Wenn Wilhelm Hülsdonk am Sonntag in die Kirche geht, dann trifft er viele seiner Kunden. Auch seine Schützenbrüder lassen ihr Auto in seiner Werkstatt reparieren. Für sie und natürlich für alle anderen Kunden gilt: Das Fahrzeug soll die Werkstatt tipptopp verlassen. Die Kunden sollen zu 100 Prozent zufrieden sein. Aber wie soll das gehen, in Zeiten, in denen die Kfz-Versicherer die Preise diktieren? In denen sie vorschreiben, was wo repariert werden darf.
"Der Druck auf die Werkstätten ist enorm", sagt der Unternehmer. Hülsdonk spricht nicht nur für seinen eigenen Betrieb, das Autozentrum Voerde am Niederrhein. Er ist seit vielen Jahren Bundesinnungsmeister des Zentralverbandes Deutsches Kfz-Gewerbe und zudem Mitglied des ZDH-Präsidiums.
"Inzwischen haben sie den Bogen überspannt"
Versicherer gewinnen die Oberhand über die Kfz-Werkstätten. Sie wollen die Stundensätze bestimmen, kürzen Rechnungen und nehmen Einfluss auf das Schadensmanagement. Dass die Konzerne profitabel wirtschaften müssen, sei verständlich. Aber das dürfe nicht auf dem Rücken der Handwerker vor Ort geschehen.
Schon seit Jahren drehen die Versicherer an der Kostenschraube. "Inzwischen haben sie den Bogen überspannt", sagt Hülsdonk. "Es geht im Wettbewerb nicht mehr darum, wer die beste Versicherung ist und den Schaden am besten abwickelt, sondern ausschließlich um den Preis." Jeder Euro zählt da.
Alle Kfz-Versicherungsarten betroffen
Inzwischen haben die Versicherungen den Bogen überspannt, sagt Wilhelm Hülsdonk. Foto: © Ingo Lammert Im Handwerkerjargon würde man sagen: "Nach fest kommt lose." Wer die Schraube zu fest in den Dübel dreht, der macht sie kaputt. Die Streitpunkte würden bis in den technischen Bereich gehen. Am Ende stehe nicht nur der Ruf des Handwerkers auf dem Spiel, sondern auch die Verkehrssicherheit.
Alle Kfz-Versicherungsarten seien inzwischen betroffen, die Voll- und die Teilkasko genauso wie der Haftpflichtbereich, sagt Hülsdonk. Die jüngsten Wetterkapriolen hätten es wieder gezeigt. Hagel- und Sturmschäden nehmen zu und mit ihnen der Anteil der Teilkaskofälle. "Früher lief hier die Abwicklung mit der Versicherung recht friedlich. Dadurch dass es mehr Schäden gibt, werden auch hier Rechnungen in Frage gestellt."
"Das schwächste Glied in der Kette"
Die Vollkasko wiederum sei schon länger im Fokus der Versicherer. Autos sind heute teuer, die Vollkaskoversicherungen vergleichsweise günstig. Folge: Während man früher nach zwei, drei Jahren auf eine Teilkaskoversicherung umstieg, bleiben viele Kfz-Besitzer heute acht oder neun Jahre vollkaskoversichert. "Für die Autofahrer bedeutet das aber, dass die Versicherung zum Teil schon in den Vertrag schreibt, dass sie der Herr über die Abwicklung des Schadens wird."
Stichwort "Werkstattbindung"
Der Versicherungsnehmer muss sich im Schadenfall erst an seine Versicherung wenden. Diese wählt dann eine ihrer Vertragswerkstätten und bestimmt, was gemacht werden darf und was nicht. Das System der Partnerwerkstätten sorgt seit Jahren für Unmut in der Branche.
Den Werkstätten werden viele Aufträge versprochen, im Gegenzug müssen sie zu Sonderkonditionen arbeiten, teilweise sogar kostenlose Leistungen erbringen. "Der Handwerker ist hier das schwächste Glied in der Kette, weil er die Aufträge braucht. Bevor er seine Kunden verliert, begibt er sich dann auch in so ein Netz."
