Junge Frauen und junge Männer für eine Ausbildung im Gerüstbauhandwerk zu finden, ist in den ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz und dem Saarland schwierig, da der Weg zur Berufsschule sehr lang ist.

Junge Frauen und junge Männer für eine Ausbildung im Gerüstbauhandwerk zu finden, ist in den ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz und dem Saarland schwierig, da der Weg zur Berufsschule sehr lang ist. (Foto: © goodluz/123RF.com)

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Variableres Gerüst für die Beschulung

Betriebsführung

Weite Wege zur Berufsschule halten Jugendliche davon ab, sich für eine Lehre zu entscheiden. Distanzunterricht könnte Abhilfe schaffen. Jeanette Spanier würde ihn gerne im Gerüstbauhandwerk erproben. Schulleiter Joachim Maiss vermeldet schon Erfolge.   

Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Unternehmerin. Anfang September hat Jeanette Spanier den Betrieb ihres Vaters übernommen. Die Geschäftsleitung teilt sich die Gerüstbaumeisterin mit einem langjährigen Kollegen. Sie hat die App "Scaffeye" entwickelt, mit der sich Gerüste rechtssicher prüfen lassen. Mit ihrem Unternehmen "Moselcopter" bietet sie anderen Unternehmen an, Luft- und Bodenaufnahmen zu machen, die in einem 3D-Modell dargestellt werden können. Doch soviel sie auch unternimmt, an einem Punkt hakt es schon seit langem: Kein junger Mensch bewirbt sich mehr um eine Lehrstelle als Gerüstbauer bei der Spanier & Bichler GmbH in Longuich, rund 15 Kilometer nordöstlich von Trier gelegen. "Dabei würden wir jedes Jahr gerne drei Jungs und Mädels als Azubis einstellen."

Jeanette Spanier würde den Distanzunterricht gerne im Rahmen eines Pilotprojekts im Gerüstbauhandwerk erproben. Foto: © Robert HerschlerJeanette Spanier würde den Distanzunterricht gerne im Rahmen eines Pilotprojekts im Gerüstbauhandwerk erproben. Foto: © Robert Herschler

Die Gründe für den Bewerbermangel sind vielfältig: Der Beruf habe mit einem schlechten Image zu kämpfen. Dabei sei es heutzutage sogar möglich, Gerüste mit digitalen Modellen konstruktiv zu planen, so dass die Auszubildenden den Aufbau besser verstehen. Auch sei vielen gar nicht bewusst, dass man zum Gerüstbauer ausgebildet wird. "Ich dachte, das kann jeder machen!", bekommt Jeanette Spanier auf Ausbildungsmessen zu hören, wenn die Besucher nicht eh einen großen Bogen um ihren Stand machen. Auch die Schulen, an denen sie gerne für ihren Beruf werben möchte, haben Berührungsängste. Bleiben noch die sozialen Medien. "Unsere Beiträge werden zwar sehr oft geteilt, aber die Bewerbungen bleiben trotzdem aus."

Hauptproblem: Berufsschulstandort

Als gravierendstes Problem erweist sich für Jeanette Spanier jedoch etwas ganz Anderes: Für die Azubis aus dem eher ländlich geprägten Rheinland-Pfalz und dem Saarland gibt es in der Region keine Berufsschule. Stattdessen werden sie in sechs bis sieben aufeinander folgenden Wochenblöcken in Groß-Gerau – einer von insgesamt drei Berufsschulen für das Gerüstbauhandwerk in ganz Deutschland – unterrichtet und im Internat untergebracht. Für die Eltern der oft minderjährigen Lehrstellenbewerber sei dies ein "absolutes No-Go". Die Lehrgänge der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung werden in Weiterstadt angeboten.

Über drei Stunden mit Bus und Bahn

Hinzu kommt, dass die 15-, 16-Jährigen für die An- und Abreise zur Berufsschule auf Bus und Bahn angewiesen sind. "Allein vom Hauptbahnhof in Trier dauert es über drei Stunden, bis sie in Groß-Gerau sind." Wer sich erst montagmorgens aufmachen möchte, muss nachts aufstehen. Um zehn nach vier fährt der erste Regionalexpress nach Koblenz. Ankunft nach zweimaligem Umsteigen ist um kurz nach halb acht. Ansonsten bleibt nur, schon am Sonntag anzureisen und im Internat zu übernachten. "Zu beidem haben die jungen Leute verständlicherweise keine Lust. Also suchen sie sich einen anderen Ausbildungsberuf."

