Beitrag von 2016, aktualisiert im Februar 2018
Die Fleischerei Hidding ist ein Familienunternehmen. Auch die Mitarbeiter sollen die Möglichkeit haben, Beruf und Familie zu vereinbaren. Foto: © privat Bei der Feinkostfleischerei Hidding in Nordwalde im Münsterland gehen die Mitarbeiter offen damit um, wenn die Kita streikt oder ein Elternteil kurzfristig Hilfe braucht. Die Firmenleitung hat ein offenes Ohr für solche Notsituationen. "Wir klären vieles auf dem kurzen Dienstweg und suchen gemeinsam nach Lösungen", sagt Andrea Runge, die das Unternehmen mit sechs Filialen und 80 Mitarbeitern gemeinsam mit ihren Geschwistern Christiane und Thomas Hidding in dritter Generation führt. Im Akutfall kann man der Chefin auch mal eine WhatsApp-Nachricht schicken.
Die Geschäftsführung geht, wo immer es möglich ist, auf die Bedürfnisse ein. Ein Mitarbeiter im Verkauf zum Beispiel hat eine pflegebedürftige Mutter zu Hause und kann seinen Dienst statt um sieben Uhr erst um halb acht beginnen. Die Kollegen unterstützen ihn dabei, indem sie seine Theke am Vortag schon vorbereiten.
Bei einer Teilzeitmitarbeiterin wurde vor einiger Zeit eine schwere Krankheit diagnostiziert. Sie wurde danach nur noch halbe Tage eingesetzt. Wichtig sei in solchen Fällen, so Andrea Runge, dass die Kollegen offen miteinander reden und wissen, warum es solche Sonderregelungen gibt. "Oft sind sie dann sehr verständnisvoll und helfen sich gegenseitig."
"Damit uns die Arbeitskraft dauerhaft erhalten bleibt."
Wenn jemand eine kurzfristige Freistellung wegen einer Pflegesituation brauchen würde, ließe sich das auch unkompliziert regeln, sagt die Unternehmerin. "Wir können die Arbeitszeiten anpassen, den Arbeitsumfang reduzieren, kurzfristige Freistellungen vornehmen oder längere Urlaubsphasen organisieren. Über unsere Arbeitszeitkonten haben die Beschäftigten die Möglichkeit, sich über den Urlaub hinaus weitere Auszeiten zu erarbeiten, ohne finanzielle Einbußen zu haben." Die Fleischerei Hidding tut das alles auch im eigenen Interesse. "Damit uns die Arbeitskraft dauerhaft erhalten bleibt."
39.000 Personen haben Pflegezeit oder Familienpflegezeit genommen
In Deutschland gibt es für alles ein Gesetz. Auch für die Situation, dass ein Angehöriger zum Pflegefall wird und man kurzfristig oder sogar länger eine Auszeit vom Job braucht. Mehr als 40.000 Personen haben die sogenannte Pflegezeit oder Familienpflegezeit seit Einführung des Gesetzes in Anspruch genommen. Aus dem Handwerk kommen sie nicht. "Mir ist ein solcher Fall bisher nicht bekannt, trotzdem gibt es das Problem der Pflege von Angehörigen im Handwerk genauso wie in anderen Wirtschaftszweigen", sagt Gisela Goos, Expertin für das Thema "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" bei der Handwerkskammer Münster. "Handwerksbetriebe lösen eine solche Situation jedoch eher individuell", sagt Goos.
Das bestätigt Stefanie Kühn vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf Düsseldorf und Kreis Mettmann: "Grundsätzlich werden diese gesetzlichen Möglichkeiten extrem selten in Anspruch genommen – und im Handwerk sicherlich noch sehr viel weniger. Wir kennen kein Unternehmen, in dem das genutzt wurde."
Etwa 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut
Derzeit geht man davon aus, dass in Deutschland 3,1 Millionen Menschen pflegebedürftig sind. Etwa 70 Prozent davon werden zu Hause vom Partner, einem Kind oder anderen Angehörigen betreut. Damit diejenigen, die vor einer plötzlichen Pflegesituation stehen, ihren Job nicht aufgeben müssen, hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, wie sie die Arbeit teilweise ruhen lassen oder kürzer treten können. Einen Rechtsanspruch gibt es in Firmen mit 15 beziehungsweise 25 Mitarbeitern, Teilzeitkräfte und geringfügig Beschäftigte eingerechnet. Auszubildende bleiben bei der Berechnung außen vor.
