Am 6. November 2024 hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zum Gebäudetyp-E-Gesetz beschlossen. Bauen in Deutschland ist zu kompliziert und zu teuer. Das liegt auch am geltenden Bauvertragsrecht. Es trägt dazu bei, dass Neubauten oft sehr hohen Standards genügen müssen. Das neue Gesetz soll das ändern. Vor allem das Bauvertragsrecht soll einfacher werden, um leichter als bisher von anerkannten Regeln der Technik abweichen zu können.
Was steckt hinter dem Begriff "Gebäudetyp E"?
"E" steht für einfaches Bauen. Ein konkreter Gebäudetyp mit festgelegten baulichen Eigenschaften ist damit nicht gemeint. Es geht vielmehr um Neubauprojekte, die auf Komfort-Standards verzichten. In politischen Debatten nutzt man "Gebäudetyp E" auch, um den Wunsch nach flexibleren Planungsmöglichkeiten auszudrücken.
Was ist das Ziel des Gebäudetyp-E-Gesetzes?
Es soll einfaches und innovatives Bauen in Deutschland erleichtern. Beim Neubau soll leichter auf Standards zu verzichten sein, die für die Wohnsicherheit nicht notwendig sind. Der Neubau von Wohnungen soll dadurch bezahlbarer werden. Gleiches gilt für den Um- und Ausbau sowie die Instandsetzung von Bestandsbauwerken. Der Gebäudetyp E soll mehr Rechtssicherheit für mehr Wahlfreiheit schaffen.
Warum muss der Neubau von Wohnungen erleichtert werden?
In Ballungszentren gibt es in Deutschland einen dramatischen Mangel an Wohnraum. Wir müssen dringend neue Wohnungen bauen, um diesen Mangel zu bekämpfen. Das geschieht derzeit aber nicht. Die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. Finanzierungskosten (Zinsen), Bau- und Personalkosten sind erheblich gestiegen. Daher ist es besonders dringlich, die Rahmenbedingungen für den Neubau von Wohnungen zu verbessern. Nur so kann der Neubau von Wohnungen wieder bezahlbarer werden.
Welche weiteren Vorteile hat einfaches und innovatives Bauen?
Es kann auch dazu beitragen, Ressourcen zu sparen. Und es geht schneller. Durch einfaches Bauen lässt sich also im Idealfall in der gleichen Zeit – beim Einsatz von weniger Ressourcen – mehr neuer Wohnraum schaffen. Auch der Einsatz von innovativen Baustoffen und -methoden kann hierzu beitragen.
Wie viel Baukosten lassen sich einsparen durch einfaches Bauen?
Nach Schätzungen von Fachleuten lassen sich dadurch bis zu zehn Prozent der Herstellungskosten einsparen. Wie viel genau sich bei einem konkreten Bauprojekt einsparen lassen, hängt davon ab, auf welche Komfortstandards konkret verzichtet wird und wie sich die Marktpreise entwickeln.
Warum ist einfaches und innovatives Bauen in Deutschland bislang so schwierig?
Das hat verschiedene Gründe. Teilweise tragen die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Baurechts des BMJ (Bundesministerium der Justiz) dazu bei. Auch das geltende Bauvertragsrecht macht einfaches Bauen unnötig schwer. Nach ihm muss, wer ein Bauwerk errichtet, die "anerkannten Regeln der Technik" (aRdT) einhalten. Welche Regeln dazu gehören, ist gesetzlich nicht definiert. Maßgeblich ist das Verständnis der Rechtsprechung.
Innovative Baustoffe und Bauweisen stehen häufig nicht im Einklang mit den anerkannten Regeln der Technik. Denn um als aRdT anerkannt zu werden, müssen sie sich in der Praxis bewährt haben. Zu den "anerkannten Regeln der Technik" gehören viele technische Normen, die reine Komfort-Standards sind.
