Als Handwerker auf der Überholspur wurde für Stephan Krusch der Spagat zwischen Arbeit und Freizeit immer größer und belastender.

Als Handwerker auf der Überholspur wurde für Stephan Krusch der Spagat zwischen Arbeit und Freizeit immer größer und belastender. (Foto: © Stephan Krusch)

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Tausend Baustellen im Kopf

Trauer und Antriebslosigkeit nahmen Stephan Krusch die Kraft zum Arbeiten. Er verkaufte den Betrieb und ist seitdem auf Reisen. Mit der Gründung der Depressionshelden möchte er Betroffenen und sich selbst helfen, wieder Fuß im Alltag zu fassen.

Stephan Krusch war ein Macher im Handwerk. Als gelernter Gas- und Wasserinstallateur übernahm er 2008 den Betrieb von seinem Stiefvater. Stephan ist da gerade 26 Jahre alt. Ein Handwerker, wie er im Buche steht. "Ich bin immer ein Macher gewesen", ist Stephan stolz, dass er seine Ziele immer umgesetzt hatte. Welche Motivation es aber brauchte und welche Kraft, das haben nur wenige geahnt. Die Menschen nahmen den salopp wirkenden Stephan als fröhlichen und energiegeladenen Menschen wahr. Doch innerlich sah es in Stephan Krusch ganz anders aus. Er war an einer Depression erkrankt. "Viele verunglimpfen solch eine Tatsache und sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen." Die Reaktion auf mentale Erkrankung: Ach was, das kann nicht sein. Die Folge: Erkrankte fühlen sich nicht ernst genommen.

 

Hilfestellung für Betroffene Einfach nur einen schlechten Tag, vielleicht ein Burnout oder doch eine Depression? Es ist nicht immer einfach, die Symptome einer mentalen Erkrankung richtig einzuordnen. Die Deutsche Depressionshilfe hat eine Aufstellung erarbeitet. Sie gibt eine erste Hilfestellung für Betroffene.

Als er den Betrieb übernahm, waren nur sein Stiefvater und ein Aushilfsarbeiter im Betrieb tätig. "Anfangs hatte ich nur die Verantwortung mir selbst gegenüber." Später wurden Mitarbeiter eingestellt. Die Belegschaft wuchs auf neun Mitarbeiter an. Und damit auch die Verantwortung. Büro, Akquise, zwischendurch immer wieder raus auf die Baustelle rund um Hannover. Zehn bis zwölf Stunden am Tag waren nix. Plus am Wochenende Buchhaltung und Büro. Der Spagat des Unternehmers Krusch wurde immer stressiger. "Psychische Erkrankungen machen auch vor der Arbeitswelt nicht halt. Sie sind mittlerweile die häufigste Ursache von Krankschreibungen und für Frühverrentungen", erklärt Thomas Lamberz von der IKK classic. "Darum ist es für Führungskräfte so wichtig, einen guten und gesunden Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu finden. Dies ist aber nicht immer so einfach, wie es sich vielleicht anhört – gerade bei an Depressionen erkrankten Menschen. Darum ist es von großer Bedeutung, die Krankheit besser zu verstehen, erste Signale früh zu erkennen und den richtigen Ton im Umgang mit den betroffenen Mitarbeitern zu finden", so der Landesgeschäftsführer.

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Rechtzeitig die Notbremse ziehen

Anfangs war es für den heute 39-Jährigen ein schönes Gefühl, zu merken, "ich wuppe das alles schon in jungen Jahren." Er ist 34, als er zum ersten Mal dachte, die Nummer wird mir jetzt zu groß. Eine Auszeit war schwierig. Die Kunden wollten immer, dass der Chef dabei ist. Stephan Krusch gerät in eine Spirale. Er bekam Probleme, Abstand von seinem Arbeitsalltag zu nehmen. "Letztlich wollte ich selbst überall dabei sein und alles kontrollieren", räumt er offen ein, dass er sich zum Kontrollfreak entwickelte. Die Wende setzte erst mit einem schwierigen Auftrag ein. Ein Kunde versuchte bei einem Umbau immer wieder den Preis zu drücken. War stets auf der Suche nach Mängeln. Damit erwischte er Stephan genau auf dem falschen Fuß. "Ich hatte kurz zuvor erfahren, dass meine Mutter schwer erkrankt war. Der Stiefvater war gerade erst ein halbes Jahr vorher verstorben." Stephan war am Boden. Er glaubte zunächst, in ein Burnout zu rutschen. "In der Zeit habe ich den Glauben an alles verloren." Parallel musste er trotzdem einen Auftrag von rund 50.000 Euro stemmen. Stephan überlegt im Gespräch mit dem Deutschen Handwerksblatt kurz, wie er die Stimmung ausdrücken soll. "Ich fühlte mich einfach verloren." Anfangs ignorierte er die Gemütslage und schmeißt sich erneut in die Arbeit. "So konnte ich mich von meinem Privatleben und der Krankheit meiner Mutter und dem Tod meines Stiefvaters gedanklich ablenken. Es war eine Flucht in die Arbeit."

