Die Politik müsse versuchen, den Trend zur Akademisierung umzukehren, sagt Stefan Kaufmann. Aber auch das Handwerk müsse dafür etwas tun. (Foto: © privat)

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Handlungsbedarf in der beruflichen Bildung

Betriebsführung

Der CDU-Politiker Stefan Kaufmann will die Berufsbildung im Zuge der Digitalisierung modernisieren, damit sie aktuellen Herausforderungen gerecht werden kann.

Stefan Kaufmann hat ein Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Leiden in den Niederlanden absolviert. Seit 2009 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Stuttgart I (Süd). Seit 2014 ist er der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Bildungsausschuss. Im September des vergangenen Jahres übernahm Kaufmann den Vorsitz der Enquete-Kommission Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt.

Sie haben zuletzt einen Kfz-Betrieb im Kammerbezirk Dortmund besucht. Welche Eindrücke haben Sie dort in puncto digitale berufliche Ausbildung gewonnen?
Kaufmann: Das war ein Betrieb im Bereich Kfz-Gewerbe, der sich sehr engagiert um diese Themen kümmert. Bei der Diagnostik und der Durchführung von Inspektionen waren die Prozesse schon weitgehend digitalisiert. Die Mitarbeiter sehen sofort, was genau an dem Fahrzeug zu machen ist und bekommen schnelle Arbeitsanweisungen, wo jeder einzelne Schritt nochmal beschrieben und bebildert ist. Das war sehr interessant zu sehen. Spannend war auch, als es um die Lernsoftware im Bereich des Kfz-Gewerbes ging, die jetzt im Dortmunder Kammerbezirk in einer Art Pilotprojekt ausprobiert wird. Falls sich das bewährt, wird es eine Herausforderung werden, Strukturen zu schaffen, um solche Best-Practice-Beispiele in der Breite auszurollen.

Zunehmende Akademisierung blutet berufliche Bildung aus

Kann die Enquete-Kommission Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt, der Sie vorsitzen, ein Mittel sein, gute Beispiele digitaler Ausbildungspraxis flächendeckend bekannt zu machen?
Kaufmann: Natürlich. Eine Enquete-Kommission wird ja eingesetzt, um einem Thema eine besondere Bedeutung zu geben. In der letzten Legislaturperiode gab es im Bundestag gar keine, jetzt gibt es zwei. Das andere Thema ist künstliche Intelligenz. Es geht also um Themen, von denen wir wollen, dass sie politisch Gewicht bekommen, weil dort überparteilichen Handlungsbedarf gibt. Wir sehen im Bereich der beruflichen Bildung Handlungsbedarf. Erstens weil sie ausblutet wegen der zunehmenden Akademisierung. Zweitens weil die voranschreitende Digitalisierung in der Arbeitswelt, Wirtschaft und Politik vor die Frage stellt, wie junge Menschen aus- und weitergebildet werden müssen, um sie auf die neuen Chancen, aber auch die Herausforderungen vorzubereiten.

Wer ist dafür verantwortlich, dass diese Enquete-Kommission eingesetzt wurde?
Kaufmann: In der Regel ist das Gegenstand einer Koalitionsvereinbarung. So war es auch hier.

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Wie tickt eigentlich die junge Generation in puncto Beruf?

