Prestigeprojekt für das Handwerk in Hamburg: Mit der ­Meistermeile erhielten ­Betriebsinhaber günstige Gewerbeflächen mitten in der Stadt.

Prestigeprojekt für das Handwerk in Hamburg: Mit der ­Meistermeile erhielten ­Betriebsinhaber günstige Gewerbeflächen mitten in der Stadt. (Foto: © Sprinkenhof GmbH)

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Masterpläne – Zukunft nur mit dem Mittelstand

Leben, arbeiten, Freizeit – Innenstädte sollen Magneten für die Menschen sein. Doch in den Bemühungen, attraktive Zentren zu ­schaffen, vergessen Masterpläne zu oft die Wirtschaft.

Preisfrage: Was sind für Handwerker die drei wichtigsten Standortfaktoren ihrer Betriebe? Eine gute Anbindung an das Straßennetz (nennen 70 Prozent der Handwerker), eine räumliche Nähe zu Kunden bzw. Laufkundschaft (40 Prozent) und Stellplätze (34 Prozent). Zwei von drei Faktoren betreffen die Mobilität, doch Vorhaben wie "autofreie Innenstadt", "alternative Parkraumbewirtschaftung" oder "neu gedachte Straßenräume" legen zu oft die Axt an genau diesen wichtigen Faktoren.

Die Diskussionen rund um den fließenden und den ruhenden Verkehr zeigen exemplarisch, wie schwierig es ist, die Interessen aller unter einen Hut zu bekommen, selbst wenn sie sich über das Ziel einig sind: "Für eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Innenentwicklung ist es entscheidend, das Nebeneinander der Nutzungen – wie zum Beispiel Handel, Gewerbe, Handwerk, Industrie und Gastronomie, Wohnen, Bildung, Kultur sowie öffentliche Einrichtungen (stadt-) verträglich zu gestalten, den Verkehr konfliktarm weiterzuentwickeln sowie den öffentlichen Raum zu qualifizieren", konstatiert der Beirat Innenstadt des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) in dem 2021 vorgelegten Papier "Innenstadtstrategie".

Uniformierte Innenstädte

Unbestritten ist, dass der Handlungsbedarf vielerorts hoch ist. Die Einkaufszentren vor den Toren der Stadt, hohe Ladenmieten und Filialisten haben Innenstädten ein nahezu uniformiertes Gesicht verpasst. Mehr noch: Eine aus extremen Preisen heraus entstandene hohe Fluktuation, lange Leerstände und ein Schwinden attraktiver Anziehungspunkte haben im Einvernehmen mit dem Aufschwung des Online-Handels, der Pleiten großer Kaufhäuser, der Corona-Epidemie, den schwächelnden Logistikketten und den Folgen des Krieges sowie der Energiekrise zu langweiligen und verödeten Fußgängerzonen geführt.

Mittendrin: das Handwerk. 41 Prozent aller Handwerksbetriebe ordnen ihren Standort Groß- und Mittelstädten zu, fühlen sich dem ­inneren wie dem äußeren Stadtbereich zugehörig und fühlen sich selbst bei einer Betriebsstätte im Umland immer dem Ballungsraum zugehörig. Jeder zweite Betriebsinhaber verpasste in einer Standortumfrage des ZDH im Jahr 2019 seiner Betriebsstätte das Etikett "urbane Lage".

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Zitat"Für eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Innenentwicklung ist es entscheidend, das Nebeneinander der Nutzungen (stadt-) verträglich zu gestalten." Aus dem Papier "Innenstadtstrategie des Beirats Innenstadt beim BMI", Die Innenstadt von morgen – multifunktional, resilient, kooperativ

Handwerk ist urban

Ein Blick auf die typischen Handwerksbetriebe verdeutlicht das. Dazu zählen klassische Ladenhandwerke wie Bäcker, Fleischer, Optiker oder Textilreiniger, aber auch die Büros von Klein- und Kleinstbetrieben wie Maler oder Fliesenleger. Sie finden sich direkt in den Einkaufs- oder Wohnstraßen. Hinzu kommen kleinere und mittelgroße Betriebe in innerstädtischen Gemenge- oder Streulagen wie Baulücken, Hinterhöfe oder einzelne Gewerbebauten, darunter oft kleinere Baubetriebe oder Kfz-Handwerke.

Alle Betriebe in einer urbanen Lage eint ein Problem: "Für Handwerks- und Gewerbebetriebe in Innenstadtlagen wurde es in den letzten Jahren immer schwieriger, sich dort zu behaupten. Sie müssen zunehmend auf Randlagen ausweichen", begründete 2021 der damalige ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer das Engagement des Verbandes, die Interessen des Handwerks in der Innenstadtstrategie des BMI einzubringen. Es galt und gilt für das mittelständische Handwerk, nicht im Verdrängungswettbewerb unterzugehen.

