Bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, haben Verbraucher ein Widerrufsrecht. Das hat schon so manchen Handwerker seinen Werklohn gekostet: Wer nicht oder falsch über das Widerrufsrecht belehrt, bringt sich unter Umständen selbst um sein Geld. Auch in dem vom Kammergericht entschiedenen Fall ging der Schreiner leer aus, weil er das nicht beachtet hatte.
Der Fall
Ein Eigenheimbesitzer beauftragte im Juni 2019 auf seiner Baustelle einen Schreinermeister mündlich mit verschiedenen Sanierungsarbeiten, unter anderem der Herstellung einer Untersparrendämmung unter den Dachschrägen des Hauses. Der Handwerker begann mit den Arbeiten und stellte eine erste Abschlagsrechnung über 5.507,45 Euro, die der Bauherr auch bezahlte.
Danach gab es Streit über die Abrechnung der Leistungen, weitere Rechnungen wurden nicht mehr bezahlt. Im Mai 2020 widerrief der Kunde den Vertrag und forderte sein Geld zurück. Der Handwerker habe ihn bei dem außerhalb von Geschäftsraumen geschlossenen Vertrag nicht über das Widerrufsrecht belehrt. Dieses erlösche erst ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss, sodass er noch fristgerecht widerrufen könne.
Das Urteil
Das Kammergericht Berlin stellt sich auf die Seite des Kunden. Es liege ein Verbrauchervertrag vor, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde. Diesen habe der Kunde widerrufen können. Die Frist für den Widerruf habe der Bauherr auch eingehalten, da der Schreiner den Kunden bei Vertragsabschluss nicht über das Widerrufsrecht aufgeklärt habe. Somit sei die Widerrufsfrist erst ein Jahr und 14 Tage später erloschen, in diesem Fall also im Juli 2020. Der Widerruf sei demnach wirksam.
Der Schreiner müsse den Abschlag von 5.507,45 Euro zurückzahlen. Eigentlich müsse im Gegenzug der Kunde die erbrachten Leistungen zurückgeben. Dies sei aber nicht möglich, da sie in sein Haus eingebaut sind.
Kein Wertersatz für die getane Arbeit
Der Kunde muss laut Urteil des Kammergerichts dem Handwerker auch nicht den Wert für seine erbrachten Leistungen ersetzen. Das sei ausgeschlossen, weil der Handwerker seine Leistungen ausgeführt habe, ohne den Kläger über sein Widerrufsrecht zu belehren.
Prozessfehler des Handwerkers?
Das Gericht hätte dem Handwerker aber zugestehen können, dass der Widerruf des Kunden hier treuwidrig gewesen und ein untragbares Ergebnis sein könnte. Da der Schreiner oder sein Anwalt im Prozess dazu aber nichts vorgebracht hätten, sei das im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden gewesen.
Das Gericht hat dazu folgendes geschrieben: "Gleichwohl kommt es in Betracht, die Rückabwicklung eines widerrufenen Bauvertrags ohne Wertersatz im Einzelfall als treuwidrig zu Lasten des Unternehmers anzusehen. (...) Da gerade in kleinen Handwerksbetrieben, die nicht über die finanziellen Mittel für eine umfassende Rechtsberatung verfügen, das Widerrufsrecht bei einem auf der Baustelle geschlossenen Bauvertrag häufig unbekannt ist und es mitunter auch als kontraintuitiv empfunden wird, erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass die wertersatzlose Rückabwicklung eines widerrufenen Bauvertrags zu einem treuwidrigen oder vielleicht sogar untragbaren Ergebnis führen kann. Diese Treuwidrigkeit ist durch den betroffenen Bauunternehmer aber darzulegen. Die Darlegung setzt zumindest voraus, dass der Unternehmer die Widerrufsbelehrung des Verbrauchers nur fahrlässig unterlassen hat, die ausgeführten Leistungen mangelfrei sind und vom Verbraucher genutzt werden sowie dass der beanspruchte Wertersatz sowohl aus Sicht des Verbrauchers wie eines objektiven Dritten nicht unangemessen ist. Derartiges hat der Beklagte hier nicht vorgetragen."
Kammergericht Berlin, Urteil vom 16. November 2021, Az. 21 U 41/21
Das Recht bildet nicht den Betriebsalltag ab
Dr. Karsten Felske, Jurist und stellvertretender Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster hat schon einige Firmen zu diesem Problem beraten. Er merkt: "Viele Betriebe, gerade die kleineren, sind mit dem Thema deutlich überfordert. Wenn schon Gerichte die diffizilen Rechtsfragen zum Widerrufsrecht klären müssen, wie kann ich denn dann von einem Handwerker verlangen, dass er sie löst?! Die Realität der Praxis bildet sich nicht mehr im Gesetz ab!" bedauert der Experte. Der eigentliche Grund, warum das Widerrufsrecht noch gar nicht flächendeckend in den Köpfen angekommen sei, liege darin, dass weder die Unternehmer noch die Kunden damit etwas anfangen könnten.
