Kfz-Azubis produzieren Filme für Youtube-Kanal
Jugendliche schauen gerne Videos auf Youtube. Die Auszubildenden des Hönne-Berufskollegs in Menden produzieren sogar ihre eigenen Beiträge. Der Kanal kfz4me.de zählt schon über eine Million Besucher.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Digitale Medien in der Berufsausbildung
Tarik sitzt vor dem Mikrofon. Dahinter stehen zwei Monitore. Auf dem rechten wartet seine Power-Point-Präsentation darauf, gestartet zu werden. Das Thema: Luftfederung. Tarik räuspert sich, der Rücken wird gerade. Anspannung pur. Lehrer Dr. Markus Schäfer lächelt. "Manchem bricht beim ersten Mal die Stimme, wenn er den Sprechtext zu seinen Power-Point-Folien einspricht", flüstert er. Eigentlich absurd. Schließlich könne jeder Fehler später beim Schneiden gelöscht und der Text bei Bedarf auch mehrmals gelesen werden.
Kleine Clips von ein bis zwei Minuten
Die Kfz-Abteilung des Hönne-Berufskollegs in Menden hat ihren eigenen Youtube-Kanal. Über 150 Filme sind inzwischen unter kfz4me.de zu finden. Die meisten dauern zwischen einer und zwei Minuten. "Länger guckt kein Youtuber. Die Jugendlichen wollen schnell wissen, was los ist", sagt Markus Schäfer. Deutlich mehr Zeit kostet dagegen die Vorbereitung. Sie beginnt mit einer konkreten Problemsituation. Dabei kann es sich um ein Einstiegsszenario handeln, das Markus Schäfer vorgibt.
Am liebsten ist es ihm aber, wenn die Auszubildenden selbst etwas beschäftigt – vor allem theoretische aber auch praktische Probleme aus dem Unterrichts- und Werkstattalltag. "Das Lösen von Pseudoproblemen, die in Fachbüchern vorgegeben werden, löst in den Köpfen der Schüler häufig nur wenig aus. Es sind halt nicht die Probleme des Schülers. Die Schüler haben ihre eigenen Probleme. Sie kennen ihre Defizite", hat der Pädagoge beobachtet und fordert daher mehr Mut dazu, den Schülern eine größere inhaltliche Freiheit zu geben.
Enge Abstimmung zwischen Schülern und Lehrern
Für ihren Film erarbeiten die Auszubildenden zunächst eine Präsentation in Power-Point, in die sie auch selbstgedrehte Filme oder Abbildungen des Verlags Europa-Lehrmittel einbauen dürfen. Anschließend schreiben sie ein passendes Drehbuch in Word. Beides wird vom Lehrer moderiert und ist eng abgestimmt. Dann geht’s in die Sprecherkabine. Der Text und die Präsentation werden im Programm Camtasia zusammengeführt und geschnitten. Bevor der fertige Film im Internet veröffentlicht werden kann, müssen sich der oder die Autoren noch der konstruktiven Kritik der Klasse stellen. "An diesem Punkt besprechen wir zusätzlich die 'alten‘ Arbeitsblätter, die üblicherweise im Unterricht bearbeitet werden, wenn das jeweilige Thema ansteht", erklärt Markus Schäfer.
Tarik beginnt damit, seinen Beitrag einzusprechen. Er ist sehr gut vorbereitet. Den Text hat er sich vorab fünfmal vorgelesen. Trotzdem hakt es an manchen Stellen. In allen Fächern steht der Auszubildende im dritten Lehrjahr zwischen eins und zwei. Aber Lesen ist seine Schwäche. Das ärgert ihn. "Wenn ein Schüler von sich aus merkt, dass er besser Lesen oder Prozentrechnen lernen muss, weil er im Beruf sonst nicht weiterkommt, dann hat man als Lehrer gewonnen", sagt Markus Schäfer. Das Filmemachen helfe dabei. "Es ist deutlich interessanter als Arbeitsblätter auszufüllen oder mit dem Fachbuch zu arbeiten, weil man sich intensiver mit dem Thema beschäftigen muss", bestätigt Tarik. Nach dem ersten Einsprechen will er seinen Beitrag nicht auf Youtube hochladen. Das geht noch besser!
Schüler entwickeln zahlreiche Kompetenzen
Die Schüler achten auf Qualität. Als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent stellen sie die Fachliteratur und Wikipedia-Beiträge kritisch in Frage, entwickeln Sach- und Medienkompetenz und beschäftigen sich mit ethischen und rechtlichen Fragen der Mediennutzung. Auf eines aber legen die Kfz’ler aus Menden besonderen Wert: "In den Filmen erklären wir Technik, Naturwissenschaften oder Mathematik. Wir produzieren keine Reparaturanleitungen für Laien oder fördern die Schwarzarbeit! Wir bilden Experten aus und haben das didaktische Konzept von Beginn an mit der regionalen Kfz-Innung, der Kreishandwerkerschaft Märkischer Kreis sowie dem Berufsbildungszentrum der Kreishandwerkerschaft MK e.V. abgestimmt." Alle Beteiligten seien von Anfang an von der Idee überzeugt und begeistert gewesen. Gemeinsam wurde das Projekt finanziell, personell und organisatorisch nachhaltig unterstützt und auch in Zukunft engagiert begleitet.
Fast drei Millionenr Aufrufe zählte der Youtube-Kanal kfz4me.de bis Anfang 2020. 2.000 Aufrufe verzeichnet der Kanal täglich. Der erfolgreichste Beitrag "Formeln umstellen" wurde fast 280.000 Mal aufgerufen. "Viele schreiben in ihrem Kommentar, dass sie das Thema in der Schule noch nie so gut erklärt bekommen hätten – und das von einem Auszubildenden!", sagt Markus Schäfer. Die angehenden Kfz-Experten und ihre Lehrer sind stolz darauf, dass im Märkischen Kreis ein so erfolgreiches didaktisches Konzept entwickelt werden konnte.
Inzwischen ist Tariks Praxisbeitrag "Aufbau und Funktion einer Luftfederung" einer davon. Ob er auch so oft angeklickt wird? Tarik ist bescheiden. "Ich freue mich über jeden, der sich meinen Film anschaut und etwas daraus lernt."
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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