Katja Lilu Melder, Geschäftsführerin und Bauleiterin der BMG Santec GmbH, präsentierte Bundeskanzler Olaf Scholz und ZDH-Präsident Jörg Dittrich ein Exoskelett auf dem Kongress ZUKUNFT HANDWERK.

Katja Lilu Melder, Geschäftsführerin und Bauleiterin der BMG Santec GmbH, präsentierte Bundeskanzler Olaf Scholz und ZDH-Präsident Jörg Dittrich (r.) ein Exoskelett auf dem Kongress Zukunft Handwerk. (Foto: © DHB / Kirsten Freund)

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Spitzengespräch der Wirtschaft: "Bürokratieabbau braucht Tempo"

Die Stimmung in den Unternehmen ist schlecht, Bürokratielasten erdrücken: Beim Spitzengespräch der Wirtschaft mit Bundeskanzler Olaf Scholz legten die Verbände ein Zehn-Punkte-Papier vor, um den Standort Deutschland zu stärken.

"Die Stimmung in den Betrieben ist schlecht", sagte Handwerkspräsident Jörg Dittrich anlässlich des Spitzengesprächs der Deutschen Wirtschaft mit Bundeskanzler Olaf Scholz in München beim Kongress "Zukunft Handwerk".  Es sei jetzt an der Zeit, eine positive Stimmung zu erzeugen und Deutschland aus der Talsohle zu holen. "Deutschland braucht vor allem Mut und Tempo beim Bürokratieabbau." 

Das anschließende Pressegespräch mit v.l.: ZDH-Präsident Jörg Dittrich, BDI-Präsident Siegfried Russwurm, Bundeskanzler Olaf Scholz, BDA-Präsident Dr. Rainer Dulger und DIHK-Präsident Peter Adrian. Foto: © GHMDas anschließende Pressegespräch mit v.l.: ZDH-Präsident Jörg Dittrich, BDI-Präsident Siegfried Russwurm, Bundeskanzler Olaf Scholz, BDA-Präsident Dr. Rainer Dulger und DIHK-Präsident Peter Adrian. Foto: © GHM

Die deutsche Wirtschaft stehe vor großen strukturellen Herausforderungen, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Nicht nur der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder "geopolitische Verwerfungen" würden die Wirtschaft belasten. Es gebe auch "viele hausgemachte Probleme", so Russwurm. Als Beispiele nannte er die im internationalen Vergleich hohen Steuern oder die hohen Energiekosten.

Die Verunsicherung sei groß und das sei "Gift für Investitionen". Die Verbände hoffen auf die Zustimmung zum Wachstumschancengesetz im Bundesrat am 22. März. Sie fordern zudem unter anderem den Abbau des Solidaritätszuschlags, mittelstandsgerechte Ausgestaltung der Thesaurierungsrücklage sowie eine Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß. 

Auch die "ausufernde" Bürokratie mit vielen Dokumentationspflichten waren ein zentrales Thema des Spitzengesprächs wie auch auf dem Kongress ZUKUNFT HANDWERK parallel zur Internationalen Handwerksmesse in München.

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Der Industrieverband BDI, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) legten dem Kanzler ein Zehn-Punkte-Papier vor. Dieser kündigte angesichts der Vielzahl der Themen an, sich im kommenden Jahr noch mehr Zeit für den Austausch mit der Wirtschaft zu nehmen und lobte die Innovationskraft im Handwerk, die er bei seinem  Messerundgang erleben durfte. 

 

Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte drei Aussteller des ZUKUNFT HANDWERK Kongress 2024. Hier am Stand von Solte Q, ein Unternehmen, das Solar-Dachziegel anbietet. Foto: © GHMBundeskanzler Olaf Scholz besuchte drei Aussteller des ZUKUNFT HANDWERK Kongress 2024. Hier am Stand von Solte Q, ein Unternehmen, das Solar-Dachziegel anbietet. Foto: © GHMBundeskanzler Olaf Scholz hob den konstruktiven Austausch mit der Wirtschaft hervor und kündigte an, im kommenden Jahr noch mehr Zeit mitzubringen. Scholz zeigt sich zuversichtlich, dass das Wachstumschancengesetz, das Investitionen begünstigt, im Bundesrat beschlossen wird.

