Soloselbstständige – sehr zufrieden, aber auch stark eingebunden
In ihrer Studie hat Anja Cordes vier Gemeinsamkeiten gefunden, die viele Ein-Personen-Unternehmer beschäftigen. Die Ergebnisse will die Handwerkskammer Freiburg nutzen, um das Beratungsangebot für die Soloselbstständigen zu verbessern.
Im Handwerk gehört die Soloselbstständigkeit offenbar längst zur Normalität. Die Quote der Ein-Personen-Unternehmen beträgt bei den zulassungspflichtigen Handwerken 45 Prozent. Im zulassungsfreien Segment sind rund sieben von zehn Betriebsinhaber auf sich alleine gestellt. Viele wissenschaftliche Untersuchungen beruhen auf der Auswertung statistischer Daten.
Sie beschäftigen sich vor allem mit einzelnen Aspekten wie etwa der Altersvorsorge oder dem Einkommen. "Eine qualitative Betrachtung, bei der auch die Betroffenen zu Wort kommen und die tiefere Einblicke in ihre Lebenssituation gibt, fehlte bislang", erklärt Anja Cordes, wissenschaftliche Mitarbeiterin am itb – Institut für Betriebsführung im DHI.
itb-Studie im Auftrag der Handwerkskammer Freiburg
Um ein genaueres Bild der Erwerbsverläufe und der sozialen Absicherung von Soloselbstständigen zu bekommen, hat die Handwerkskammer Freiburg deshalb das itb mit einer Studie beauftragt. Deren Erkenntnisse sollen dabei helfen, passgenaue Unterstützungsinstrumente zu entwickeln – zum einen für die Handwerksorganisation, zum anderen für die Politik, die dieses Jahr noch ein Gesetz auf den Weg bringt, das die Altersvorsorge für Selbstständige verpflichtend machen will.
Anja Cordes hat in ihrer qualitativen Studie mit 16 Soloselbstständigen aus dem Handwerkskammerbezirk Freiburg gesprochen. Foto: © Andreas FriedrichAnja Cordes hat sich mit 16 Soloselbstständigen aus dem Bezirk der Handwerkskammer Freiburg ausführlich unterhalten. 50 Prozent der befragten Ein-Personen-Unternehmer üben ein zulassungspflichtiges Gewerk aus. Die restlichen acht gehören zu gleichen Teilen den zulassungsfreien Berufen der Anlage B1 und B2 der Handwerksordnung an. Das Verhältnis der Geschlechter ist nahezu ausgeglichen. Neun Männer und sieben Frauen haben an der Studie teilgenommen. Die Forscherin des itb hat etwas mehr als die Hälfte der Interviews vor Ort geführt, den Rest telefonisch. "Jeder hat uns offen seine Geschichte erzählt. Die Ergebnisse haben wir übereinandergelegt und herausgefunden, wo die größten Schnittmengen bestehen."
Vier thematische Schnittmengen
Vier Punkte kristallisieren sich besonders heraus. Da ist zum einen der Kontrast zwischen persönlicher Freiheit und wirtschaftlicher Unsicherheit. Die Soloselbstständigen sind zwar ihr eigener Herr und können beispielsweise Beruf und Familie flexibler organisieren. Dem steht jedoch eine oft schwankende Auftragslage gegenüber. Sie wirkt sich unter anderem negativ auf die soziale Absicherung aus. "Vielen der Befragten fällt es schwer, Rücklagen zu bilden, um für das Alter vorzusorgen oder sich gegen Risiken wie Krankheit, Verdienstausfall oder Berufsunfähigkeit zu schützen", sagt Anja Cordes. Besonders den Frauen mangele es an jeglicher Altersvorsorge. Doch selbst diejenigen, die für den Lebensabend sparen können, seien unzufrieden. Sie hätten den Eindruck, dass sie zu viel zahlen oder dass passende Tarife für Soloselbstständige fehlen.
Die wirtschaftliche Instabilität macht sich allerdings auch bei der Personalplanung bemerkbar. "Der Wunsch, Mitarbeiter einzustellen, besteht bei der Hälfte der befragten Personen", hat die Forscherin als zweite Gemeinsamkeit ermittelt. Bei den Ein-Personen-Unternehmern handele es sich entgegen der landläufigen Meinung also nicht immer um eingefleischte Einzelkämpfer, sondern um gestandene Betriebsinhaber mit Wachstumsplänen, die zum Teil mit innovativen Geschäftsmodellen ihre Nische gefunden haben. Im Durchschnitt seien die in die Studie einbezogenen Betriebsinhaber seit 13 Jahren am Markt – und insgesamt sehr zufrieden mit ihrer Entscheidung, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. "Der überwiegende Anteil sagt, dass sie ihren Traum leben und ihren Beruf lieben", zählt Anja Cordes als dritte Schnittmenge auf.
Zu viele Aufgaben und Funktionen
Als drängendstes Problem aller Befragten hat die itb-Mitarbeiterin ausgemacht, dass Ein-Personen-Unternehmer extrem vom operativen Tagesgeschäft eingebunden sind und sich um alles alleine kümmern müssen. "Eine befragte Friseurin putzt nach Ladenschluss noch den Salon und macht anschließend die Buchhaltung", führt Anja Cordes als Beispiel an. Diese Häufung von Aufgaben und Funktionen hemme jedoch strategische Prozesse, die den Betrieb wirtschaftlich stabilisieren könnten. Dazu zählt sie etwa den Aufbau und die Pflege einer Website oder eines Online-Shops. Seminare zum Zeitmanagement oder zur Prozessgestaltung könnten helfen.