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Alternative: Unterricht per Videokonferenz

Dabei gebe es für die Beschulung eine Alternative. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass auch über Videokonferenzen unterrichtet werden könne. Genau das möchte Jeanette Spanier für die Ausbildung im Gerüstbauhandwerk ausprobieren. "Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich die Lehrlinge aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland etwa in einer Handwerkskammer oder im Schulungsraum eines Unternehmens treffen, dort von einer qualifizierten Person beaufsichtigt werden und aktiv am Unterricht der Berufsschule über PC oder Laptop teilnehmen können." Dies könne im Rahmen eines Pilotprojekts getestet werden. Die Unternehmerin ist überzeugt davon, dass es die Ausbildung im ländlichen Raum wieder attraktiver machen könnte. Auch andere Berufe mit ähnlichen Problemen bei der Beschulung würden davon profitieren.

Gerüstbau-Ausbildung in Zahlen2019 ließen sich 850 Männer und neun Frauen in 428 Ausbildungsstätten zum Gerüstbauer bzw. zur Gerüstbauerin ausbilden. Nordrhein-Westfalen ist mit 262 Ausbildungsverhältnissen deutlicher Spitzenreiter, gefolgt von Bayern mit 101. Rheinland-Pfalz zählt 23, das Saarland 20 Auszubildende. Das geht aus der Statistikdatenbank des Zentralverbands des Deutschen Handwerks hervor. Bundesweit hatte das Gerüstbauhandwerk in den vergangenen 20 Jahren die meisten Azubis im Jahr 2010. Damals lernten 1.194 Männer und Frauen lernten den dreijährigen Ausbildungsberuf. Danach sanken die Lehrlingszahlen bis auf 771 im Jahr 2016. Seitdem steigen sie wieder leicht von Jahr zu Jahr an. Die Berufsschulen befinden sich laut dem Bundesverband für das Gerüstbauer-Handwerk in Berlin, Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und Groß-Gerau (Hessen). Sowohl die überbetriebliche Ausbildung als auch die theoretische Ausbildung in den Berufsschulen erfolge blockweise an einer der drei Ausbildungsstätten bzw. Berufsschulen, wobei die Azubis im Internat oder im Hotel untergebracht werden.

Distanzunterricht ist keine Hexerei

Distanzunterricht ist in der dualen Berufsausbildung möglich und technisch keine Hexerei mehr, meint Schulleiter und BvLB-Vorsitzender Joachim Maiß. Foto: © BvLB/Marco UrbanDistanzunterricht ist in der dualen Berufsausbildung möglich und technisch keine Hexerei mehr, meint Schulleiter und BvLB-Vorsitzender Joachim Maiß. Foto: © BvLB/Marco Urban

Ein Modellprojekt könnte die Lösung für das Azubi-Problem der rheinland-pfälzischen und saarländischen Gerüstbauer sein, meint Joachim Maiß. Jedoch nicht so, wie Jeanette Spanier es sich vorstellt. Das von ihr vorgeschlagene Konzept, den Unterricht aus dem Klassenzimmer der Berufsschule in Groß-Gerau zu übertragen, betrachtet der Schulleiter der Multi-Media Berufsbildenden Schulen (MMBbS) in Hannover als einen eher halbherzigen Schritt.

Ähnliche Versuche habe es in Niedersachsen für die Beschulung der Nordseeinseln und von Auszubildenden im Raum Göttingen gegeben. Die Ergebnisse haben ihn nicht überzeugt. "Beim Distanzlernen wird sich der individualisierte Unterricht, bei dem die Schülerinnen und Schüler mit ihren eigenen Endgeräten und von jedem Ort aus arbeiten können, durchsetzen." In einigen Bildungsgängen müsse man derzeit bei der technischen Ausstattung vielleicht noch nachsteuern. "Aber prinzipiell ist Distanzunterricht in der dualen Berufsausbildung möglich und technisch keine Hexerei mehr. Das ist die Berufsschule der Zukunft."