Das größte Wachstumshemmnis in Deutschland aktuell und in den kommenden Jahrzehnten sei der Arbeitskräftemangel und das Thema "wie bekommen wir genug Leute, die arbeiten und anpacken". Die Voraussetzung dafür sei mit der Weiterbildungs- und Ausbildungsstrategie geschaffen worden.

Das Wichtigste sei aber, dass man erkenne, dass die Grundlage des wirtschaftlichen Wohlstandes auch darin liege, dass Arbeitskräfte aus Europa und aus aller Welt in Deutschland daran mitarbeiten. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz seien dafür die Voraussetzungen geschaffen. 

Scholz appellierte an die Wirtschaftsverbände, mehr Zuversicht zu verbreiten. "Sonst behalten die Leute ihr Geld auf dem Sparbuch und investieren nicht." Natürlich dürfe auch nichts schöngeredet werden, doch es brauche Zuversicht für Investitionen und den Konsum. Gleichzeitig kündigte der Kanzler an, dass der Bürokratieabbau jetzt zügig voranschreiten soll. Weiter sei er aber nicht auf das Zehn-Punkte-Papier eingegangenen, kritisierten die Wirtschaftsverbände.  

Das sind die zehn Handlungsfelder im Wortlaut:

1. Konkurrenzfähige Strompreise

Die Wirtschaft in Deutschland braucht international konkurrenzfähige Strompreise. Der Einigung der Bundesregierung zu einer Kraftwerksstrategie sollten nun sehr rasch die konkreten Ausschreibungen folgen, für die auch Klarheit über die Standorte notwendig ist. Die rasant steigenden Netzentgelte müssen weiterhin durch einen staatlichen Zuschuss begrenzt werden, um das Preisniveau zu stabilisieren. Damit der nationale Wasserstoff-Hochlauf gelingt, muss das Finanzierungsmodell des Kernnetzes kapitalmarktfähig und rechtlich verankert werden.

2. Schneller bei Planungs- und Genehmigungsverfahren

Wachstum, Innovation und Veränderungsgeschwindigkeit in Deutschland werden durch zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst. Die im Pakt zur Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung beschlossenen Gesetzesänderungen müssen konsequent umgesetzt werden. Für mehr Tempo müssen alle Maßnahmen ohne Einschränkungen in allen relevanten Gesetzen umgesetzt werden. Dabei darf es allerdings nicht zu Einschnitten in das Vergaberecht kommen.

3. Einfacher werden – Entbürokratisierung

Deutschland ist durch eine Überkomplexität und Fülle von bürokratischen Vorschriften belastet. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) kann ein erster Anstoß sein, eine spürbare Entlastung zu erreichen. Der vorliegende Entwurf des BEG IV muss aber noch umfassend ergänzt werden. Die Wirtschaft hat viele Vorschläge eingereicht, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Bestehende Lasten – gerade bei den Berichts- und Nachweispflichten – müssen im Wege von Praxis-Checks identifiziert und abgebaut werden, neue Bürokratie muss systematisch vermieden und die Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung vorangetrieben werden. Zudem muss das Arbeitsrecht modernisiert und auf Eingriffe in die Tarifpartnerschaft verzichtet werden.

4. Prioritäten setzen – in Infrastruktur investieren

Weite Teile der Infrastruktur weisen erhebliche Defizite auf. Dies gilt insbesondere für die Verkehrswege sowie die Energie- und Ladeinfrastruktur. Wir brauchen Sanierung ebenso wie Ausbau. Schnellere Verfahren, standardisierte Genehmigungen und der Verzicht auf umfassende neue Genehmigungen bei Sanierungen sind entscheidend, um insbesondere im Verkehr die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur in den kommenden Jahren zu gewährleisten. Im Rahmen einer Re-Priorisierung der öffentlichen Haushalte braucht es verlässliche und stetige Investitionen in die Infrastruktur. Das Potenzial ländlicher Räume für Wachstum und nachhaltige Transformation muss gehoben werden.

