist der Anteil bei den naturwissenschaftlichen Fächern viel höher als an gemischten Schulen. Das heißt, es ist ein Thema der Ermutigung, den Mädchen zu sagen, "Ja, Du kannst das!"

Haus: Das muss auch in die Köpfe der Eltern und Lehrer, vor allem in die der Lehrer. Wenn wir mit der Berufsorientierung an Gymnasien gehen wollen, hören wir immer noch viel oft: "Wir sind da die falsche Adresse, wir sind schließlich ein Gymnasium." Dabei steht – nicht nur – im hessischen Schulgesetz, dass sowohl akademische und als auch berufliche Bildung in der Berufsorientierung bedient werden muss. Aber an Gymnasien findet das immer noch nicht statt. Die Augenhöhe zwischen diesen beiden Bildungsformen ist immer noch nicht hergestellt. Wir sind mittlerweile so weit auseinander, dass das Handwerk im Hintergrund schon immer funktioniert hat, aber von der gesellschaftlichen Wahrnehmung völlig entkoppelt ist. Immerhin habe ich jetzt das Gefühl, es ändert sich ein bisschen, das Handwerk wird wieder etwas mehr wahrgenommen.

DHB: Eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung bescheinigt Frauen ein erfolgreicheres Gründungsgeschehen, weil sie wesentlich risikoscheuer herangehen. Welche frauenspezifischen Komponenten würden Sie nennen?
Haus:
In der Tat sind Frauen bei allen Themen risikoscheuer, nicht nur bei größeren Investitionen. Sie gründen allgemein weniger, weil sie weniger bereit sind, Risiken einzugehen. Das ist eine Frage der sozialen Verantwortung, die sie für sich, für die Familie, aber auch Mitarbeiter übernehmen.

Obermann: Viele Frauen hinterfragen sich oft, ob sie an vorderster Front mitspielen können, eine ausreichende Expertise haben. Über ein Netzwerk können sich die Frauen gegenseitig ermutigen, sie finden so Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Man darf auch nicht vergessen, dass Frauen gerade mit Kritik von außen viel sensibler umgehen. Egal, was man macht, es gibt immer jemanden, der das kritisiert. Männer haben oft ein anderes Selbstempfinden, Frauen reagieren auf Kritik wirklich sehr stark. Auch da helfen die positiven Impulse über ein Netzwerk, die sie ermutigen, weiterzumachen und durchzuhalten.

DHB: Für Frauen gibt es im Handwerk starke Netzwerke, etwa die Unternehmerfrauen im Handwerk.
Haus:
Das stimmt, weil Frauen einen sehr großen Wert auf Austausch legen. Es ist für sie wichtig, sich bei anderen umzuhören, wie sie vorgegangen sind, um die eigene Vorgehensweise zu optimieren und das Risiko möglichst gering zu halten. In meinem Kammerbezirk habe ich ein Frauennetzwerk gegründet und schon bei der Einladung auf die persönliche Ansprache gesetzt. Ich habe Frauen nicht per E-Mail, sondern analog mit einer extra dafür gemachten Einladung angeschrieben – mit sehr guter Resonanz. Das Entscheidende an einem Frauennetzwerk ist, das sie sich in einem geschützten Rahmen austauschen können. Jetzt steht wieder eine Veranstaltung an, die wir natürlich zusammen mit den Unternehmerfrauen machen.

Obermann: Das sorgt auch dafür, dass mehr Frauen zu den Unternehmerfrauen gehen. Generell gilt es, einen Überblick über solche Netzwerke zu bekommen, um dann konzentrierte Aktionen zu planen und umzusetzen. Wobei die Erfahrung gilt, dass der regionale Bezug wirklich wichtig ist, weil die wenigsten quer durchs Land für eine Veranstaltung reisen. Der Zeitfaktor spielt bei den vielen Aufgaben der Frauen eine wichtige Rolle. Entscheidend ist, dass es solche Plattformen gibt, um anschließend diese regionalen Aktivitäten zu bündeln.

DHB: Muss es mehr Veranstaltungen geben?
Obermann:
Veranstaltungen auf allen Ebenen sind ganz klar hilfreich. Aber es geht auch um das Rollenverständnis, was sich nicht allein mit Events verändern lässt. Nehmen wir den Girl’s Day oder das schulische Praktikum. Ich würde mir wünschen, dass alle, Jungen und Mädchen, während ihrer Schullaufbahn in verschiedene Berufsbilder hineinschauen müssen. Eins davon sollte das Handwerk sein, um sich wirklich ein Bild machen zu können – und das unabhängig von geschlechtsspezifischen Rollenvorgaben.

Haus: Wir müssen ganz früh, schon im Kindergarten, anfangen, um Jungen und Mädchen die vielen Möglichkeiten zu vermitteln. Dabei gilt es auch, Männer- und Frauenrollen nicht so stigmatisiert zu transportieren. Kinder sollten nicht mit bestimmten Rollenvorstellungen aus Bilderbüchern bedient werden. Wir machen ein Wimmelbild-Buch, in dem wir Handwerk verpacken und schon die Kleinsten damit bespielen. So muss sich die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten über den ganzen schulischen Werdegang aufbauen, um die Chancen auch und gerade im Handwerk zu verdeutlichen.

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Text: / handwerksblatt.de

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