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass zu den aRdT auch alle DIN-Normen gehören. Diese Normen werden unter Leitung des Deutschen Instituts für Normung (DIN) erarbeitet. Viele DIN-Normen sind für gutes Wohnen nicht notwendig und stellen bloße Komfort-Standards dar. Ihre Einhaltung ist nach der Rechtsprechung aber auch dann geschuldet, wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich vereinbart haben.
Abweichungen von den aRdT sind zwar möglich, aber mit Rechtsunsicherheit und Prozessrisiken behaftet. Deshalb werden Bauvorhaben meist so ausgeführt, dass sie allen DIN-Normen entsprechen. Auch den Normen, deren Einhaltung für gutes Wohnen nicht zwingend ist und deren Einhaltung nicht ausdrücklich vereinbart wurde.
Wie wird das Gebäudetyp-E-Gesetz einfaches und innovatives Bauen erleichtern?
Das Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) soll geändert werden. Es soll möglich sein, rechtssicher auf Baustandards zu verzichten, die für die Gebäudesicherheit nicht notwendig und nicht gesetzlich zwingend sind. Das Gebäudetyp-E-Gesetz ändert aber nichts an öffentlich-rechtlichen Vorgaben, die alle Bauherren einhalten müssen.
Wie soll das Bauvertragsrecht durch das Gesetz geändert werden?
Das Gebäudetyp-E-Gesetz sieht drei Änderungen des Bauvertragsrechts vor:
1. Der Begriff "anerkannte Regeln der Technik" soll konkreter gefasst werden.
2. Verträge zwischen fachkundigen Unternehmern sollen leichter von "anerkannten Regeln der Technik" abweichen können.
3. Ein Abweichen von "anerkannten Regeln der Technik" soll nicht mehr automatisch ein Sachmangel sein.
Wie soll der Begriff "anerkannte Regeln der Technik" klarer werden?
Das BGB soll eine neue Regelung bekommen, die für alle Bauverträge gilt. Reine Ausstattungs- und Komfortstandards gelten dann nicht als "anerkannte Regeln der Technik." Für sicherheitsrelevante technische Normen gilt das Gegenteil. Wenn die Parteien die Einhaltung von Ausstattungs- und Komfortstandards nicht ausdrücklich vereinbart haben, ist ihre Einhaltung künftig im Regelfall nicht geschuldet. Die Pflichten der Bauwirtschaft werden dadurch kleiner.
Gibt es Beispiele für Ausstattungs- und Komfortstandards, die künftig keine "anerkannten Regeln der Technik" sein werden?
- Nach DIN Norm 18015 müssen auch kleine Wohnzimmer mindestens vier Steckdosen, Wohnzimmer ab 20 Quadratmetern mindestens fünf Steckdosen haben.
- Für Badezimmer fordert die DIN EN 12831-1 Tabelle B.14 eine Norminnentemperatur von 24 Grad, was in der Baupraxis dazu führt, dass eine Fußbodenheizung oft um einen Handtuchheizkörper ergänzt wird.
- Derzeit werden Holzbalkendecken im Neubau regelmäßig mit Estrich gebaut. Beim einfachen Bauen kann die Decke aber grundsätzlich auch ohne Estrich eingezogen werden. Dies kann zwar Einschränkungen im Komfort- und Qualitätsstandard bedeuten, diese müssen aber hinsichtlich des nutzerspezifischen Bedarfs nicht von Nachteil sein.
- Reine Komfortstandards sind außerdem etwa Erwartungen an die lichte Raumhöhe, Fensterformate (z.B. bodentief) oder die Balkongröße, die über die Vorgaben des öffentlichen Baurechts hinausgehen. Generell können Ausstattungs- und Komfortstandards sowohl den Baukörper, als auch die Innenausstattung oder Außenanlagen betreffen.
Wie soll die Abweichung von "anerkannten Regeln der Technik" künftig erleichtert werden?