Neben den psychischen stellten sich körperliche Probleme ein. Er verlor an Gewicht. Eins kam zum anderen. "Es ging immer weiter bergab, bergab, bergab ..." Der Handwerksunternehmer zog die Notbremse. Er verkaufte seinen Betrieb. "Ich hatte weniger Angst, dass es mein Körper nicht mehr mitmacht, als dass vielmehr mein Geist aufgibt." Ohne die Unterstützung seiner damaligen Freundin wäre er wahrscheinlich nicht so glimpflich aus dieser schweren Zeit herausgekommen. Beide verkauften ihr Hab und Gut. Ein Wohnmobil wurde angeschafft. Frei von Verantwortung und dem stets klingelnden Handy starteten sie mit Hund Turner zu einer Weltreise. Der Druck fiel ab. Es ging ihm besser. Das war 2016.

Diagnose: Depression

Doch die niederschmetternden Phasen sind geblieben. Bis heute. In vielen Gesprächen mit Reisenden wuchs der Verdacht, dass es sich um eine Depression handeln könnte. Er begann über mentale Erkrankungen zu lesen. "Depressive Menschen tragen lange Zeit eine Maske und signalisieren nach außen, alles gut. Innerlich aber sind sie zerbrochen und zermürbt." Sich Hilfe zu suchen, war dennoch nicht leicht. Seit fünf Jahren reist der leidenschaftliche Surfer nunmehr um die Welt. Länger als drei Monate hält er es an keiner Stelle aus. Dann kehren die Gefühle von Trauer und Antriebslosigkeit zurück. "Ein anstrengendes Leben", betont der 39-Jährige, dass es Momentaufnahmen sind, in denen er wirklich mit sich und dem Leben zufrieden ist. Irgendwann möchte er wieder sesshaft werden. Doch die Kraft dazu hat er noch nicht gefunden. "Ich habe tausend Baustellen im Kopf", hofft der Gründer der Depressionshelden, eines Tages eine Familie zu gründen und wieder im Handwerk zu arbeiten.

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Vor acht Monaten gründete er die Depressionshelden als Online-Selbsthilfegruppe bei Instagram. Es soll eine Hilfestellung sein, den Mut zu haben in der Öffentlichkeit über eine Depressionserkrankung zu reden. Parallel möchte er aufklären, was eine Depression ist. Schon 2.000 Abonnenten haben sich angeschlossen. "Es zeigt, dass auf dem Feld noch mehr getan werden muss." Manche schreiben ihre Geschichte auf, um sich gegenseitig Mut zusprechen und dabei zu helfen, den Schritt zum Arzt zu gehen. "Ich bin mir sicher, dass Depressionshelden ganz vielen Menschen helfen kann." Viele Psychotherapeuten folgen der Seite und geben ihre Tipps in den Kommentaren ab. "Alleine das Reden und das Loslassen hilft ungemein." Stephan Krusch hat verstanden, dass er nicht wirklich der Macher war, den viele in ihm gesehen haben. Unternehmen empfiehlt er, als Arbeitgeber, der mit Menschen zu tun hat, immer auch ein offenes Ohr für seine Mitarbeiter zu haben. "Niemand ist davor gewappnet, in eine mentale Notlage zu geraten."

 

Gesundes HandwerkVeranstaltung Die IKK classic wird im Frühsommer 2022 in der Handwerkskammer zu Köln eine Veranstaltung zum Thema "Depression" veranstalten. Zu den Gästen zählen u.a. neben Stephan Krusch Experten der deutschen Depressionsliga und betroffene Handwerker. Ex-Fifa- und Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati hält einen Vortrag zum Thema "Mentale Gesundheit". Der Termin wird rechtzeitig im Deutschen Handwerksblatt bekanntgegeben.
Hintergrund Online erhalten Interessierte hier weiterführende Informationen zum Thema.
Podcast Im Podcast "Handwerks Macher" erzählt Stephan Krusch mehr über die mentale Erkrankung. 
Instagram Hier geht es zu den Depressionshelden auf Instagram.
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Text: / handwerksblatt.de

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