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Dachdeckermeister Oliver Oettgen leitet als Geschäftsführer der Over Dach GmbH in Kerpen ein Team von über 40 Mitarbeitenden und setzt sich seit mehr als 15 Jahren mit der Zukunft des Handwerks auseinander.

Dachdeckermeister Oliver Oettgen leitet als Geschäftsführer der Over Dach GmbH in Kerpen ein Team von über 40 Mitarbeitenden und setzt sich seit mehr als 15 Jahren mit der Zukunft des Handwerks auseinander. (Foto: © Justin Bockey)

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Interview: "Es braucht Mut von allen Ebenen"

Im Gespräch mit dem Deutschen Handwerksblatt erklärt Dachdeckermeister Oliver Oettgen den Hintergrund des von ihm initiierten Veranstaltungsformats "Fails Night" und berichtet über seine Ansichten sowie Erfahrungen.

Oliver Oettgen ist Dachdeckermeister und Unternehmer. Im November 2024 rief er mit der "Fails Night" ein neues Veranstaltungsformat für das Handwerk ins Leben, welches seinen Fokus auf den Austausch von Erfahrungen, das Lernen aus Fehlern und die Zukunftsfähigkeit des Handwerks setzt. Das nächste Event findet am 17. Juni 2025 statt.* Im Interview mit dem Deutschen Handwerksblatt (DHB) spricht der Over Dach-Geschäftsführer über Hintergründe und eigene Erfahrungen. 

*Weitere Informationen dazu am Ende des Beitrags.

DHB: Herr Oettgen, was war Ihr persönlicher Antrieb, das Format "Fails Night" ins Leben zu rufen? Und was möchten Sie damit im Handwerk bewirken?
Oettgen: In Deutschland ist es oft so: Machst du Fehler, wirst du bestraft. Das halte ich nicht für richtig. Und es beginnt bereits in der Schule: Für einen Fehler gibt es einen fetten roten Strich. Machst du die Aufgabe richtig, kommt ein ganz kleiner Haken daran. Wenn überhaupt.

Wir machen alle Fehler und dürfen uns diese auch eingestehen. Aber die Frage ist: Wie gehen wir mit den Fehlern um? Da ist aus meiner Sicht ein großer Nachholbedarf, im Handwerk sogar noch ein bisschen extremer. Wir sind so selbstbewusst nach außen, dass wir keine Fehler machen, weil wir es manchmal vielleicht gar nicht wahrnehmen. Das Format soll zeigen, dass aus Fehlern richtig Gutes entstehen kann. Darüber hinaus geht es auch darum, den Schmerz dahinter zu verstehen und tief in die Situationen einzutauchen. Wie kann man aus einer misslichen Situation wieder hinauskommen, was hat man für Möglichkeiten und Wege? Letztere sind auch nicht immer die schönsten, die dann vielleicht gegangen werden müssen, aber es sind nun mal Wege.

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Ihre Premiere feierte die vom Dachdeckermeister initiierte Veranstaltung im November 2024. Foto: © Toni Günther / Oliver Oettgen GmbHIhre Premiere feierte die vom Dachdeckermeister initiierte Veranstaltung im November 2024. Foto: © Toni Günther / Oliver Oettgen GmbH

DHB: Inzwischen hat die "Fails Night" bereits zum zweiten Mal stattgefunden, am 17. Juni feiern Sie die dritte Edition. Was konnten Sie bisher für sich erkennen und mitnehmen?
Oettgen: Ich erkenne immer ganz viele Parallelen zu mir und meinem handwerksunternehmerischen Dasein. Aber so geht es bei der Veranstaltung wohl vielen: Man sieht sehr viel Kopfnicken. Ich habe gemerkt, dass sich die Gäste im Anschluss an die Veranstaltung weiter austauschen wollen. Sie wollen noch mehr verstehen, vielleicht auch selbst das eigene Bild, die eigene Situation, besprechen.

Die Menschen gehen im Rahmen der Veranstaltung in die Kommunikation – und das ist genau das, was wir erreichen wollen. Denn Kommunikation ist das "A und O": der Austausch, das Mitnehmen von Ideen und Situationen, die man vielleicht schon erlebt hat oder die vielleicht vor einem stehen oder passieren können. Jeder hat – sowohl bei der Arbeit als auch privat – sein Päckchen zu tragen. Und dieses Bewusstsein muss einfach nur noch mal in den Köpfen geweckt werden – wir sind alle sehr fokussiert auf uns selber und erkennen gar nicht mehr richtig das Drumherum. Dabei können wir uns gegenseitig so viel helfen, unterstützen und untereinander austauschen.

DHB: Warum ist es gerade im Handwerk wichtig, offen über Fehler zu sprechen? Und wie wichtig ist dabei die Rolle von Führungskräften?
Oettgen: Fehler – und das Eingestehen dieser – können Unternehmen bereichern. Die größte und gleichzeitig emotionale Hürde besteht darin, zu einer Führungskraft hinzugehen und zu sagen "Pass auf, ich habe hier Mist gebaut." Entscheidend ist die Reaktion darauf, daher ist die Rolle der Führungskräfte dabei sehr, sehr wichtig. Erst, wenn ein Fehler erkannt und offen besprochen wird, können daraus Maßnahmen abgeleitet werden. Nehmen wir mit Bezug auf das Handwerk das Thema Arbeitssicherheit. Sollte im Unternehmen ein Unfall passieren, muss ich auf diplomatischem Wege dafür Sorge tragen, dass alle anderen im Betrieb verstehen, was da vorgefallen ist – genau damit es ihnen möglichst nicht geschieht.

