Knut Deutscher gestaltete aktiv die Wende und Aufbruchsphase in der Handwerkskammer Cottbus mit. Jetzt geht der Hauptgeschäftsführer nach 35 Jahren Kammerarbeit in den Ruhestand.
DHB: Herr Deutscher, zum Jahresende wechseln Sie nach 35 Jahren in der Handwerkskammer Cottbus in den Ruhestand und haben dabei die Wende aktiv mitgestaltet. Wie haben Sie diese Phase erlebt?
Deutscher: Im Rückblick sehe ich das als spannende und schöne Zeit, die aber auch von Existenzängsten geprägt war. Ich hatte am 1. November 1988 als zweiter Stellvertreter des Vorsitzenden der Handwerkskammer angefangen und es war nicht klar, wie es mit mir als zweifachen Familienvater persönlich weiterging. Man darf nicht vergessen: Es war eine staatliche Einrichtung, der Vorstand einer Handwerkskammer in der DDR setzte sich u. a. aus Mitgliedern des Wirtschaftsrates der SED-Bezirksleitung, des FDGB und jeweils drei Handwerkern der selbstständigen Seite und Vorsitzenden von PGH (Produktionsgenossenschaften) zusammen.
DHB: Sie waren nie Genosse?
Deutscher: Ja, ich war nie Genosse. Nicht wenige im Westen waren der Meinung, es gäbe nur staatstreue Diener in den Vorständen. Wir mussten uns beispielsweise gegen den Willen der Genossen durchsetzen, die meinten, sie könnten an der Macht festhalten und weitermachen. So gab es für den von uns gewünschten Neuanfang bei der Abstimmung über die Amtsniederlegung der Vorstände entgegen unserer Meinung zunächst keine Mehrheit. Erst als der führende Genosse seinen Rücktritt erklärte, konnte ich mit meinem Kollegen, der später mein Chef wurde, auf Neuanfang setzen – für mich als damals 32-Jähriger war es eine ganz wichtige Erfahrung in meinem Leben. Ich hatte für mich entschieden, ich versuche durch meine Arbeit, durch meinen Einsatz und mein Engagement zu überzeugen. Im heutigen Rückblick ist das erfreulicherweise gewürdigt worden und man hat mir die Chance gegeben, den Aufbau einer neuen Handwerkskammer hier in Cottbus mitzugestalten.
DHB: Wie sah denn dieser Aufbau aus, da blieb doch kein Stein auf dem anderen?
Deutscher: Im Rückblick haben wir tatsächlich alles umgekrempelt. Natürlich gab es in der DDR-Handwerkskammer eine Buchhaltung, aber in einem völlig anderen Wirtschaftssystem. Es gab auch keine Personal-, sondern eine Kaderabteilung – und so zog sich das durch alle Abteilungen, die Aufgabenlage war auf einmal völlig anders.
DHB: Haben Sie ein Beispiel?
Deutscher: Allein die Tatsache, dass wir das Recht für die Meisterausbildung im Handwerk zurückerhielten, die vorher der Staat organisiert hatte, war für uns das Signal: „Jetzt sind wir wieder wer!“ Wir durften den eigenen Nachwuchs prüfen, was aber auch eine unglaubliche Verpflichtung bedeutete, wenn wir als Kammer für staatlich anerkannte Bildungsabschlüsse zuständig waren. Auch der Aufbau einer Beratungsabteilung, was zu meinen originären Aufgaben gehörte, war unglaublich spannend, weil es ganz viele Gründungen gab und wir die Betriebe vor allem beim Gründungsboom 1990/91 begleiten durften – mit Rat und Tat, zum Beispiel bei den Fördermitteln. Wir bekamen ständig neue Aufgaben und neue Herausforderungen, für die wir Lösungen schaffen mussten.
DHB: Wie schwer war es, dafür Personal zu finden, die ehrenamtlich diese Arbeiten unterstützten?
Deutscher: Ehrenamtliche für Ausschüsse zu finden, war gar kein Thema - die Euphorie, dass wir etwas aktiv mitgestalten konnten, war immens. Unser größtes Problem in der Meisterausbildung aber war es, so schnell wie möglich Werkstätten oder Möglichkeiten zur Unterweisung für die Meistervorbereitungslehrgänge zu finden. Die hatten wir damals nicht.
DHB: Die Handwerksordnung wurde praktisch verordnet und hatte doch ein paar deutliche Unterschiede, etwa wenn ich an die Kammerjäger oder Kosmetiker denke, die damals in der DDR Meisterstatus hatten.