Unterricht komplett virtuell

Wie diese Zukunft aussehen kann, haben die Multi-Media Berufsbildenden Schulen während der ersten Monate der Corona-Pandemie demonstriert. Vom 1. April bis zum Ende des Schuljahres waren nahezu alle 2.400 Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte im Homeoffice. Unterrichtet wurde komplett virtuell. "Das Irre an der Geschichte war: Es hat funktioniert!", zieht Joachim Maiß eine Bilanz des Modellversuchs, den das niedersächsische Kultusministerium mit den MMBbS in der Corona-Krise gestartet hat. Die Rückmeldungen aller Akteure – darunter der Ausbildungsbetriebe – seien "erschreckend positiv" ausgefallen.

Im Klassenraum können Fragen direkt während der Stunde oder kurz danach beantwortet werden. Zu klären war, ob der Distanzunterricht dies auch leisten kann. Das Urteil fällt eindeutig aus. "Die überwiegende Zahl der Schüler sagt, dass das Feedback mindestens genauso gut wie im Präsenzunterricht gewesen ist. Die Hälfte derer meint sogar, dass es noch besser war." Die Lehrkräfte seien während des Online-Unterrichts und danach bis 18 Uhr über eine Chatfunktion ansprechbar und erreichbar gewesen. Die Schüler hätten sich wesentlich intensiver am virtuellen Unterricht beteiligt als in den Präsenzstunden. Als entscheidende Erkenntnis für die Zukunft nimmt Joachim Maiß aus dem Modellversuch mit, dass "Lehrer, Schüler und Betriebe auch nach Corona gerne mit einer ausbalancierten Mischung aus Distanz- und Präsenzunterricht an den MMBbS weiterarbeiten möchten."

Freitag wird zum Online-Tag

Die Obergrenze für den digitalen Unterricht liege laut der Verordnung über berufsbildende Schulen in Niedersachsen derzeit bei 50 Prozent. Im bis zum Schuljahresende 2021 verlängerten Modellprojekt soll eine Quote von maximal 40 Prozent Distanzunterricht erprobt werden. "Es wird darauf hinauslaufen, dass wir beispielsweise beim zweiwöchigen Blockunterricht die Freitage als Online-Tag etablieren", so der Oberstudiendirektor. Dabei würden die Lernsituationen so aufgebaut, dass die Schülerinnen und Schüler in virtuellen Gruppen zusammenarbeiten können. Dass der Präsenzunterricht vollständig durch Homeschooling ersetzt wird, hält Joachim Maiß für unklug. "Gerade zu Beginn eines neuen Schuljahres braucht man eine Onboarding-Phase und man muss die Schüler auch zwischendurch sehen."

Digitalisierung liegt schon seit Jahren in der DNA der Multi-Media Berufsbildenden Schulen. "Wir hatten alles, was man für den Distanzunterricht braucht. Die MMBbs ist schon etwas Besonderes." Dass dieses hohe Niveau kein Standard an deutschen Schulen ist, weiß Joachim Maiß auch aus seiner Arbeit als Vorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB). Und er weiß um die vielen drängenden Fragen, die rund um die Digitalisierung des Unterrichts immer noch unbeantwortet sind.

So werde derzeit nur darüber gesprochen, die Schulen mit Hardware auszustatten. Über die Gestaltung des Unterrichts und die dafür notwendige Aus- und Fortbildung werde dagegen kaum ein Wort verloren. "Für die meisten Lehrkräfte ist Distanzunterricht völliges Neuland, und es ist eine ganz andere Art zu unterrichten. Dafür gebe es bislang weder Konzepte noch Materialien. Ganz zu schweigen von einer Vision, wie sich Bildungspolitiker die Schule der Zukunft vorstellen. "Wir brauchen ganz schnell eine E-Didaktik und Angebote, wie diese E-Didaktik den Lehramtsstudenten und den Lehrkräften vermittelt wird", fordert er als Vorsitzender des BvLB. Diese Aufgabe könne etwa ein Landesinstitut oder eine Hochschule übernehmen.

