Deutschland brauche eine Politik, die sich mehr am Mittelstand orientiert, fordert das Handwerk.

Deutschland brauche eine Politik, die sich mehr am Mittelstand orientiert, fordert das Handwerk. (Foto: © kchung/123RF.com)

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100 Tage Schwarz-Rot: Das Handwerk ist ernüchtert

Handwerkspolitik

100 Tage nach Antritt der schwarz-roten Bundesregierung ist der ZDH frustriert. Der Vertrauensvorschuss des Handwerks sei bisher nicht zurückgezahlt worden. Der Verband fordert die Umsetzung mittelstandsgerechter Rahmenbedingungen.

Jörg Dittrich blickt 100 Tage nach dem Start der neuen Bundesregierung enttäuscht auf die bisherige Bilanz der Koalitionspartner CDU/CSU und SPD. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) erklärt, dass die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) den Vertrauensvorschuss des Handwerks, mit dem sie ins Amt gestartet sei, bisher nicht zurückgezahlt habe. "Statt Aufbruchsstimmung herrscht im Handwerk 100 Tage nach dem Regierungsstart von Schwarz-Rot Ernüchterung und nicht selten auch Frust", so Dittrich.

Wichtige Versprechen wie die Senkung der Stromsteuer für alle habe die Koalition nicht eingehalten. "Das lässt Zweifel an der Verlässlichkeit weiterer Koalitionsvereinbarungen aufkommen. Auch die angekündigte Kommission zur Zukunft der Sozialsysteme wirkt wenig glaubwürdig, wenn gleichzeitig Rentenbeschlüsse getroffen werden, die jede generationengerechte Reform vermissen lassen und die das System wie auch die Betriebe und Beschäftigten noch stärker belasten. Diese Rentenbeschlüsse signalisieren alles andere als Reformbereitschaft. Das führt zum Vertrauensschwund."

Handwerk erwartet Prioritäten für den Mittelstand

Es sei gut, dass die Bundesregierung mit dem Investitionssofortprogramm ein wichtiges wirtschaftspolitisches Signal direkt zu Beginn der Legislatur gesetzt hat. Die Abschreibungsmöglichkeiten genauso wie die verbesserte Thesaurierungsregel für Personenunternehmen entlaste Betriebe und stärke die Investitionskraft im Handwerk. "Hervorzuheben sind auch die Vorhaben zur Planungs- und Vergabebeschleunigung. Hier konnten Kompromisslösungen erzielt werden, die faire Wettbewerbsbedingungen sichern und eine breite Beteiligung mittelständischer Betriebe ermöglichen."

Alles in allem sei die Politik der Regierung zu wenig mittelstandsorientiert. Dittrich: "Entscheidungen erscheinen bislang zu sehr auf die Interessen industrieller Großstrukturen zugeschnitten. Das Handwerk erwartet klare Prioritäten für die Mitte der Wirtschaft, zu der das Handwerk gehört. Schnell umsetzbare und wirksame Maßnahmen wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten oder die Abschaffung der Bonpflicht hätten bereits längst angestoßen werden können, um Bürokratiekosten sofort zu senken und wichtige Aufbruchssignale zu senden. Bislang ist das ausgeblieben."

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Rahmenbedingungen zügig zu verbessern

Der Handwerkspräsident fordert die Bundesregierung auf, die Rahmenbedingungen für den Mittelstand zügig zu verbessern. Dazu gehöre ein spürbarer Bürokratieabbau, die gesetzliche Verankerung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung und eine Strukturreform der Sozialsysteme. "Es braucht dringend notwendige Impulse für die duale Ausbildung und die Modernisierung der handwerklichen Bildungsstätten. Und bei der Reform der Sozialsysteme braucht es mehr als eine Kommission, hier geht es um zukünftige Finanzierbarkeit, um Zukunftsfestigkeit, um Generationengerechtigkeit, und da lässt die aktuelle Rentenpolitik das Gegenteil befürchten."

Das Urteil des Baugewerbes fällt etwas milder aus: "Die ersten 100 Tage der Bundesregierung bringen insgesamt spürbaren frischen Wind, aber die Herausforderungen bleiben enorm. Der politische Wille, beim Wohnungsbau mehr zu tun, ist da. Die Novelle des Baugesetzbuchs beschleunigt Planungen und gibt Kommunen mehr Spielraum – ein klarer Fortschritt für dringend benötigten Wohnraum", sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. Doch jetzt müsse der zweite Turbo gezündet werden: Bauen müsse einfacher und günstiger werden.

Wettbewerbsfähigkeit stärken

Auch bei der Infrastruktur seien Fortschritte erkennbar. Pakleppa: "Es ist ein positives Signal, dass die Bundesregierung Mittel aus dem kreditfinanzierten Sondervermögen mobilisiert, um den Investitionsstau aufzulösen. Wir sehen jedoch die Notwendigkeit, zwischen Schiene, Straße und Wasserstraßen das Sondervermögen ausgeglichener zu verteilen." Der Kabinettsbeschluss zum Vergabebeschleunigungsgesetz sei ein kluger Kompromiss, der dafür sorge, dass alle Unternehmen faire Chancen bei öffentlichen Ausschreibungen haben. Insgesamt brauche das Land aber tiefgreifende Reformen. Besonders die sozialen Sicherungssysteme müssten zukunftsfest gemacht und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft müsse gestärkt werden.

Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) zieht eine gemischte Bilanz. "Zwar wurden wichtige Reformvorhaben angekündigt und erste Maßnahmen eingeleitet, doch bleiben zentrale Erwartungen des mittelständischen Kfz-Gewerbes bislang unerfüllt", so ZDK-Präsident Thomas Peckruhn. "Besonders schmerzlich: Die versprochene spürbare Steuerentlastung für kleine und mittlere Betriebe lässt auf sich warten, und die Förderung der Elektromobilität bleibt Stückwerk." Der ZDK begrüßt die angekündigten Maßnahmen zum Bürokratieabbau, zur Einführung von Sonderabschreibungen und zur Senkung der Energiekosten.

ZDK zieht gemischte Bilanz

Diese Kernforderungen des Verbandes hätten das Potenzial, die Kfz-Betriebe spürbar zu entlasten, wenn sie zügig und praxisnah umgesetzt werden. "Das sind wichtige Signale, aber unsere Betriebe brauchen mehr als gute Vorsätze. Die wirtschaftliche Lage ist angespannt, und der Mittelstand braucht jetzt konkrete Entlastung und nicht erst in drei Jahren", mahnt Peckruhn. Besonders kritisch bewertet der ZDK die steuerpolitischen Entscheidungen der neuen Bundesregierung. Die geplante Absenkung der Körperschaftsteuer ab 2028 helfe vielen als Personengesellschaften geführten Familienbetrieben nicht, weil diese steuerlich anders behandelt würden als Kapitalgesellschaften.

Auch die im Koalitionsvertrag angekündigte sofortige Senkung der Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß für alle Unternehmen wurde nicht umgesetzt. Das Kfz-Gewerbe bleibt von der Entlastung ausgenommen, obwohl für Werkstätten und Autohäuser hohe Energiekosten zu den hohen Kostenfaktoren zählen. "Die Abgabenlast erdrückt viele Betriebe. Eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder eine echte Stromsteuersenkung für alle wäre ein klares und sofort wirksames Signal gewesen", sagt Peckruhn.

Mobilitätswende ernst nehmen

Für den Hochlauf der Elektromobilität setze die Regierung zu einseitig auf gewerbliche Käufe und lasse das Leasinggeschäft sowie den Privatmarkt weitgehend außen vor. Kaufanreize für private E-Auto-Käufer fehlten ebenso wie bezahlbarer Ladestrom. Peckruhn kritisiert: "Wer es mit der Mobilitätswende ernst meint, muss auch den Privatmarkt im Blick haben. Ladestrom sollte sowohl steuerlich als auch durch Senkung der Netzentgelte begünstigt und die öffentliche Ladeinfrastruktur gefördert werden, und zwar für alle Kunden. Andernfalls bleibt Elektromobilität für viele Menschen finanziell unattraktiv."

Das Elektrohandwerk vermisst ein klares Konzept für die Energiewende. "In kurzer Abfolge werden aktuell Eckpfeiler der Energiewende in Frage gestellt, ohne eigene schlüssige Antworten zu geben. Dass schafft massive Verunsicherung", so die Kritik des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH). Dazu gehörten die geplante Streichung der Einspeisevergütung von kleinen Photovoltaik-Anlagen, die Absage an eine Stromsteuersenkung für alle und die Abschaffung der Gaspreisumlage auf fossiles Gas.

Verunsicherung hemmt Investitionen

Noch unbeantwortet seien Fragen zum Gebäudeenergiegesetz, das trotz eigener Energiewendeziele der Bundesregierung und europarechtlicher Vorgaben abgeschafft werden soll, ohne dass erläutert würde, was stattdessen kommt. Gleichzeitig laufe das im Koalitionsvertrag angekündigte Monitoring der Energiewende, mit dem der Pfad für den Ausbau erneuerbarer Energien sowie der zukünftige Strombedarf überprüft werden soll. Auch hier bleibe unklar, was damit bezweckt wird.

"Die erfolgreiche Energiewende ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Die aktuellen widersprüchlichen Signale und die offene Planlosigkeit schüren massive Verunsicherung und hemmen Investitionen", erklärt ZVEH-Hauptgeschäftsführer Alexander Neuhäuser. Der Verband fordert daher verlässliche Eckwerte für die Fortsetzung des Transformationsprozesses und eine stabile Ordnungspolitik. Neuhäuser: "An der Energiewende führt kein Weg vorbei. Wir brauchen daher ein klares Bekenntnis zu Klimaschutz und Energiewende – auch, weil beides eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit ist."

100 Tage schwarz-rote BundesregierungDie Bundesregierung hat einige Pläne bereits umgesetzt. Nicht immer war das Handwerk damit zufrieden:
- Rentenpaket enttäuscht das Handwerk
- Bundeskabinett beschließt das Tariftreuegesetz
- Handwerk begrüßt vom Kabinett beschlossene Vergaberechtsreform
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- Koalitionsvertrag: So reagiert das Handwerk auf die Pläne
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Text: / handwerksblatt.de

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