"Der Kunde hat eigentlich nur zwei Fragen an den Handwerker: Was kostet das und wann wird das fertig?" betont Felske. Aber die Handwerker müssen eine Menge Vorschriften einhalten – etwa Datenschutz, Widerrufsrecht, Bauvertragsrecht, Verpackungsgesetz – und sind genervt von der Masse der viel zu komplexen Regelungen. "Dieser ganze Aufwand schlägt sich im Preis nieder. Der Unternehmer muss die Kosten wieder reinholen", weiß der Kammerjurist. "Alle beschweren sich über die hohen Preise im Handwerk, aber denken nicht darüber nach, dass auch diese Verwaltungsleistungen eingepreist werden müssen."
Druck von unseriösen Kunden
Und darüber hinaus bietet der Widerruf auch noch ein Schlupfloch für unseriöse Auftragnehmer: "Das Widerrufsrecht wird von manchen Kunden genutzt, um bei einem Streit über Mängel Druck auszuüben. Denn im schlimmsten Fall geht bei einem Widerruf der Handwerker leer aus. Kunden, die das von ihrem Anwalt wissen, zwingen den Auftragnehmer auf diese Weise, Zugeständnisse zu machen", resümiert Felske. "Am Ende des Tages profitieren nur diejenigen Kunden von der Regelung, die nicht gerade ehrlich sind."
Der Experte kann aber helfen: "Rufen Sie Ihre Handwerkskammer an! Die Juristen beraten gerne zu individuellen Lösungen, denn es gibt keine allgemeingültige Antwort." Am besten findet man ein Geschäftsmodell, das ohne Widerrufsrecht auskommt, also Außer-Haus-Geschäfte und Fernabsatzgeschäfte vermeidet." In den Fällen, bei denen beide Seiten das Widerrufsrecht nicht kennen, rät Felske dem Betrieb immer, bei Streit nach erbrachter Leistung ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsabschluss mit der Geltendmachung von Forderungen zu warten. Denn dann ist die Widerrufsfrist abgelaufen.
Widerrufsrecht beim Werkvertrag
Seit 2014 haben Privatkunden ein 14-tägiges Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen und bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen wurden (AGV).
Beispiel für einen AGV: Der Handwerker nimmt Aufmaß vor Ort und schließt anschließend beim Kunden direkt einen mündlichen Vertrag. In solchen Situationen müssen Betriebe Verbraucher rechtzeitig und umfassend über ihr Widerrufsrecht belehren. Ab diesem Zeitpunkt kann der Kunde 14 Tage lang den Vertrag widerrufen, ohne Angaben von Gründen.
Achtung: Falls die Belehrung über das Widerrufsrecht fehlt, falsch oder unvollständig ist, verlängert sich das Recht auf 12 Monate und 14 Tage! Beginnt der Handwerker mit seiner Arbeit auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden vor Ablauf der 14-tägigen Frist, sollte er auf keinen Fall die Belehrung vergessen. Denn nur dann muss der Kunde bei einem Widerruf die bereits erbrachten Leistungen bezahlen. Ohne ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung geht der Handwerker in solchen Fällen leer aus!
Kein Widerrufsrecht bei Notfalleinsätzen
In Einzelfällen hat der Kunde kein Widerrufsrecht, selbst wenn der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurde. Solche Ausnahmen sind zum Beispiel "Notfalleinsätze" wie dringende Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen, zu denen der Verbraucher den Handwerker ausdrücklich angefordert hat. Das kann etwa ein Rohrbruch sein oder die Beseitigung von Sturm- oder Hagelschäden. Achtung: Die Ausnahmen gelten nicht automatisch. Vielmehr muss der Handwerker den Verbraucher darüber belehren, dass ihm hier kein Widerrufsrecht zusteht.
Praxistipp: Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat Musterformulare für Handwerker erstellt, unter anderem eine Widerrufsbelehrung für Verbraucher. Alle Muster, Informationen sowie einen Ratgeber zum Thema Verbraucher-Widerrufsrecht finden Sie kostenlos zum Herunterladen auf zdh.deDHB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale DHB registrieren!
https://youtu.be/_pYfUE05Khw
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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