Sie treffen sich jeden Monat in der Kommission. Was passiert in den Sitzungen?
Kaufmann: Ja, das stimmt. Wir treffen uns einmal monatlich, immer am ersten Sitzungsmontag eines Monats. Die Sitzungen der Gesamtenquete sind in der Regel als öffentliche Anhörungen ausgestaltet, die auch vom Parlamentsfernsehen übertragen werden. Wir beschäftigen uns dort zunächst sehr grundsätzlich mit den Fragestellungen: Was heißt eigentlich "Digitalisierung in der Arbeitswelt", Was heißt Digitalisierung eigentlich? Wie weit sind wir in Deutschland bei der Verzahnung von beruflichen Bildung und Digitalisierung und auch: Welche Systeme der beruflichen Bildung gibt es auch außerhalb Deutschlands? Bei der Beschäftigung mit der letzten Frage haben wir zum Beispiel internationale Vergleiche mit dem deutschsprachigen Ausland – nämlich Österreich und Schweiz gezogen. Im nächsten Schritt dann sogar in das außereuropäische Ausland geschaut. Und selbstverständlich haben wir junge Menschen befragt: Wie tickt eigentlich die junge Generation in puncto Beruf? Warum machen Jugendliche eine berufliche Ausbildung oder warum entscheiden sie sich gegen die berufliche Ausbildung? Aktuell beschäftigen wir uns mit Best-Practice-Modellen. Wir laden Vertreter aus Unternehmen ein, die im Bereich Digitalisierung der Ausbildung schon besonders viel machen. Zusätzlich zu den Sitzungen der Gesamtenquete haben wir aktuell drei Projektgruppen eingerichtet, die sich mit speziellen Themen beschäftigen: Da steht die Digitalisierung nochmal als Oberthema auf dem Programm, die beruflichen Schulen und die überbetrieblichen Bildungsstätten sowie die Unternehmen und die Digitalisierung betrieblichen Alltag. Diese Projektgruppen treffen sich jeweils vormittags an den Tagen, an denen nachmittags die Gesamtenquete tagt. Da nutzen wir natürlich auch die Expertise der Sachverständigen in der Enquete-Kommission, die ja dann auch Teil der Projektgruppen sind. Und jede dieser Gruppen wird nach Ablauf des Jahres einen Bericht vorlegen, in den sie ihre Empfehlungen formuliert. Im nächsten Jahr werden wir drei bis vier weitere Projektgruppen einsetzen, die sich mit den Themen Weiterbildung, Finanzierung und dem sozialen Sektor beschäftigen sollen. Mitte 2021 soll die Gesamtenquete dann ihren Abschlussbericht vorlegen.

Wie groß ist die Gruppe insgesamt?
Kaufmann: Es sind 38 Mitglieder, 19 Abgeordnete und 19 Sachverständige. Entsprechend des Proporz‘ im Parlament stellt die CDU sieben Abgeordnete und sieben Sachverständige. Und die anderen Parteien stellen dann auch Abgeordnete und Sachverständige entsprechend den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag.

Wer ist aus dem Handwerk mit dabei?
Kaufmann: Aus dem Handwerk ist der Experte für berufliche Bildung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Dr. Volker Born, mit dabei. Es sind im Prinzip die Sozialpartner, die da sitzen. Deswegen versuchen wir, Vertreter der Basis in die Anhörungssitzungen einzuladen und die Leute zu fragen, die vor Ort in den Betrieben arbeiten, damit wir nicht ganz auf dieser abstrakten Ebene bleiben. Auf der anderen Seite werden wir für die abschließenden Handlungsempfehlungen und vor allem für deren Umsetzung die Tarifpartner brauchen. Das gilt natürlich auch für das Handwerk, die Kammern, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände.

Stärkung der überbetrieblichen Bildungsstätten

Sie kommen seit einigen Monaten zusammen. Können Sie schon absehen, welche neuen Herausforderung es für die berufliche Bildung gibt?
Kaufmann: Natürlich lassen sich jetzt schon Tendenzen erkennen – zum Beispiel, dass eine Erstausbildung in einem Teil der Berufe nicht mehr ausreichen wird. Es wird Bereiche geben, in denen im Prinzip alle paar Jahre eine neue Ausbildung oder Zusatzausbildung gemacht werden muss, weil die Entwicklungen vorangehen. Es wird aber auch andere Bereiche geben, die jetzt weniger von der Digitalisierung tangiert sein werden. Parallel werden wir die überbetrieblichen Bildungsstätten stärken und natürlich auch in den Schulen sehr viel machen müssen, etwa bei der Lehrerausbildung. Die Lehrer müssen die Kompetenz haben, die digitalen Themen auch weiterzuvermitteln. Natürlich geht es auch um die Ausstattung der Schulen und den überbetrieblichen Bildungsstätten, damit dort überhaupt digitales Lernen stattfinden kann. Apropos Ausstattung der Schulen. Einen Baustein, um dieser Herausforderung zu begegnen, gibt es bereits: Die große Koalition hat dazu bereits im März 2019 den Digitalpakt Schule beschlossen, damit Schulen eine bessere Ausstattung mit digitaler Technik erhalten können. Es wird aber auch ganz grundsätzlich darum gehen, die Betriebe mitzunehmen. Da wird die Frage sein, was kann die Politik oder der Staat leisten, für Unternehmen, die sich im Bereich Aus- und Weiterbildung in Zeiten der Digitalisierung schwertun. Hier sehe ich vor allem das Thema Weiterbildung als herausragend.

