Abi und Ausbildung im Doppelpack
Mit dem Berufsabitur will das Handwerk leistungsstarke Jugendliche ansprechen. Bis zum Sommer soll ein Konzept dafür vorliegen. Die Kammern setzen große Hoffnungen in die Doppelqualifizierung.
Das Handwerk will einen neuen Karriereweg bauen. Eine Kombination aus Gesellenbrief und Hochschulzugangsberechtigung soll die duale Ausbildung attraktiver machen und mehr leistungsstarke Jugendliche anziehen. Seit Anfang Dezember beschäftigt sich die Kultusministerkonferenz (KMK) mit einem Positionspapier zum Berufsabitur. Gemeinsam mit den 16 Vertretern der Bundesländer will der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) klären, ob und wie sich ein doppelqualifizierender Bildungsgang schaffen lässt.
Bei der Erarbeitung konzeptioneller Grundlagen geht es um viele Detailfragen: Lässt sich das Berufsabitur ins bestehende System der duale Ausbildung integrieren? Wird die fachgebundene oder die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung angestrebt? Haben die Jugendlichen eher den Status eines Auszubildenden, Schülers oder irgendetwas dazwischen? Ist das Berufsabitur sowohl für eine zwei-, drei- und dreieinhalbjährige Ausbildung möglich? "In der Arbeitsgruppe führen wir eine fachliche, keine politische Diskussion", verdeutlicht Mirko Pollmer, Referatsleiter in der Abteilung berufliche Bildung beim ZDH.
Vorbildliche Modelle in Österreich und Sachsen
Vorbilder nach den Vorstellungen des Handwerks gibt es bereits. "Die österreichische Lehre mit Matura ist ein bundeseinheitliches Modell, das von allen Beteiligten ausgehandelt worden ist", erklärt Pollmer. Eine duale Ausbildung – basierend auf einem Lehrvertrag zwischen Betrieb und Azubi – wird mit einer schulischen Ausbildung, die zur Hochschulzugangsberechtigung führt, kombiniert. Die Bildungsexperten der Alpenrepublik hatten es auf dem Weg zu einer landesweit einheitlichen Regelung allerdings leichter. "Österreich ist zwar ebenfalls föderalistisch aufgebaut, aber es gibt eine Richtlinienkompetenz des Bundes", erklärt Pollmer. In Deutschland sind hierfür die Bundesländer zuständig.
Ein Schulversuch in Sachsen erprobt umfassend die Idee der Doppelqualifikation. Im Rahmen des Modellprojekts "Duale Berufsausbildung mit Abitur" (DuBAS) können Jugendliche mit einem guten Realschulabschluss innerhalb von vier Jahren einen IHK-Abschluss und die allgemeine Hochschulreife erlangen. Schulen, die zu einem mittleren Bildungsabschluss führen, werden dadurch gestärkt. Eltern und Kinder haben eine Option zum Gymnasium. Doch DuBAS hat einen Haken. "Das Modell wird sich nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen lassen, da es die erforderlichen beruflichen Gymnasien in der Breite nur in Baden-Württemberg und Sachsen gibt."
Mit dem Berufsabitur will das Handwerk "leistungsstarke und leistungsbereite Kandidaten" erreichen. "Das werden in erster Linie Realschüler sein. Wir wollen aber auch die Jugendlichen mit Hauptschulabschluss nicht außen vor lassen", sagt Pollmer. Ein wichtiges Signal soll an die Eltern gesendet werden, die die Schulwahl sowie die Berufs- und Studienorientierung ihrer Sprösslinge immer mehr beeinflussen. "Ihnen wollen wir sagen: Schaut mal, mit einer dualen Ausbildung haben eure Kinder alle Möglichkeiten. Auch im Handwerk stehen alle Karrierewege offen!"
Bis zum Sommer soll die Arbeitsgruppe ein Konzept entwickelt haben. Wann die ersten Jugendlichen sich auf den Weg zum Berufsabitur machen werden, kann Mirko Pollmer nicht voraussagen. "Fest steht, bis dahin müssen wir noch ganz viele Steine aus dem Weg räumen."
