Corona schlägt deutlich auf dem Ausbildungsmarkt durch
Die Bilanz des abgelaufenen Berufsberatungsjahres fällt ernüchternd aus. Die Zahl der Lehrstellen und der Bewerber ist deutlich gesunken. Der ZDH fordert Maßnahmen, die über die kurzfristige Bewältigung der Pandemie hinausgehen.
Von Oktober 2019 bis September 2020 wurden den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern in gemeinsamen Einrichtungen insgesamt 530.300 Berufsausbildungsstellen gemeldet. Das waren 41.700 weniger als im Vorjahreszeitraum, so die Bundesagentur für Arbeit (BA) in einer Pressemitteilung. Der überwiegende Teil seien betriebliche Ausbildungsstellen; sie verzeichneten ein Minus von 41.500 auf 514.600.
Seit Beginn des Beratungsjahres am 1. Oktober 2019 hätten insgesamt 473.000 Bewerberinnen und Bewerber die Ausbildungsvermittlung der Agenturen und der Jobcenter bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle in Anspruch genommen. Dies seien 38.800 weniger als im Vorjahr gewesen.
Das Minus ist nach Einschätzung der BA nicht allein auf die wirtschaftlichen Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie zurückzuführen. Bis März 2020 habe sowohl die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber als auch die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen bereits deutlich unter dem Vorjahr gelegen.
Auswirkungen deutlich sichtbar
Für Detlef Scheele sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Ausbildungsmarkt "deutlich sichtbar". Die Ausgleichsprozesse seien stark verlangsamt worden. "Ich begrüße ausdrücklich die Bereitschaft der Betriebe, trotz aller Unsicherheiten an Ausbildung festzuhalten und jungen Menschen noch einen verspäteten Eintritt in Ausbildung zu ermöglichen", so der Vorstandsvorsitzende der BA. An die Bewerberinnen und Bewerber appellierte er, nicht aufzugeben, sich weiter zu bewerben und sich dabei auch für Ausbildungsberufe jenseits ihres Traumberufes zu öffnen. "Wenn zusätzlich Betriebe nicht ganz so guten Kandidaten eine Chance geben, können wir die Verzögerung durch die Pandemie in der Nachvermittlungszeit noch weiter aufholen."
Knapp 60.000 unbesetzte Lehrstellen
Ende September 2020 blieben der BA zufolge aufgrund der Corona-Krise deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber unversorgt sowie Ausbildungsstellen unbesetzt als im letztjährigen September. So waren insgesamt noch unbesetzte 59.900 Ausbildungsstellen zu vermitteln. Gegenüber dem Vorjahr waren das 6.800 mehr. Zeitgleich waren 29.300 Bewerberinnen und Bewerber noch unversorgt. Damit blieben sechs Prozent der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber ohne Ausbildungsstelle oder alternatives Angebot.
Weniger Einmündungen in Ausbildung
Im Vergleich zum Vorjahr mündeten 216.200 Bewerberinnen und Bewerber in eine Berufsausbildung ein, 33.800 weniger als im Vorjahr. Das entsprach einem Anteil von 46 Prozent. 17 Prozent wichen auf einen weiteren Schulbesuch, ein Praktikum oder ein Studium aus und zwei Prozent auf eine geförderte Qualifizierung wie eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine Einstiegsqualifizierung. Weitere sieben Prozent haben eine Arbeit aufgenommen, zwei Prozent engagieren sich in gemeinnützigen sozialen Diensten, und fünf Prozent haben sich arbeitslos gemeldet. Von 13 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber liegen der BA keine Informationen vor.
Ausbildungsbetriebe stärker unterstützen
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer Foto: © ZDH/Schuering"Die rückläufigen Zahlen sowohl bei Ausbildungsbewerbern wie auch Betrieben, in denen Ausbildung erfolgt, muss ein Weckruf sein, dass die Sicherung von beruflicher Ausbildung schon jetzt über die kurzfristige Pandemiebewältigung hinausgehen muss", kommentiert Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer die von der BA veröffentlichten Zahlen zum Ausbildungsmarkt.
Das Ausbildungsengagement der Handwerksbetriebe und das Ausbildungsgeschehen insgesamt müssten stärker unterstützt und stabilisiert werden, damit sich auch in der Zukunft genügend Ausbildungsbetriebe und Azubis auf den gemeinsamen Weg beruflicher Ausbildung machen.
Ausbildungsprogramm zügig nachjustieren
Ziel aller Akteure der Berufsbildung müsse es sein, dass das Ausbildungsniveau durch Corona nicht substantiell sinkt. "In der Finanzkrise 2009 haben wir die Erfahrung machen müssen, dass das Ausbildungsniveau eingebrochen ist und danach das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht werden konnte", warnt Wollseifer. Dies dürfe sich keinesfalls wiederholen, weil mit einem immer niedrigeren Sockel an Auszubildenden die Fachkräftesicherung im Handwerk langfristig immer schwieriger werde. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert nachdrücklich, das Bundesprogramm "Ausbildungsplätze sichern" zügig nachzujustieren. "In seiner jetzigen Form entfaltet es nicht die notwendige Wirkung", ist Wollseifer überzeugt.
Entlastung bei Ausbildungskosten
Um die duale Ausbildung langfristig gerade auch für Kleinst- und Kleinbetriebe des Handwerks attraktiv zu erhalten, brauche man – unabhängig von der aktuellen Krisensituation – Entlastungen bei den Ausbildungskosten. Wollseifer: "Ausbildungsbetriebe im Handwerk tragen mittlerweile rund 60 Prozent der Kosten der überbetrieblichen Unterweisung (ÜLU), die ein wesentlicher Bestandteil einer handwerklichen Ausbildung ist, und das, obwohl eine "Drittelfinanzierung" jeweils durch Bund, Land und Betrieb vorgesehen ist." Um Betriebe zu entlasten, müssten die Zuschüsse des Bundes und der Länder schrittweise an eine Drittelfinanzierung angepasst werden.
Kostenfreie Mitversicherung über die Eltern
Das Ausbildungsverhältnis müsse auch im Sozialversicherungsbereich von Kosten entlastet werden. Derzeit sei es so, dass für Auszubildende ein durchschnittlicher Krankenversicherungsbeitrag von 15,7 Prozent zuzüglich 3,05 Prozent Pflegeversicherungsbeitrag zu entrichten sei. Diesen müssten die Ausbildungsbetriebe und die Auszubildenden jeweils zur Hälfte finanzieren. "Auch als Ausdruck der Anerkennung, dass der berufliche Ausbildungsweg als gleichwertig zum akademischen gefördert wird, sollten deshalb Auszubildende künftig – ebenso wie Studierende – über die Eltern in der Kranken- und Pflegeversicherung kostenfrei mitversichert werden. Dann hätten Betriebe geringere Ausbildungskosten zu stemmen und die Azubis mehr Geld in ihrem Portemonnaie."
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Zentralverband des Deutschen Handwerks
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
Kommentar schreiben