Können Sie aus diesen Erkenntnissen schon Handlungsempfehlungen absehen, die in Ihrem Abschlussbericht landen könnten?
Kaufmann: Das ist jetzt noch zu früh, darüber müssen wir am Ende des Jahres nochmal reden. Es gibt schon erste Entwürfe für Zwischenberichte. Da finden aber jeweils noch Klausurtagungen statt, um sich auf Empfehlungen zu einigen.

Die Empfehlungen werden aber nicht nur an die Politik gehen.
Kaufmann: Richtig. Auch an die Sozialpartner, an die Länder natürlich, die ja auch einen Teil der schulischen Ausbildung verantworten, auch an die Berufsschulen. Für die berufliche Bildung haben wir eine Bundeskompetenz, aber die Berufsschulen und die Ausstattung sind wieder Ländersache. Also auch da werden wir natürlich fordern, dass sich die Lehrerausbildung stärker nach digitalen Inhalten richten muss. Das ist eine Forderung, die wir an die Länder richten müssen. Da haben wir es natürlich nicht ganz in der Hand, welches der 16 Bundesländer sie umsetzt. Das ist eben die Schwierigkeit. Es werden sicherlich auch Empfehlungen an die Kammern gehen, an die Betriebe und die Arbeitgeberverbände.

Wie viel Gewicht hat so ein Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen? Der eine oder andere Bericht einer Enquete-Kommission soll ja schon kurz nach Veröffentlichung in der Schublade verschwunden sein.
Kaufmann: Gerade der Bericht der Enquete-Kommission zur Zukunft des Handwerks in Nordrhein-Westfalen mit über 170 Empfehlungen, wie auch der Bericht einer Kommission zur beruflichen Bildung in Baden-Württemberg, der schon ungefähr zehn Jahre alt ist, haben sehr großen Widerhall gefunden. In Baden-Württemberg werden heute noch Dinge aus diesem Bericht diskutiert und umgesetzt. Die vielen Vorschläge in NRW werden auch sukzessive abgearbeitet.

Um gemeinsame Empfehlungen bemüht

Ist die überparteiliche Arbeit einfach oder ist es eher ein mühsames Hin und Her, um einen Konsens zu finden?
Kaufmann: Bis jetzt ist es mir als Vorsitzender ganz gut gelungen, zumindest die gemeinsamen Tagesordnungen und auch die Berufung der Sachverständigen zu konsentieren. Klar, wenn es jetzt um konkrete Themen geht, wird es ein bisschen schwieriger. Da gibt es sicherlich auch schon mal bei dem einen oder anderen Thema unterschiedliche Vorstellungen. Da wird es zum Schluss die Herausforderung sein, dass die Formulierungen nicht zu weichgespült werden. Der Abschlussbericht sollte klare Forderungen enthalten. Es darf nicht alles, das nicht gleich einen Konsens findet, rausgestrichen werden. Natürlich wird nicht jeder alles durchsetzen können. Jeder muss sich am Ende ein Stück weit wiederfinden. Die meisten Diskussionen und Gespräche, auch mit den Linken und der AfD, sind da relativ konstruktiv. Wir sind bemüht, zu gemeinsamen Empfehlungen zu kommen.