Doch exakt an dieser Stelle hakt es. Die Soloselbstständigen brauchen Beratung. Die Handwerkskammern bieten Beratung. Aber die beiden kommen oftmals nicht zusammen. Warum ist das so? "Das ist die Eine-Million-Euro-Frage!", sagt die Forscherin lachend. Fest steht jedenfalls: "Dass die Handwerkskammern eine kostenfreie Betriebs-, Rechts- oder Ausbildungsberatung haben, ist für die meisten ein komplett weißer Fleck."
Studie des itbDie Studie "Soloselbstständige im Handwerk: Erwerbsverläufe soloselbstständiger Personen und die Situation sozialer Absicherung" ist als zweiter Band der Karlsruher Schriften zur Handwerksforschung erschienen und kann online als PDF-Datei kostenlos beim itb heruntergeladen werden.
Aus der Studie geht allerdings nicht nur hervor, dass die meisten Soloselbstständigen nichts von den Angeboten der Handwerkskammern wissen, sondern dass sie auch untereinander kaum vernetzt sind. An diesem Punkt ließe sich mit einer Plattform ansetzen, die etwa von einem Mitarbeiter der Handwerkskammer moderiert wird. "Dies könnte beispielsweise themenbezogen geschehen, entlang der spezifischen Bedarfe der Soloselbstständigen. So wäre eine Mischung aus Erfahrungsaustausch, voneinander Lernen und Fachvorträgen denkbar", so die itb-Mitarbeiterin. Ebenfalls denkbar seien Online-Angebote wie Online-Seminare oder virtuelle Sprechstunden ab 20 Uhr. Auch die sozialen Medien könnten stärker in die Beratungen eingebunden werden. "Wenn die Handwerkskammern solche Formate des gegenseitigen Austausches schaffen könnten, wäre damit schon viel gewonnen", ist Anja Cordes überzeugt.
"Näher an die Soloselbstständigen rankommen"
Über eine qualitative Studie wollte Dr. Handirk von Ungern-Sternberg näher an die Soloselbstständigen rankommen, um zu verstehen, mit welchen besonderen Herausforderungen sie sich auseinandersetzen müssen. Foto: © HWK FreiburgIn der Studie "Handwerk 2025" hat das itb gemeinsam mit dem ifh vor rund dreieinhalb Jahren für das baden-württembergische Handwerk die künftigen Handlungsfelder ermittelt. "Aus dieser Studie ging unter anderem sehr deutlich hervor, dass der Anteil der Soloselbstständigen in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gestiegen ist", erklärt Dr. Handirk von Ungern-Sternberg. Dies hat das Mitglied der Geschäftsleitung der Handwerkskammer Freiburg nicht überrascht. Den Leiter der Betriebsberatung interessieren jedoch nicht nur die nackten Zahlen. Er wollte "näher rankommen" an die Ein-Personen-Unternehmer, um zu verstehen, mit welchen besonderen Herausforderungen sie sich auseinandersetzen müssen. Anfang 2019 hat die Handwerkskammer Freiburg das itb mit einer qualitativen Studie beauftragt und 16 Soloselbstständige vorgeschlagen, "mit denen wir direkt oder indirekt Kontakt haben". Sie wurde im Mai 2020 veröffentlicht.
Neue Formate für die Beratung
Die Beratungsstellenleiter der Handwerkskammern in Baden-Württemberg haben die Ergebnisse bei einem Treffen Mitte Juni reflektiert. "Inhaltlich gibt es von Seiten der Kammern in der Beratung keine Lücken, aber wir werden wahrscheinlich über neue Formate nachdenken müssen", sagt Dr. Handirk von Ungern-Sternberg. Die Handwerkskammer Freiburg verfolgt drei Ansätze: Ein guter Einstieg wären virtuelle Angebote in Form von Web-Seminaren, die sich speziell an den Bedürfnissen der Soloselbstständigen orientieren. Punkt zwei: Austauschgruppen. "Die Ein-Mann-Unternehmer brauchen Sparringspartner in ihrer Gewichtsklasse. Wir wollen Räume schaffen, wo nur die Soloselbstständigen offen über bestimmte Themen sprechen und ihre Fragen stellen können." Schließlich sei auch denkbar, die Beratungszeiten anzupassen. "Ich könnte mir vorstellen, dass wir außerhalb der gewöhnlichen Servicezeiten für die Soloselbstständigen erreichbar sind."
Beratung als langfristige Aufgabe
Für die neuen Angebote gibt es derzeit noch keinen konkreten Starttermin. Die Beratungsstellen seien immer noch sehr stark mit der Corona-Krise beschäftigt. Dr. Handirk von Ungern-Sternberg möchte sich in den nächsten Monaten schrittweise vorantasten und ausprobieren, was funktioniert. "Wir werden etwas Zeit brauchen, damit das Programm zu 100 Prozent steht." Die Soloselbstständigen zu unterstützen, sei langfristig ausgelegt. "Aufgabe der Beratungsstellen der Handwerkskammern ist es insbesondere, kleine und mittlere Betriebe in ihrer Unternehmensführung und -entwicklung zu unterstützen. Dass wir uns dabei auch an Soloselbstständige richten, ist Teil unseres Auftrages."
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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