Handwerk von der Doppelqualifikation überzeugt
Peter Dreißig kennt das Berufsabitur noch als Berufsausbildung mit Abitur – ein Erfolgsmodell der beruflichen Bildung in der DDR. "Nach der Wende haben wir bei der Handwerkskammer Cottbus für zukünftige Führungspersönlichkeiten im Handwerk eine Doppelqualifizierung angeboten und dabei hervorragende Ergebnisse erzielt", erklärt der Präsident der Handwerkskammer Cottbus. Deshalb stehe er unvoreingenommen für die Idee des Berufsabiturs und verbinde damit die große Hoffnung, Handwerksberufe für Abiturienten attraktiver zu gestalten und den schwierigen Nachfolgeprozess für Betriebe im Handwerk in Zukunft mit geeigneten Führungskräften zu verbessern.
"Berufsausbildung mit Abitur – das ist genau der Bildungsweg, den ich gegangen bin", sagt Wolf-Harald Krüger. Der Präsident der Handwerkskammer Frankfurt/Oder hat in drei Jahren den Beruf des Betonbauers erlernt und gleichzeitig das Abitur abgelegt. "Die fundamentalen Grundkenntnisse der beruflichen Ausbildung, verbunden mit dem vertiefenden Studium des Bauingenieurwesens, bilden die Basis für meine berufliche Karriere bis hin zum geschäftsführenden Gesellschafter in einem mittelständischen Bauhandwerksunternehmen."
Krüger ist überzeugt von den Vorteilen eines solchen Bildungsweges. Er unterstützt alle Aktivitäten zur Einführung des "Berufsabiturs". Aus seiner Sicht ist es ein "dringend notwendiger Schritt", einem jungen Menschen eine Alternative zur ausschließlich theoretischen Schulausbildung mit der Ausrichtung auf ein Studium zu geben. Die Gesellschaft brauche nicht nur Forschung, Planung und Verwaltung. "Ideen und Pläne in leitender Position vergegenständlichen können diejenigen am besten, die auch auf praktische Berufserfahrungen zurückgreifen können."
Ralph Bührig meint: "Die Kombination einer Berufsausbildung mit dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife wird die Attraktivität der dualen Ausbildung im Handwerk deutlich stärken. Für den Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam wird die große Herausforderung im Flächenland Brandenburg aber die Sicherung von vertretbaren Gruppenstärken sein. "Deshalb können nur neue Organisationsmodelle an den Oberstufenzentren, die berufsübergreifend funktionieren, ein Lösungsansatz sein."
Fehlende Fachkräfte werden aus Sicht von Claus Gröhn zunehmend ein Problem, besonders für kleine und mittlere Unternehmen. "Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe konsequent die Attraktivität der Berufsbildung zu steigern, um mehr leistungsstarke Jugendliche für berufliche Bildungs- und Karrierewege zu gewinnen." Der Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig begrüßt deshalb die Diskussion um die Einführung des "Berufsabitur". "Wir brauchen neben flächendeckender Berufsorientierung an Gymnasien und Angebote für Studienaussteiger ein solches zusätzliches Bildungsinstrument." Die Erfahrungen aus den Betriebsbesuchen im vergangenen Monat hätten gezeigt, dass dieses Thema eine hohe Bedeutung habe, um das Problem der fehlenden Betriebsnachfolger zu lösen. "In unserer Region haben wir gute Erfahrungen, viele der langjährigen Führungskräfte, die heute um die 50 Jahre alt sind, haben diese Bildungsbiografie. Deshalb wünschen wir uns, dass dieser doppelqualifizierende Bildungsgang schnell eingeführt wird."
Auch Claudia Alder ist von der Doppelqualifikation überzeugt. "Das Berufsabitur ist ein Weg für die Ansprache leistungsstarker Schüler, um diese als Fachkräfte für das Handwerk zu gewinnen", erklärt die Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern. Somit werde die Attraktivität der beruflichen Bildung zusätzlich gesteigert und werden weitere berufliche Bildungs- und Karrieremöglichkeiten erleichtert. "Vorteil ist aus Sicht des Handwerks, dass die Jugendlichen auf der Basis der dualen Ausbildung gleichzeitig die betriebliche Praxis in den handwerklichen Unternehmen kennenlernen und hier ihre Fertigkeiten als Grundlage für ein umfangreiches Fachwissen erlernen."
Bernd Lorenz; Foto: © mandy godbehear/123RF.com
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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