Zinslose Darlehen für den Lohnausfall
Das Gesetz soll denjenigen Arbeitnehmern helfen, deren Arbeitgeber sich nicht auf eine individuelle Lösung einlässt. Ein Mitarbeiter, dessen Firma mehr als 15 Beschäftigte hat, könnte sich also darauf berufen, wenn er keine andere Lösung sieht: Wer einen Angehörigen mit mindestens Pflegestufe I zu Hause betreuen möchte, kann bei Bedarf bis zu sechs Monate komplett aussteigen (Pflegezeitgesetz).
In dieser Zeit gibt es keine Lohnfortzahlung durch den Betrieb, aber man kann ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen. Tipp: Dieses Darlehen wird auf Antrag auch an Mitarbeiter in kleineren Betrieben ausgezahlt, die mit ihrem Chef eine freiwillige Vereinbarung getroffen haben.
Freistellung bis zu 24 Monate möglich
Wenn das halbe Jahr für die Pflege nicht ausreicht, hat der Mitarbeiter – dann aber ab einer Betriebsgröße von 25 Kollegen – einen Anspruch auf eine teilweise Freistellung von insgesamt bis zu 24 Monaten. Er muss das acht Wochen vorher schriftlich ankündigen. Damit der Kollege in dieser Zeit nicht ganz aus dem Job rauskommt, muss er in Teilzeit mit mindestens 15 Wochenstunden arbeiten (Familienpflegezeit).
Dass solche Regelungen bei Handwerksbetrieben fast immer auf der freiwilligen Schiene laufen, hat seinerzeit auch die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig betont. Kleinbetriebe würden ihren Mitarbeitern eher von sich aus Angebote machen, ein familiäres Problem zu lösen, so Schwesig. Die Ministerin verwies bereits bei der Vorstellung des Gesetzes auf einen befreundeten Glasereibetrieb mit zwei Mitarbeitern. Diese hätten gegenüber Schwesig gesagt: "Du glaubst doch nicht, dass wir nicht alles dafür tun, dass wir klarkommen?"
Text: Kirsten Freund
Erste Anlaufstellen
– Hausarzt, Facharzt, Klinik
– Krankenkasse/Pflegekasse
– Pflegestützpunkte
– Unabhängige Patientenberatung
– Sozialstationen von Krankenhäusern, Pflegediensten, Reha-Einrichtungen usw.
– Das Bürgertelefon des Bundesgesundheitsministeriums hat eine eigene Servicenummer für Fragen zum Thema Pflege: 030/3406066-02. Internet: bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege.html
– Sozialämter
– Seniorenberatungen
– Selbsthilfegruppen
– Viele Informationen zum Thema Pflege gibt es auch beim Bundesfamilienministerium. Das Pflegetelefon erreicht man unter Tel.: 030/20179131. Internet: wege-zur-pflege.de
Kurze Auszeit im Akutfall
Arbeitnehmer, die sich akut um eine neue Pflegesituation für einen nahen Angehörigen kümmern müssen, können bis zu zehn Tagen Auszeit nehmen. Das gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens. Tritt der Notfall ein, müssen die Betroffenen ihren Arbeitgeber sofort informieren, am besten schriftlich. Dem Chef ist es freigestellt, ob er eine ärztliche Bescheinigung verlangt. Die zehn Tage muss man nicht am Stück nehmen. Damit es in dieser Zeit für den Beschäftigten keinen Lohnausfall gibt, kann er eine Lohnersatzleistung, das Pflegeunterstützungsgeld, beantragen. Den Antrag stellt der Betroffene bei der Pflegeversicherung der Person, die gepflegt werden muss.
Ratgeber zur Pflege:
Mehrere Ratgeber zum Thema Pflege gibt es auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums. Zum Beispiel den "Ratgeber zur Pflege".
Diesen kann man als Broschüre bestellen oder als PDF-Version herunterladen.