Für Gebäudebauverträge zwischen fachkundigen Unternehmern – und nur für diese! – soll künftig Folgendes gelten:
Der Werkunternehmer muss künftig den Besteller des Bauwerks über Risiken und Konsequenzen der Abweichung nicht mehr aufklären, wenn sie eine Abweichung von den "anerkannten Regeln der Technik" vertraglich vereinbaren.
Auch ohne ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung sollen die Unternehmen eine Abweichung von den "anerkannten Regeln der Technik" unter gewissen Voraussetzungen vereinbaren können. Die Abweichung wird dann nicht als Mangel des Bauwerks betrachtet, wenm:
- die Abweichung dem Besteller vor Ausführung der Bauleistung angezeigt wird, und
- der Besteller nicht unverzüglich widersprochen hat, und
- die dauerhafte Sicherheit und Eignung des Gebäudes gewährleistet ist.
Birgt das Gebäudetyp-E-Gesetz Sicherheitsrisiken?
Nein. Das Gebäudetyp-E-Gesetz macht keine Abstriche an der Sicherheit – etwa im Hinblick auf Statik und Brandschutz. Die öffentlich-rechtlichen Vorgaben gewährleisten die Gebäudesicherheit, diese ändert das Gesetz nicht. Außerdem soll für sicherheitsrelevante technische Normen künftig ausdrücklich eine gesetzliche Vermutung gelten, dass sie zu den "anerkannten Regeln der Technik" zählen, die eingehalten werden müssen.
Abweichungen von den "anerkannten Regeln der Technik" sollen nur für Verträge zwischen fachkundigen Unternehmern erleichtert werden (s.o.) und dies auch nur für den Fall, dass die dauerhafte Sicherheit und Eignung des Gebäudes gewährleistet ist.
Dürfen Bauunternehmen gegen den Willen privater Bauherren von "anerkannten Regeln der Technik" abweichen?
Nein. Die neuen Regelungen über die Abweichung von "anerkannten Regeln der Technik" sollen nur für Verträge zwischen fachkundigen Unternehmern gelten. Lediglich die Vermutungsregelung, nach der reine Ausstattungs- und Komfortstandards keine "anerkannten Regeln der Technik" sind, soll sich auch auf Verbraucherverträge beziehen.
Werden durch das Gebäudetyp-E-Gesetz DIN-Normen verändert oder abgeschafft?
Nein. DIN-Normen sind technische Standards, die vom Deutschen Institut für Normung (DIN) erarbeitet werden. Es handelt sich dabei nicht um gesetzliche Regelungen; und sie werden durch die Neuregelung nicht angetastet. Stattdessen kann bei Bauprojekten einfacher von bestehenden DIN-Normen, die nicht für die Sicherheit des Wohngebäudes relevant sind, abgewichen werden.
Werden durch das Gebäudetyp-E-Gesetz Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Baurechts verändert oder abgeschafft?
Nein. Das Gebäudetyp-E-Gesetz bezieht sich ausschließlich auf das private Bauvertragsrecht. An den öffentlich-rechtlichen Vorgaben, die alle Bauvorhaben einzuhalten haben, ändert sich nichts.
Welche Hilfestellungen gibt es zum neuen Gebäudetyp-E-Gesetz?
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat eine "Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E" erarbeitet, die Sie > hier kostenlos herunterladen können. Sie soll die Vertragsparteien bei der Gestaltung von Verträgen unterstützen.
Wann tritt das neue Gesetz in Kraft?
Ein Inkrafttreten ist frühestens im Frühjahr 2025 möglich; der genaue Zeitpunkt hängt vom weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens und ist nach dem Bruch der Ampel-Koalition am 6. November 2024 offen. Das Gesetz wurde zwar schon vom Kabinett verabschiedet, eine Abstimmung im Bundestag steht aber noch aus.
Quelle: Bundesministerium der Justiz
Hilfestellung für Bauparteien Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat eine "Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E" erarbeitet, die Vertragsparteien bei der Gestaltung von Verträgen unterstützen soll. > Hier können Sie sie kostenlos herunterladen.
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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