Deutscher: Ja, das hat auch Schmerzen hinterlassen. Plötzlich anerkannte Berufsabschlüsse fielen weg und es blieb bei den Betroffenen, vor allem bei den Kosmetikern über Jahrzehnte das Gefühl, nicht wertgeschätzt zu werden. Gleichzeitig hatten wir eine Entlassungswelle in den größeren Betrieben hier vor Ort. Wir haben hier in Cottbus so viele Elektroinstallateure und Selbstständige im Gas-/Wasserinstallateurbereich, weil die Kombinatsbetriebe der Kohleenergiewirtschaft sich von diesen Dienstleistungen befreiten. Als Folge kamen damals die Mitte 30- bis Anfang 40-Jährigen mit ihrem VE-Meister, der aber nicht dem Handwerksmeister entsprach. Durch Zusatzangebote, die viele der Antragsteller angenommen haben, war es uns damals gelungen, dieses Problem zu lösen. Aber generell galt für uns, dass unser Kenntnisstand eingeschränkt war – wir kannten weder das bundesdeutsche Steuerrecht noch das Gesellschaftsrecht und lernten jeden Tag dazu.
Erste weibliche Doppelspitze Nachfolgerin von Knut Deutscher wird Manja Bonin. Damit hat die Handwerkskammer Cottbus die bundesweit erste weibliche Doppelspitze. Präsidentin ist seit 2021 Bauingenieurin Corina Reifenstein. Mehr dazu lesen Sie hier
DHB: Wie haben Betroffene reagiert, wenn die Anerkennung des Meistertitels nicht funktionierte?
Deutscher: Das zieht sich bis heute, da wir immer noch Unterschiede machen bei Ehrungen, etwa beim Silbernen Meisterbrief. Dafür gibt es gute Gründe, auch wenn es damals hieß, eigentlich wollte ich ja den Meister machen, nur die sozialistischen Wirtschaftsideologien hatten das nicht gewollt. Wichtig aber war es für uns, dass es eine Linie gab, an der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich orientieren konnten.
DHB: Wie haben Sie es denn geschafft, die Meisterausbildung auf neue Grundlagen zu stellen, was ja auch mit Kosten verbunden war?
Deutscher: Wir hatten natürlich den Austausch mit den Kollegen im Westen, wofür ich auch heute noch dankbar bin. Unsere Partnerkammer war die Handwerkskammer des Saarlandes und ich hatte damals deren Bildungszentrum gesehen. Wir haben dann in der Stadt Forst aufbauend auf einer alten Betriebs-Lehrwerkstatt von Null angefangen und Lehrgänge für die Metallberufe aufgesetzt. In Lübbenau teilten wir uns ein Gebäude mit einem anderen Anbieter und konnten dann mit Hilfe der Förderung ein Ausbildungszentrum ausstatten. Beim Erwerb eines Grundstücks sind wir dann in die Streitigkeiten um Altansprüche und Altlasten hineingerasselt. Uns wurde damals auch eine Kaserne angeboten, aber da gab es Altlasten durch die Armee. So hat sich das bis 1995 hingezogen, bis wir dann in Großräschen unseren Lehrbauhof eröffnen konnten, und zwei Jahre später kam das Berufsbildungs- und Technologiezentrum in Gallinchen hinzu.
DHB: Die Finanzierung dank Förderung war kein Problem?
Deutscher: Sagen wir es so: Das Bundeswirtschaftsministerium war damals der Meinung, keine Ostkammer könne mit so viel Geld verantwortungsbewusst umgehen. Die Gelder bekamen wir nur über eine Partnerkammer, unter deren Aufsicht das Geld investiert werden durfte. Dafür bekam die Partnerkammer zehn Prozent des Investitionsvolumens. Das BTZ Gallinchen haben wir mit der Handwerkskammer zu Köln gebaut, den Lehrbauhof Großräschen mit Unterfranken, damals hieß es noch Würzburg. Das waren auch für uns befruchtende Begegnungen mit den Kollegen. Wir haben viel gelernt.
DHB: Wie hat sich dann die spätere Reduzierung der Meisterberufe 2003 auf das Bildungswesen für Sie ausgewirkt?