Fälle werden emotionslos bearbeitet
Auch bei Haftpflichtschäden knirscht es. Hier gilt eigentlich das Haftpflichtschadensrecht, betont Wilhelm Hülsdonk. "Aber auch da schafft es die Versicherung Einfluss zu nehmen." Beispielsweise dürfe der Schadensverursacher die Abwicklung nicht bestimmen. Der Herr der Abwicklung sei der Geschädigte. Er sagt, welche Werkstatt dieser nimmt, welchen Rechtsanwalt, welchen Gutachter.
"Die Versicherungen versuchen, dieses Recht zu beeinflussen", so der Bundesinnungsmeister. Sie bieten an, die Werkstatt zu besorgen, den Mietwagen und den Gutachter. "Sie versuchen also, über diese Instrumente Einfluss auszuüben." Die Versicherung, die in München oder Berlin sitzt und die Fälle völlig anonym und emotionslos bearbeite, mische sich in ein teils jahrelang zwischen Betrieb und Kunde gewachsenes Vertrauensverhältnis ein.
Ein Beispiel: Das Fahrzeug hat einen Frontschaden. Im Versicherungsvertrag steht, dass in diesem Fall bis zur Kante des Schadens repariert und lackiert werden darf. Ein älteres Fahrzeug würde in diesem Falle nach der Reparatur vorne wie neu aussehen und damit anders als der Rest des Wagens. Um das zu verhindern, müsste der Betrieb die Farbe so mischen, dass der Farbton des Fahrzeugs exakt getroffen wird und den Wagen bis zur Mitte der Tür lackieren, sagt Wilhelm Hülsdonk. Damit man den Unterschied zwischen alt und neu nicht sieht. "Sonst fährt der Kunde unzufrieden nach Hause, weil das Auto zweifarbig ist. Der Versicherung ist das völlig egal." Das schlechte Image habe am Ende der Handwerker.
Stimmen der Versicherer: Bei den Kfz-Versicherungen gab es nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungen (GDV) 2017 rund 116,4 Millionen Verträge. Den größten Bestand an Kfz-Versicherungsverträgen haben demnach die Allianz und die HUK-Coburg. Wir haben deren Pressestellen um eine Stellungnahme zur Kritik des Kfz-Verbandes gebeten.
Die Allianz schreibt: "Für die Erfüllung unseres Leistungsversprechens im Rahmen von Verträgen mit Werkstattbindung zählen wir auf stabile und verlässliche Partnerschaften mit den Betrieben des Netzwerkes, welches wir nutzen. Für die teilnehmenden Betriebe bedeutet dies nicht nur einen Beitrag zur Werkstattauslastung, sondern wir erleben häufig, dass unsere Partnerbetriebe die Kunden auch darüber hinaus binden. Sind diese zufrieden, kommen sie zum Beispiel auch für Wartungsarbeiten gern wieder. Bei den Werkstattkonditionen orientiert sich unser Netzwerkpartner an den regionalen Preisen wie auch der konkreten Situation der Betriebe. Wichtig ist uns dabei nicht nur der partnerschaftliche Umgang, sondern eine stabile Basis, auch für eine zukünftige Zusammenarbeit."
Das sagt die HUK-Coburg: "Für unsere Kunden unterhalten wir deutschlandweit ein flächendeckendes Werkstattnetz von rund 1.500 Partnerbetrieben, das aus herstellergebundenen und freien, auf Unfallinstandsetzung spezialisierten Werkstätten, besteht. Diese Werkstätten reparierten für uns im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Schäden. Das entspricht einem Umsatz von rund 600 Millionen Euro. Dies wiederum versetzt uns in die Lage, mit den Partnerbetrieben günstige Großkundenkonditionen zu vereinbaren, die wir in Form niedriger Beiträge den Kunden zugutekommen lassen. Die Vereinbarungen mit unseren Werkstätten beruhen auf freiwilliger Basis – eine sogenannte Win-Win-Situation für alle Beteiligten."
Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
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