Gutachter muss die anerkannten Regeln der Technik nennen
Ein Gericht darf sich bei der Beurteilung, ob ein Werk den anerkannten Regeln der Technik entspricht, nicht auf die persönliche Auffassung eines Sachverständigen stützen, wenn dieser keine konkreten Erkenntnisquellen nennt.
Das Werk sei mangelfrei, sagte ein Gutachter. Warum das so sein sollte, erklärte er aber nicht. Das Gericht muss konkret nachhaken, sonst ist das Urteil nicht korrekt.
Ob ein Handwerker sein Werk mangelfrei erstellt hat, beurteilen Gerichte anhand der "anerkannten Regeln der Technik". Darunter verstehen sie "die Summe der im Bauwesen anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind".
Anerkannte Regeln der Technik = DIN-Normen?
Die anerkannten Regeln der Technik sind allerdings nicht gleichzusetzen mit den DIN-Normen. DIN-Normen sind laut Bundesgerichtshof nur "private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter." Sie können von den anerkannten Regeln der Technik abweichen und auch deutlich darüber hinausgehen. Es gibt Fälle, in denen der Handwerker die einschlägigen DIN-Normen eingehalten hat, sein Werk aber trotzdem fehlerhaft war. Umgekehrt kann eine von der DIN abweichende Ausführung trotzdem fehlerlos sein.
Ein Sachverständiger muss vor Gericht mitteilen, welche Quellen er für die Beurteilung eines Werkes herangezogen hat, wenn er als "den Regeln der Technik entsprechend" bewertet. Tut er das nicht, darf das Gericht diese Einschätzung nicht ohne weitere Nachfragen übernehmen.
Der Fall
Ein Kunde beauftragte einen Fliesenleger mit der Renovierung seines Bades. Später reklamierte er, dass die Flächenabdichtungen an Böden und Wänden fehlten – außer im Duschbereich. Der Auftraggeber argumentierte, dass dies nach der einschlägigen DIN-Norm erforderlich sei. Der Fliesenleger wehrte sich, sein Werk sei mangelfrei.
Das Landgericht (LG) Düsseldorf hatte die Klage des Kunden noch abgewiesen. Dass nur die Dusche abgedichtet worden sei, stelle keinen Mangel dar, begründete es seine Entscheidung, nachdem es einen Sachverständigen angehört hatte. Dagegen legte der Auftraggeber Berufung ein.
Das Urteil
Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf stellte sich auf die Seite des Kunden und verwies die Sache an das LG zurück. Denn dieses hatte nach Ansicht des OLG einen Verfahrensfehler gemacht, weil es Beweisangebote des Kunden übergangen hatte. Dieser hatte unter Bezugnahme auf die einschlägigen DIN-Normen geltend gemacht, dass nach den anerkannten Regeln der Technik der Boden und die Wandfläche im Bereich der Badewanne hätten abgedichtet werden müssen. Dem Hinweis sei das Landgericht zu Unrecht nicht nachgegangen, bemängelte das OLG.
Es muss klar sein: Was war die Grundlage der Beurteilung?
Außerdem sei das LG den lediglich abstrakten rechtlichen Ausführungen des Sachverständigen gefolgt, wonach die Normen keine Gesetze seien. Die eigentlich maßgebliche Frage, ob das Werk den anerkannten Regeln der Technik entspreche, habe jedoch weder der Sachverständige noch das Gericht gestellt und auch nicht beantwortet.
"Das Gericht darf sich bei der Prüfung, welche Ausführung den anerkannten Regeln der Technik entspricht, nicht auf die persönliche Auffassung eines Sachverständigen stützen. Es muss den Sachverständigen anleiten, aussagekräftige Erkenntnisquellen zu nutzen, um die Frage, welche Ausführung den anerkannten Regeln der Technik entspricht, zu beantworten", so das Urteil wörtlich.
Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 22. November 2024, Az. 22 U 40/24
Praxistipp
"Es gibt entgegen einer verbreiteten Auffassung keinen Grundsatz, wonach DIN-Vorschriften und sonstige technische Regelwerke die Vermutung in sich tragen würden, die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben", erklärt Rechtsanwalt Dr. Thomas Gutwin, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. "Einzelne Normen, die sich etwa als neue DIN-Normen erst als anerkannte Regeln der Technik etablieren sollen, haben sich bei ihrer Einführung noch nicht praktisch bewährt." Die jeweils maßgeblichen anerkannten Regeln der Technik seien für jeden Einzelfall zu bestimmen. Sie blieben Prüfungsmaßstab, unabhängig von der formellen Geltung einschlägiger technischer Regelwerke.
"Bleibt es bei der Beurteilung durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen unklar, worauf der Sachverständige seine Beurteilung zur Frage der Ausführung nach den Regeln der Technik stützt, hat das Gericht den Sachverständigen anzuleiten, aussagekräftige Erkenntnisquellen zu nennen", so Gutwin.
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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