Deutscher: Wir hatten 16 Gewerke, in denen wir Meisterprüfungen in großem Umfang durchführten. Die Absolventenzahlen sind nicht mehr ganz so groß wie in den 90er Jahren. Besonders stark sind die Gewerke KFZ, SHK und Elektro geblieben. Bei uns war eher die politische Enttäuschung groß gewesen, dass eine sozialdemokratische Regierung einen solchen Schritt geht.
Die Fehlentwicklung war speziell beim Fliesen-, Platten- und Mosaikleger sichtbar. Die Ausbildung ging rasant zurück. Es braucht Berufszugangsregeln und den Meisterabschluss als Qualitätssiegel. Auch in einem Bad kann durch falsche Leistungen viel schiefgehen.
DHB: Wie war es denn um den Bestand der Betriebe, die sich in der ersten Euphorie nach der Wende gründeten, bestellt?
Deutscher: Natürlich gab es leider Marktbereinigungsprozesse. In meiner Erinnerung war spätestens 1996 die Baunachfrage erheblich zurückgegangen – und in unserem Kammerbezirk sind rund ein Drittel der Betriebe mit dem Bau verbunden. Das waren schwere Zeiten gewesen. Aus Sicht der Betriebsinhaber war es bitter, und stets mit der Frage verbunden: „Was tut die Kammer, damit sich die Auftragslage wieder erheblich verbessert?“ Hinzu kam, dass damals Verbraucher Rechnungen nicht bezahlten und sogar bewusst mit Geschäftsmodellen gearbeitet wurde, um Handwerker auszutricksen. Das waren schwierige Zeiten, die dann auch in den „kranken Mann Europas“ mündeten. Wir hatten damals im Kammerbezirk Cottbus Sozial- und Arbeitslosenhilfebezieher von rund 80.000, heute sind wir bei 17.000.
DHB: Sie konnten ja nicht den Kopf in den Sand stecken… hat ja sicher nicht funktioniert. Sie sagten ja, Sie hätten sich den Diskussionen gestellt, aber was kann eine Kammer denn machen? Man kann dem Verbraucher ja nicht sagen, gib dem Handwerker einen Auftrag.
Deutscher: …was unsere damaligen Ehrenamtler überhaupt nicht akzeptiert hätten. Es gab in der Regel immer genügend ehrenamtliche Handwerker, die uns zeigten, für wen und weshalb wir tätig sind.
DHB: Wie steht denn die Wirtschaft und das Handwerk heute da?
Deutscher: Die Stimmung ist durchwachsen. Es herrscht viel Unsicherheit an den verschiedenen Märkten. Das ist Gift für die Wirtschaft. Aufgrund der gestiegenen Kosten für Energie, Transport, Rohstoffe usw. sind die Betriebe gezwungen, ihre Preise nach oben anzupassen, um ihre Ertragskraft zu behalten. Während sich die Situation im Nahrungsmittelhandwerk langsam entspannt, trübt sich die Stimmung im Bauhauptgewerbe ein. Weniger Genehmigungen und Baufinanzierungen sorgen für einen Rückgang im Baugeschehen. Die Betriebe stellen sich weiterhin auf härtere Zeiten ein.
Der demografische Wandel schlägt hier in der Region hart zu, weil in den 90er Jahren viele weggegangen sind, die Nachfolgegeneration nicht hier geboren wurde und damit nicht zur Verfügung steht. Das schlägt beim Fachkräftemangel durch. Wir haben durch den Strukturwandel erfreulicherweise erhebliche Neuansiedlungen. Aber dafür braucht es Zuzug, den es leider noch nicht gibt.
DHB: Wenn Sie zurückblicken – was waren für Sie die prägendsten Ereignisse?
Deutscher: Mit Sicherheit die Wende. Wir hatten ständig neue Herausforderungen, haben um Lösungen gekämpft und waren stolz darauf, dass wir etwas erfolgreich bewältigt hatten. Und gleich kam das Nächste um die Ecke, was wieder Einsatz und Engagement erforderte. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht, es war lösungsorientiert und ging nicht etwa um Haftungsrisiken oder ob die Lösung in allen Details im Einklang mit allen gesetzlichen Regelungen war. Im Mittelpunkt standen die Mitglieder, die mussten einen Gewinn haben und zufrieden sein. Stolz bin ich darauf, dass ich mit dieser Mitarbeiter-Mannschaft, die wir auch in den 2010er Jahren erheblich verjüngen konnten, kritische Entwicklungen in das Gegenteil verwandeln ließen. Wir haben hier ein sehr engagiertes Team, das mitzieht und entsprechende Aktivitäten umsetzt.
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Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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