Konzepte erproben, Erkenntnisse teilen

Doch bis es so weit ist, dürfte noch viel Zeit verstreichen. Zeit, welche die berufsbildenden Schulen als Fachkräftelieferanten der Wirtschaft nicht haben. Stattdessen baut Joachim Maiß auf das Engagement und die Kreativität seiner Kollegen. "In jedem Bundesland gibt es innovative Schulen wie die MMBbS, die ihre eigenen Konzepte zum digitalen Unterricht im Rahmen von Modellprojekten erproben und die daraus gezogenen Erkenntnisse mit anderen Schulen teilen sollten." Dafür müsse statt dem Angstschweiß deutscher Bildungsbürokratie aber stärker der Geist des Silicon Valley durch die Republik wehen. "Nicht erst alles 100 Prozent rechtssicher durchplanen und dann Jahre später anfangen, sondern ausprobieren und anpassen. Wir bauen das Flugzeug quasi, während es fliegt." In diesem Ansatz sieht er derzeitig die einzige Chance, dass die berufsbildenden Schulen mit der Digitalisierung Schritt halten.

Positive und offene Diskussion

Bei der Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk werden die Möglichkeiten einer Fernbeschulung "positiv und offen" diskutiert. "Hierzu werden verschiedene Lösungsansätze erörtert, insbesondere in welchem Rahmen virtueller Unterricht möglich und wie dieser zu realisieren ist", erklärt der Verband auf Anfrage von handwerksblatt.de. Dabei würden auch die Erfahrungen aus den Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie einbezogen. Ebenfalls dazu gehöre die Überlegung, ob und in welcher Region Fernunterricht in einem Pilotprojekt getestet werde.

Noch viele Fragen unbeantwortet

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) betrachtet das Modell der Fernbeschulung als eine mögliche Option, Bestandteile bestehender Qualifizierungsformate in das Zeitalter der Digitalisierung zu überführen. Jedoch habe die Zeit der coronabedingten Einschränkungen gezeigt, dass gerade im Bereich der beruflichen Schulen noch viele Fragen dazu unbeantwortet seien. "Da gab und gibt es situationsbedingt höchst unterschiedliche Ansätze, mit einer Lernsituation umzugehen, in der Schüler wie auch Lehrkräfte zu Hause waren", so der ZDH auf Anfrage unserer Redaktion.

Bevor ein Modellversuch gestartet werden könne, sollten daher zunächst die Rahmenbedingungen klar umrissen werden. Folgende Fragen gilt es aus Sicht des Verbandes vorab zu klären: Wie können Lehrinhalte didaktisch aufbereitet und gehandhabt werden? Welche Hard- und Software sind passend und notwendig? Wie sieht die Lehrerausbildung aus? Seien diese Rahmenbedingungen geklärt, müssten sie in ein schlüssiges Gesamtkonzept überführt werden. Erst dann könne mit möglichen Modellversuchen gestartet werden.

Gerüstbau nur noch "Lego für Große"

"Gerüste werden immer gebraucht. Doch wer wird sie in Zukunft aufstellen?", fragt sich Jeanette Spanier. Fachkräfte findet die Chefin von 25 Mitarbeitern nur noch auf Umwegen. Über die Ausbildung zum Lageristen habe sie schon den einen oder anderen als Monteur ins Gerüst bekommen. Ansonsten arbeite die Branche bereits mit Quereinsteigern. Sollte der gut ausgebildete Nachwuchs weiterhin fehlen, dürften den Betrieben nur noch Unqualifizierte für die Montage bleiben.

Gerüstbau werde dann "Lego für Große", befürchtet die Unternehmerin. "Die kriegen dann das Material hingestellt, einen Aufbauplan in die Hand gedrückt, und wenn alles fertig ist, nimmt es der Meister ab." Im schlimmsten Fall dürfe wieder jeder ein Gerüst aufstellen. Über die Folgen mag sie gar nicht nachdenken. Schließlich gebe es zahlreiche Vorschriften und statische Vorgaben zu beachten. "Wir müssen schleunigst tätig werden, um mehr junge Menschen für eine Ausbildung im Gerüstbauhandwerk zu gewinnen. Das Pilotprojekt könnte ein guter Anfang sein."

Text: / handwerksblatt.de

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