"Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, um nur zwei massive Herausforderungen der letzten Jahre zu nennen, sollten eigentlich klargemacht haben, dass auf dieses Gesetz niemand wartet", sagt Axel Voss.

"Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, um nur zwei massive Herausforderungen der letzten Jahre zu nennen, sollten eigentlich klargemacht haben, dass auf dieses Gesetz niemand wartet", sagt Axel Voss. (Foto: © Frank Beer photography)

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Lieferkettengesetz: "Wir halten das für völlig aus der Zeit gefallen"

Handwerkspolitik

Der Europaabgeordnete Axel Voss berichtet über den aktuellen Verhandlungsstand beim EU-Lieferkettengesetz.

Derzeit verhandeln Europäisches Parlament und Rat über das EU-Lieferkettengesetz. Die EU-Kommission hat 2022 ihren Richtlinienvorschlag zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vorgelegt. Seither haben Rat und EU-Parlament ihre Positionen festgelegt. Darüber, wie Handwerksbetriebe weitgehend von Berichterstattungspflichten ausgenommen werden können, spricht Schattenberichterstatter Axel Voss (CDU).

Von dem geplanten EU-Lieferkettengesetz wären viele Handwerksbetriebe zwar nicht direkt betroffen, die daraus resultierenden Pflichten bekämen sie aber trotzdem durchgereicht. Wo stehen wir bei dem Gesetz, was kommt auf die Betriebe zu?
Voss:
Lassen Sie mich zunächst eines vorweg sagen: Wir in der CDU/CSU halten das Gesetz für völlig aus der Zeit gefallen. Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, um nur zwei massive Herausforderungen der letzten Jahre zu nennen, sollten eigentlich klargemacht haben, dass auf dieses Gesetz niemand wartet. In anderen Parteien hält man das Lieferkettengesetz aber für die Lösung sämtlicher Probleme dieser Welt. Jetzt wird der Gesetzesvorschlag im Trilog verhandelt, daher muss es jetzt darum gehen, das Schlimmste zu verhindern. Aus EVP-Sicht konnten wir da bereits einiges erreichen und aufgrund des risikobasierten Ansatzes halte ich das europäische Lieferkettengesetz sogar für besser als das deutsche Gesetz. Statt unterschiedslos die gesamte Lieferkette zu durchleuchten, werden die Unternehmen verpflichtet, vor allem die Fälle in den Blick zu nehmen, wo ein tatsächliches Risiko für Verstöße besteht. Wenn dieser Ansatz konsequent umgesetzt wird, kompensiert er auch die diskutierten niedrigeren Schwellenwerte. Allerdings sehe ich sogar Chancen, dass wir uns in Europa zumindest auf einen Schwellenwert von 500 Mitarbeitern einigen können. Außerdem würde die Haftung nicht über das hinausgehen, was bereits geltendes Recht ist und die Position des Europäischen Parlaments ist sogar noch restriktiver, da ein Unternehmen nur bei Untätigkeit haften würde und wenn der Schaden selbst bzw. indirekt versursacht wurde.

Aufgrund der im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Vertragskaskade besteht die Befürchtung, dass Zulieferer dazu verpflichtet werden, die Unternehmenskodizes ihrer Auftraggeber - faktisch sind es deren Geschäftsbedingungen – zu übernehmen. Der grundsätzlich positive risikobasierte Ansatz ist hingegen eher vage formuliert. Wie wollen Sie den rechtssicher verankern, und haben Sie auch die politischen Mehrheiten dafür?
Voss:
Als Europäisches Parlament haben wir diese Weitergabe der Pflichten in der Vertragskette klar untersagt. Unsere Linie innerhalb der christdemokratischen EVP-Fraktion ist klar: Wir wollen an dieser Stelle so wenig Interpretation wie möglich zulassen. Deshalb setzt sich meine Fraktion für eine möglichst weitgehende Vollharmonisierung in der EU ein. Auch deshalb halte ich es für wichtig, dass wir eine europäische Regelung haben. Denn wenn wir das nicht schaffen, stehen die ersten Mitgliedstaaten schon in den Startlöchern, um ähnlich wie Deutschland und Frankreich eigene nationale Lieferkettengesetze vorzulegen. Dann haben Sie in Europa schließlich 27 verschiedene Gesetze, auch wenn das für Handwerksbetriebe vielleicht nicht die ganz große Rolle spielt, weil sie vorwiegend regional und national aktiv sind. Es würde sich dann aus dem risikobasierten Ansatz ergeben, dass umfangreiche Fragebögen, wie sie Unternehmen derzeit als Folge des deutschen Lieferkettengesetzes an ihre Zulieferer verschicken, überhaupt nicht erforderlich sind. Ich halte dieses Vorgehen daher für völlig falsch. Das ergibt sich schon allein aus der Systematik: Risiken sollen nur dort untersucht werden, wo ein tatsächliches Risiko für Verstöße besteht. Daraus ergibt sich: Wenn die gleichen Pflichten bereits erfüllt werden müssen, beispielsweise aufgrund von EU-Recht, dann besteht aufgrund des risikobasierten Ansatzes keine weitere Prüfpflicht. Damit wären die Handwerksbetriebe in der Regel raus. Dieser Ansatz lässt sich auch auf andere Regionen in der Welt anwenden, zum Beispiel Australien, Neuseeland, Südkorea, Japan oder Kanada.

Herr Voss, was passiert eigentlich mit dem Lieferkettengesetz, wenn die Verhandlungen nicht mehr rechtzeitig vor der Europawahl im Juni 2024 abgeschlossen werden können?
Voss:
Anders als zum Beispiel im Deutschen Bundestag gilt auf EU-Ebene das Diskontinuitätsprinzip nicht. Das heißt: Nicht abgeschlossene Gesetzesvorhaben verfallen zum Ende einer Legislaturperiode nicht automatisch, sondern können wieder aufgegriffen werden, sofern es eine politische Mehrheit dafür gibt. Aber natürlich wird es auch von der Zusammensetzung des neuen EU-Parlaments und von der neuen EU-Kommission abhängen, ob das Dossier noch Priorität hat. Dann müssen wir uns entscheiden: Machen wir mit, um das Schlimmste zu verhindern, oder stehen wir abseits? Außerdem möchte ich noch einmal die Frage in den Raum stellen, ob eine einheitliche europäische Regelung für die Wirtschaft nicht besser wäre als 27 verschiedene nationale Gesetze. Bei dem europäischen Gesetzesentwurf ist es uns immerhin gelungen, drei Viertel der Grausamkeitsliste zu streichen. Das ist zwar schwieriger als Erfolg zu kommunizieren, aber aus meiner Sicht bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Daher sollten wir den Druck aufrechterhalten, damit sich auch die Berichterstatterin der sozialdemokratischen Fraktion, Frau Wolters, endlich kompromissbereit zeigt. Jetzt ist die Zeit der klaren Worte.

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Quelle: ZDH

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Text: / handwerksblatt.de

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