Altbekannte Probleme

Die Probleme des städtischen Handwerks sind nicht neu:

  • Vor allem durch Neubauten werden klassische Gewerbe- und Mischgebietsflächen durch reinen Wohnungsbau verdrängt, was übrigens nicht nur für Ballungsräume gilt.
  • Immer höhere Quadratmeterpreise für den Boden bringen vor allem das Ladenhandwerk an ihre finanziellen Grenzen
  • Anwohner zeigen sich immer empfindlicher gegenüber Gewerbe­treibenden als direkte Nachbarn und fühlen sich schneller durch Lärm oder Gerüche belästigt
  • Die verfügbaren Flächen für Handwerker reduzieren sich weiter durch eine Umnutzung und Flächensparziele als Vorgaben
  • Neue baurechtliche und umweltrechtliche Standards und eine ­strikte Praxis der Aufsichtsbehörden legen immer höhere Hürden, oft versteckt hinter der Bemerkung »Stand der Technik«
  • Der Wettbewerb um Flächen wird gerade in größeren Gewerbegebieten ausgeprägter, weil Industrie, Logistik und ein großflächiger Handel mit dem Handwerk konkurrieren
  • Standorte in den Innenstädten leiden immer häufiger unter den Mobilitätseinschränkungen, die die Verkehrsmittel, die Stellplätze dafür und die dazugehörige (Verkehrs-)Infrastruktur betreffen

Individuelle Wege gefordert

Wie individuell die Wege ausfallen können, zeigt sich zum Beispiel in Hamburg. Die Handwerkskammer fährt schon lange für den Erhalt des Handwerks in der Innenstadt eine mehrgleisige Gewerbeflächenstrategie. Ihr Dreiklang besteht aus dem Schutz bestehender Betriebsstätten, der Neuausweisung handwerksgeeigneter Gewerbeflächen und der Schaffung von Handwerkerhöfen. Bekanntestes Beispiel ist der Handwerkerhof Ottensen, dessen Ursprung aus einem Zusammenschluss aus 15 Betrieben und Einzelpersonen entstanden war. Ihre Aufgabe: Schnell passende und vor allem bezahlbare Gewerbeflächen zu finden, was unter anderem mit Hilfe der Handwerkskammer gelang. Handwerkerhöfe als Lösung Mitten im Stadtteil Altona finden sich heute im Handwerkerhof Ottensen unter anderem Glaser, Tischler, Polsterer, SHK-Handwerker und Musikinstrumentenbauer. Rund um den Hof kamen weitere Kleinbetriebe hinzu, die 2017 die Kolbenwerk eG, eine Genossenschaft, gründeten, um die 8.000 Quadratmeter große Halle des ehemaligen Kolbenschmidt Werkes in der Friedensallee zu kaufen. Das Ziel: Die Halle so umzubauen, dass die Gruppe der 26 Gründungsmitglieder ihre Betriebsstätten dort so planen und einrichten konnten, wie sie es brauchten. Für die Halle musste die Genossenschaft ­einen Kredit in Höhe von acht Millionen Euro aufnehmen.

Auch in der Genossenschaft ist die Handwerkskammer Hamburg als Aufsichtsrat mit im Boot. Mit der Meistermeile realisierte die Handwerkskammer ein weiteres Projekt, diesmal im Stadtteil Lokstedt und ist nach eigenem Bekunden Norddeutschlands erstes innerstädtisches Zentrum für Handwerk auf mehreren Etagen. Das Projekt stammt aus dem "Masterplan Handwerk 2020", einer Vereinbarung des Hamburger Senats und der Handwerkskammer Hamburg mit Mitteln der Hamburgischen Bürgerschaft. Es sah die Errichtung von Gewerbeflächen zu fairen Preisen für rund 100 kleine und mittlere Handwerks- und Produktionsbetriebe vor. Vorbild für das Projekt waren die Münchner Gewerbehöfe, die die Stadt einrichtete, um das produzierende Gewerbe und das Handwerk in der Stadt zu halten.

Gemeinde kauft Grundstücke

Arbeiten geht nur mit Rücksicht auf die Nachbarn: Bäckereimeister Gerhard Schlegel mit Sohn Jonas in Raesfeld. Foto: © Andreas BuckArbeiten geht nur mit Rücksicht auf die Nachbarn: Bäckereimeister Gerhard Schlegel mit Sohn Jonas in Raesfeld. Foto: © Andreas Buck

Was im Großen funktioniert, geht auch im Kleinen. Im münsterländischen Raesfeld geht die rund 11.000 Einwohner große Gemeinde einen ähnlichen Weg, um Gewerbe und Wohnen miteinander zu vereinbaren. "Wir kaufen als Gemeinde Grundstücke und Immobilien, um sie dann gezielt Gewerbetreibenden anzubieten, die sich unserer Meinung nach mit den Nachbarn vertragen", erklärt Bürgermeister Martin Tesing. "Wir haben allerdings auch den großen Vorteil, dass wir eine kleine Gemeinde sind – jeder kennt jeden und wir reden sofort miteinander, um Probleme zu lösen oder erst gar nicht aufkommen zu lassen." Dass dazu auch Rücksicht auf die Nachbarn gehört, weiß Bäckermeister Gerhard Schlegel, der seine Bäckerei mit Ladenlokal mitten im Ortskern betreibt. "Um durch den Anlieferverkehr nicht die Nachbarn aus dem Schlaf zu reißen, haben wir klare Lieferzeiten vereinbart," erklärt der 59-jährige Chef von 18 Mitarbeitern. "Unseren eigenen Fuhrpark stellen wir zudem auf E-Fahrzeuge um."