5. Steuerreform angehen

Der Standort Deutschland muss durch eine grundlegende Steuerreform gestärkt werden. Dazu gehören die Einführung einer dauerhaften Investitionsprämie, verbesserte Abschreibungsbedingungen und die Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung auf ein international übliches Niveau. Ziel muss eine Absenkung der Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland auf max. 25 % sein. Hierzu ist der Solidaritätszuschlag aus Sicht der Unternehmen vollständig abzuschaffen und die Thesaurierungsrücklage mittelstandsgerecht auszugestalten. Die Senkung der Strom- und Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß muss für alle Unternehmen und Betriebe umgesetzt werden.

6. Fachkräftesicherung meistern

Die Arbeits- und Fachkräftesicherung ist eine entscheidende Stellschraube zur Standortsicherung in Deutschland. Alle Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden. Dazu gehört eine funktionierende Erwerbsmigration genauso wie die Aktivierung aller inländischen Potenziale. Wir brauchen z. B. deutlich einfachere und attraktivere beitragsrechtliche Regeln für die Beschäftigung von Rentnern. Mehr junge Menschen müssen für die duale Ausbildung gewonnen werden. Bei der Erwerbsmigration muss es endlich gelingen, auch die Prozesse und Abläufe zu verbessern, zu beschleunigen und zu digitalisieren.

7. Sozialversicherungen zukunftsfest machen

Anfang 2023 wurde erstmalig seit zehn Jahren die 40-%-Marke bei den Sozialbeiträgen überschritten. Wir brauchen dringend nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung, aber ganz besonders in der Kranken- und Pflegeversicherung. Außerdem braucht es Berichte und Projektionen für die Zukunft der einzelnen Sozialversicherungszweige und den Gesamtsozialversicherungsbeitrag insgesamt. Das erhöht die Transparenz, zeigt den Reformbedarf auf und befördert langfristige Entscheidungen.

8. Gesetzliche Rentenversicherung zukunftssicher halten

Laut Koalitionsvertrag soll über das Jahr 2025 hinaus ein Mindestrentenniveau von 48 % garantiert werden. Eine dauerhafte Festschreibung auf mindestens 48 % würde die langfristigen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung weiter verschärfen. Denn im Zuge des demografischen Wandels drohen ohnehin deutlich steigende Rentenbeiträge. Die Rentenversicherung darf nicht zusätzlich mit teuren Leistungsversprechen belastet werden, es müssen vielmehr Maßnahmen ergriffen werden, die den Druck auf den Beitragssatz senken.

9. Bürokratiearmes Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) wurden umfangreiche und unverhältnismäßig bürokratische Vorgaben insbesondere auch für mittelständische Unternehmen geschaffen. Dies bedeutet kostenintensive externe Beratungen und beeinträchtigt die Diversifizierungs- und Umsetzungsbemühungen der Unternehmen. Die LkSG-Umsetzungsvorgaben sollten daher unbedingt bürokratiearm sowie praxistauglich ausgestaltet werden und konsistent mit EU-Initiativen wie der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sein. Auch die Auswirkungen auf KMUs müssen stärker in den Blick genommen werden. Das Gesetz und die Umsetzungsvorgaben sowie auch die europäische Variante CSDDD sollten grundsätzlich überdacht werden.

10. Offene Märkte als Wachstumsschub

Die EU ist gefordert, ihre Attraktivität als Partner in der handelspolitischen Zusammenarbeit gegenüber der globalen Konkurrenz zu erhöhen. Damit die dringend notwendige Diversifizierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte gelingen kann, ist eine strategisch geleitete Handelspolitik zwingend. Die Bundesregierung sollte eine Überfrachtung potenzieller Abkommen vermeiden und für mehr Flexibilität in den Verhandlungen werben, um wichtige Abkommen wie mit Mercosur, Australien, Indien und Indonesien abzuschließen.

Quelle: ZDH

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Text: / handwerksblatt.de

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