Arme Selbstständige?
Selbstständige gelten gemeinhin als Gutverdiener. Doch jeder Zehnte soll inzwischen die Beiträge für die Krankenversicherung nicht mehr aufbringen können.
Selbstständige – das sind gutverdienende Unternehmer mit mehreren Angestellten. Dieses Bild geistert noch immer durch die Köpfe vieler Menschen. Doch die Vorstellung gehört der Vergangenheit an, sagt eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido). Danach seien die meisten Selbstständigen inzwischen Einmann-Betriebe (62 Prozent) und ihr durchschnittliches Einkommen unterscheide sich nicht mehr von dem Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer, so die Studie.
Die Selbstständigkeit hat in den vergangenen Jahrzehnten einen "fundamentalen Wandel erfahren“, betont Dietmar Haun, einer der beiden Autoren der Wido-Analyse. Verantwortlich dafür seien unter anderem staatliche Programme (Stichwort "Ich-AGs“), mit denen zwischen 2003 und 2006 die Selbstständigkeit als Alternative zur Arbeitslosigkeit gefördert wurde. Eine weitere Ursache: Die Novellierung der Handwerksordnung im Jahr 2004, durch die in vielen Berufen die Meisterpflicht abgeschafft wurde. "Sie hat zum Wandel der Selbstständigkeit und dem Wachstum der Solo-Selbstständigkeit sicher beigetragen“, erklärt Haun.
Kostenloser PDF-Download der Wido-Analyse "Die Krankenversicherung von Selbstständigen: Reformbedarf unübersehbar"
Klassisches Unternehmertum?
Nicht nur die Zahl der Solo-Selbstständigen hat danach zugenommen, sondern auch die Zahl derjenigen, die mit ihrem Einkommen kaum noch ihren Lebensunterhalt finanzieren können: 20 Prozent der Selbstständigen hatten 2012 ein Einkommen unter 15.011 Euro, ergab die Wido-Analyse. "Das hat auf den ersten Blick wenig mit klassischem Unternehmertum zu tun“, sagt Autor Dietmar Haun.
Nicht immer sei das dramatisch, manche der Geringverdiener seien junge Unternehmensgründer, bei anderen Einzelkämpfern sei das Einkommen vor allem ein Zuverdienst zum Familieneinkommen. Trotzdem gelte: "Wir schätzen die Anzahl der Selbstständigen, die sich in relativer Armut befinden, auf zumindest 370.000 – das sind etwa zehn Prozent.“ Das bei jedem zehnten Selbstständigen die Ertragslage so prekär sei, habe zur Folge, dass sie Probleme hätten, die Krankenversicherungsbeiträge – ob privat oder gesetzlich – zusammenzubringen.
Sind Selbstständige schutzbedürftig?
Doch selbst wenn sie das Geld zusammenbekommen, frisst es einen großen Teil ihres Einkommens auf, heißt es in der Wido-Analyse. Gesetzlich Versicherte, die unter 15.000 Euro jährlich erwirtschaften, müssten 46,5 Prozent ihres Einkommens für die Krankenversicherung aufbringen, Privatversicherte, die ähnlich wenig verdienen, müssten sogar 58 Prozent ihrer Einkünfte an die Kasse abgeben. Zum Vergleich: Gutverdienende Unternehmer mit über 130.000 Euro Jahresgehalt koste die private Krankenversicherung nur sechs Prozent ihres Einkommens.
Das führt die Autoren des AOK-Instituts zur Schlussfolgerung, dass die bestehenden Regelungen zum Krankenversicherungsschutz von Selbstständigen "nicht mehr zeitgemäß“ seien. Dazu gehöre die Annahme, dass Selbstständige sich nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichern müssen, weil sie "nicht schutzbedürftig“ sind. Die Annahme der "Nicht-Schutzbedürftigkeit“ von Selbstständigen sei, so das Fazit von Studien-Autor Dietmar Haun, durch die Wido-Analyse "empirisch widerlegt“.
Text:
Ulrike Lotze /
handwerksblatt.de
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