Den Strom dafür liefert die Sonne – Schlegel, der den rund 100 Jahre alten Traditionsbetrieb 2009 übernommen hatte, installierte auf dem Wohn- und Betriebsgebäude eine Photovoltaik-Anlage mit einer Peakleistung von 46 kWh. Von dem regenerativ erzeugten Strom profitieren auch seine energieintensiven Backöfen. "Bäckermeister Schlegel zeigt so, wie das Handwerk mit seinen Dienstleistungen unmittelbar zum Ausbau Erneuerbarer Energien, zur Erhöhung der Energieeffizienz und zur Verringerung der Treibhausgase beitragen kann", hebt Hans Hund, Präsident der Handwerkskammer Münster, hervor.

Nicht nur eine Frage des Preises

Auf der Suche nach möglichen Flächen entscheidet zwar an erster Stelle der Preis, aber auch die Möglichkeit, wie sich leerstehende oder nur spärlich genutzte Liegenschaften kreativ und flexibel nutzen lassen. Etwa von großen Kaufhäusern, die zuletzt durch die Schließung von mehr als 50 Galeria-Kaufhof-Filialen in besten Innenstadtlagen schlagartig zum Thema wurden. Gerade für das Handwerk müssen zum Beispiel technische Voraussetzungen wie Deckenlasten, Lastenaufzüge, Lüftungen oder Anlieferungsmöglichkeiten gegeben sein, aber auch eine Verträglichkeit mit der Nachbarschaft.

Hier kommen oft die Stadtplaner und Architekten ins Spiel, die neue Lösungen für alte Kaufhäuser finden müssen. Es gilt, flexible Nutzungen für die Gebäude zu finden – falls nicht Vorgaben wie Denkmalschutz dagegensprechen. Fest steht, dass Shopper von heute nicht gerne in höhere Etagen fahren. Höhere Stockwerke fallen damit für den Handel aus, bieten aber zum Beispiel Ansätze für Co-Working-Plätze von Unternehmen oder als Trainings- oder Seminarräume für Weiterbildungs- oder Sportinstitute. In der Kölner Schildergasse wird ein mehrstöckiges Kaufhaus derzeit zur Boulderhalle umgebaut. Das soll Wohnen und Freizeit verbinden – in der Kölner Innenstadt leben 120.000 Menschen, die alle ein Freizeitangebot nach Feierabend suchen.

Wirtschaft wird oft vergessen

So wichtig es ist, einen Konsens zwischen allen Beteiligten zu erzielen, so schwierig ist es, einen Kompromiss zu finden, mit dem alle leben können. Dabei scheiden sich die Geister und Masterpläne einmal mehr an der Mobilität. Wer nicht auf sie angewiesen ist, will sie verbieten – und trifft damit all diejenigen, die auf sie angewiesen sind. Das zeigt sich zum Beispiel in Potsdam, wo sich Interessenvertreter für eine autoarme Innenstadt stark machen und unter dem geplanten Innenstadtkonzept "Straßenräume neu denken" gleich 400 Parkplätze zur Diskussion stehen. 250 Handwerksbetriebe haben ihren Standort in der City, hinzu kommen die Handwerker, die Arbeiten vor Ort erledigen müssen. "Für das Handwerk ist Parken im Innenstadtbereich notwendige Voraussetzung, um überhaupt arbeiten zu können", sagt der Babelsberger Tischlermeister Matthis John. "Unsere Fahrzeuge sind unsere verlängerte Werkbank, die wir benötigen, um Kundenaufträge erfüllen zu können."

Auch Ralph Bührig, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam, mahnte bei der Veranstaltung im Februar 2023 an, das Konzept noch einmal neu zu überdenken. "Unstrittig ist es, dass in die Erlebnisqualität aufgewertet werden muss", so Bührig. "Dies durch eine autofreie Innenstadt erreichen zu wollen, ist jedoch der falsche Weg." Vielleicht sollten die Stadtplaner einmal in Köln nachfragen. Dort hatte im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Deutz die IG Deutz autofrei seit Sommer 2022 für die Deutzer Freiheit, der Einkaufsmeile des Veedels, eine autofreie Zone ertrotzt. Das Modellprojekt soll bis Sommer 2023 schon laufen, bislang gab es viel Zoff darum, vor allem, weil dort jetzt Fahrradfahrer und Fußgänger aneinander geraten. Das Fazit nach etwas mehr als einem halben Jahr bringt der Kölner Stadtanzeiger so auf den Punkt: Die Ladenbesitzer beklagen Umsatzverluste – und die Anwohner verzweifeln.

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Text: / handwerksblatt.de

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