Ein weiteres Thema in der Kommission ist die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Hier ist schon lange ein Trend zur Akademisierung sichtbar. Hat die Politik hier zu lange zugeschaut?
Kaufmann: Das glaube ich nicht. Es ist ein gesellschaftlicher Trend, der ja nicht nur in Deutschland stattfindet. Also was ist passiert? Baden-Württemberg: Die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung hat natürlich den Run auf die Gymnasien verstärkt. Die Hauptschulen in Stuttgart haben eine Übergangsquote von unter zehn Prozent. Viele Eltern wünschen sich für ihre Kinder eine akademische Ausbildung, weil sie das Gefühl haben, das sei eine bessere Basis. Da hat man vielleicht schon das eine oder andere zu viel laufen lassen. Aber auch die Unternehmen haben in Zeiten, als es mehr Arbeitskräfte gab, gerne anstatt Hauptschüler Abiturienten für duale Ausbildungsgänge eingestellt. Damit haben sie natürlich gefördert, dass jeder meint, er muss jetzt Abitur machen, damit er überhaupt noch einen Ausbildungsplatz bekommt. Wir müssen in der Bevölkerung wieder dieses Bewusstsein wecken, dass das Handwerk goldenen Boden hat und es da tolle Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Es gibt dort hervorragende Perspektiven. Und wir müssen auch deutlich machen, dass nicht jeder für ein Studium geeignet ist. Es ist noch nicht zu spät, aber wir müssen jetzt schon sichtbar gegensteuern, indem wir jetzt zum Beispiel das Meister-BAföG erhöhen oder die Meisterausbildung besser fördern und so sichtbar machen, dass uns die berufliche Bildung auch etwas wert ist und auch einen Mehrwert im Sinne der Produktivität für die Gesellschaft schafft.

Berufliche Bildung auch für Abiturienten attraktiver machen

Muss das Handwerk sich noch besser präsentieren, um auch Abiturienten abzuholen?
Kaufmann: Wenn ein Handwerksbetrieb einen Abiturienten bekommt, muss er ihm natürlichen Perspektiven bieten: Aufstiegschancen, Auslandsaufenthalte, Weiterbildungsmöglichkeiten und so weiter, damit er trotz Abitur am Ende nicht studiert. Das macht die berufliche Bildung auch langfristig attraktiver. Die Imagekampagne vom Handwerk finde ich exzellent. Ich glaube, sie trifft da gut den Ton auch für junge Menschen. Die Tendenz geht aktuell zu Hybridmodellen in der tertiären Bildung. Es geht mehr in Richtung anwendungsbezogene Studiengänge. Außerdem gibt es in einigen Bundesländern modellhaft Doppelabschlüsse. Junge Menschen können dort gleichzeitig Abitur und einen Gesellenbrief machen. Ich halte das für einen guten Ansatz. Wenn ein Studienaussteiger eine berufliche Ausbildung beginnt, darf man auch nicht von Abstieg sprechen, sondern vom Umstieg. Die Mindestausbildungsvergütung ist ja letztlich auch eine Maßnahme, um die berufliche Bildung attraktiver zu machen. Klar, da gibt es riesige Unterschiede in den unterschiedlichen Branchen und Regionen. Ob das alles dann in der Breite wirklich zu einer Trendumkehrung führt, weiß ich nicht. Versuchen müssen wir es aber.

Das Berufsbildungsgesetz wird aktuell modernisiert. Ihr Abschlussbericht wird aber erst ein paar Jahre später kommen.
Kaufmann: Zum einen zeigt schon der Koalitionsvertrag, dass uns die berufliche Bildung wichtig ist. Jetzt muss man ehrlich sagen, die Reform des Gesetzes war nicht die Idee der CDU. Die SPD hat das schon in der letzten Legislaturperiode gewollt. Wir waren damals dagegen, weil wir gesagt haben, die Evaluation aus unserer Sicht keinen großen Handlungsbedarf gezeigt hat. Jetzt hat die SPD das im Koalitionsvertrag verankert, natürlich vor dem Hintergrund der Mindestausbildungsvergütung. Da konnten wir jetzt nicht warten auf die Empfehlungen der Enquete. Ähnliches gilt für die Weiterbildungsstrategie, die jetzt ja auch von den Ministerien Bildung und Forschung sowie Arbeit und Soziales vorgelegt wurde. Das ist ein bisschen unglücklich, weil wir uns als CDU natürlich nicht völlig abkoppeln können von dem, was die Regierung zur Weiterbildungsstrategie sagt. Aber ein Stück weit können wir uns auch frei machen. Unser Horizont sind ja auch eher die nächsten zehn bis 20 Jahre. Nicht die nächsten drei bis fünf. Da müssen wir schauen, dass es am Ende keine Widersprüche gibt zwischen der Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung und dem, was wir empfehlen. Ein paar Themen sind jetzt abgeräumt, aber es bleiben genügend andere Themen übrig.

Text: / handwerksblatt.de

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