Zum Bestellformular
Sechsmonatige Pflegezeit
Arbeitnehmer können sich für die Pflege zu Hause eine Zeit lang freistellen lassen. Wer in kleineren Betrieben arbeitet, braucht dafür die Zustimmung des Chefs, wer in einem Betrieb mit 15 oder mehr Mitarbeitern arbeitet, sollte erst mit dem Chef über eine freiwillige Lösung auf der freiwilligen Schiene sprechen. Erst wenn sich der Arbeitgeber darauf nicht einlässt, hat man einen Rechtsanspruch auf die bis zu sechsmonatige Pflegezeit, sofern der Angehörige mindestens Pflegestufe I hat. Den Arbeitgeber muss man zehn Arbeitstage vorher informieren. Beschäftigte können ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen. Das Darlehen gibt es unabhängig von der Betriebsgröße. Es deckt die Hälfte des fehlenden Nettogehalts ab. Es wird später in Raten zurückgezahlt.
Familienpflegezeit mit Teilzeitstelle
Nach der sechsmonatigen Auszeit können die Pflegenden bei Bedarf weiter in Teilzeit arbeiten, insgesamt ist eine Auszeit für maximal 24 Monaten (inklusive der Pflegezeit) möglich – die sogenannte Familienpflegezeit. Die Arbeitszeit muss während dieser Zeit aber mindestens 15 Wochenstunden betragen. Den Einkommensausfall können die Arbeitnehmer durch ein zinsloses staatliches Darlehen ausgleichen. Während der zwei Jahre gilt für die pflegenden Mitarbeiter ein Kündigungsschutz. Einen Anspruch auf die Familienpflegezeit haben sie, wenn ihr Arbeitgeber mindestens 25 Angestellte (ohne Azubis) hat. Den Arbeitgeber muss man spätestens acht Wochen vor dem gewünschten Beginn schriftlich informieren. In kleineren Betrieben muss der Arbeitgeber zustimmen und natürlich auch rechtzeitig informiert werden.
Pflegen– aber wie?
Wer vor der Situation steht, dass er einen Angehörigen pflegen wird, kann sich in Pflegekursen auf die neue Situation vorbereiten. Hier lernt man, wie man einen Pflegebedürftigen wäscht, ihm Essen reicht und ihn versorgt. Die Kurse sind kostenlos und werden von allen Pflege- beziehungsweise Krankenkassen angeboten.
Pflegekosten und Steuer
Viele Ausgaben für die Pflege oder Heimkosten können Betroffene als außergewöhnliche Belastung in der Steuererklärung eintragen. Vorausgesetzt, die Kosten überschreiten eine sogenannte zumutbare Belastungsgrenze. Die Kosten für Medikamente, Hilfsmittel, Krankenhausaufenthalte, für die Unterbringung in einem Pflegeheim und die Pflege kann man nur dann absetzen, wenn die Krankenkasse sie nicht übernimmt, darauf weist der Lohnsteuerhilfeverein VLH hin. Den Pflege-Pauschbetrag von 924 Euro pro Jahr kann man dann von der Steuer absetzen, wenn man sich an der Pflege eines Angehörigen mit Pflegestufe III beteiligt, der nicht im Heim lebt. Die Voraussetzungen für den Pflege-Pauschbetrag sind allerdings streng.
Für den hauswirtschaftlichen Anteil der Pflege können die Steuerabzugsbeträge für haushaltsnahe Hilfen beansprucht werden. Zum Beispiel wenn ein ambulanter Pflegedienst kommt und die Wohnung reinigt oder Essen bringt. Bis zu 4.000 Euro im Jahr können hier bei der Steuer berücksichtigt werden. Ob ambulanter Pflegedienst oder Beschäftigung einer Pflegekraft: Seit 2014 kann man wählen, ob man die Kosten als haushaltsnahe Dienstleistung oder als außergewöhnliche Belastung absetzt.
Muss die Wohnung für die Pflege barrierefrei umgebaut oder angepasst werden, können zudem die Handwerkerkosten bei der Steuer angegeben werden. Dafür brauchen Betroffene eine Handwerkerrechnung, die Material und Arbeitslohn getrennt auflistet, denn nur der Lohnanteil wird berücksichtigt.
Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
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