Wenn jemand denselben Fehler viermal macht, dann muss man natürlich darüber nachdenken, ob vielleicht irgendwo ein bewusstes Vorgehen vorliegt. Manchmal muss man das leider hinterfragen. Aber in der Regel ist es so: Wenn etwas ein Mal vorkommt, kommt es vielleicht noch ein zweites Mal vor, aber dann war es das auch – sofern man eingehend darüber spricht.

DHB: Gibt es aus Ihrer Sicht typische Fehler, über die zu wenig gesprochen wird? 
Oettgen: Im Prinzip sind es zwei Dinge: Wachstum und Prozesse. Zum Thema Wachstum: Im Unternehmen ist es häufig so, dass die Motivation, schnell ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, größer ist als die Struktur dahinter. Schnelles Wachstum funktioniert also nicht immer – das ist auch mir passiert. Das ist folglich ein Fehler, den man auf jeden Fall definieren kann.

Auf den Punkt Prozesse möchte ich etwas detaillierter eingehen. Es ist ein Fehler, davon auszugehen, dass mein Betrieb – mit mir als einzigem Dreh- und Angelpunkt – einen hohen Wert hat und meine Altersvorsorge darstellt. Die eigentliche Aufgabenstellung ist die: Sobald ich in einem Betrieb Verantwortung übernommen habe, muss ich diesen auf die Nachfolge vorbereiten und von mir als Person unabhängig machen. Ab dem ersten Tag.

Ein Beispiel: Würde eine Bauingenieurin ihr Unternehmen abgeben wollen und einen Vollkaufmann auf ihre Position setzen, entsteht ein Riesenchaos. Wieso? Da die Person nie in die Rolle reinwachsen konnte. Sie muss von null auf hundert alles können, was ihr Vorgänger konnte. Das Anlagevermögen und all das, was das Unternehmen an Werten besitzt, kann dann noch so groß sein, wie es will – diese eine Person kann die vorherige Inhaberin nicht ersetzen. Die Umwandlung des Unternehmens frisst quasi das Vermögen auf, denn es braucht erst mal eine lange Zeit, bis der neue Inhaber die Strukturen und Prozesse aufgesetzt hat, die zu dem Betrieb passen. Fazit: Ich muss mindestens fünf Jahre vor Abgabe mein Unternehmen auf die Nachfolge vorbereiten. Im Rahmen einer solchen Vorgehensweise beginne ich also, Aufgaben wie Prozesse und Abläufe auch auf andere Leute zu übertragen. Der häufige Fehler besteht darin, dass oft nur die Inhaberin oder der Inhaber den Dreh- und Angelpunkt im Unternehmen darstellt.

DHB: Die jüngeren Generationen ticken oft anders als ihre Vorgänger – wie erleben Sie junge Menschen im Umgang mit Fehlern? Und könnte eine offenere Fehlerkultur helfen, das Handwerk attraktiver für neue Talente zu machen?
Oettgen: Definitiv. Eine Unternehmenskultur, in der über Fehler kommuniziert und niemand dadurch deklassiert wird, macht den Betrieb deutlich attraktiver. Die jungen Leute brauchen mehr Unterstützung. Der berufliche Alltag und das Privatleben können nur funktionieren, wenn ein Umfeld geschaffen wird, das dazu einlädt, in die Kommunikation zu gehen. So wird eine Kultur des Vertrauens gefördert – und  genau darum geht es ja am Ende: das Vertrauen so zu entwickeln, dass alle an einem Strang ziehen und sich vor allen Dingen öffnen können. Wenn dieses Vertrauen da ist, dann hat man im Grunde alles richtig gemacht.

DHB: Haben Sie Beispiele, wie das offene Eingestehen von Fehlern zu persönlichem oder fachlichem Wachstum bei Nachwuchskräften geführt hat?
Oettgen: Ehrlich gesagt habe ich dazu ein Musterbeispiel, welches sich über etwa 15 Jahre in meinem Unternehmen entwickelt hat. Nennen wir ihn "Peter". Peter wollte damals sein technisches Abitur machen und sich entsprechend weiterbilden. Überraschend erhielt er dann aber die Mitteilung, Vater zu werden – und wurde letztlich Dachdeckerhelfer. Nachdem er in seinem ehemaligen Unternehmen für sich nicht mehr weiterkam, wechselte er zu uns. Angefangen bei null, hat er sich im Laufe der Jahre hochgearbeitet – vom Helfer über den Kolonnenführer, dann Bauleiter, Projektleiter, bis dahin, wo er jetzt steht. Heute ist Peter technischer Leiter und Teil der Geschäftsführung.

Wie das geklappt hat? Natürlich haben die persönlichen Voraussetzungen gestimmt; die Motivation, das Geschick. Aber das Entscheidende: Wir haben immer sehr intensiv miteinander gesprochen – und tun es heute noch. Über das, was im Unternehmen gerade passiert, auch die Umgangsformen von Menschen, und über die Zukunft. Dabei fragen wir uns stets "Wie kann man die Dinge verbessern? Wie kann man anders an Situationen rangehen?" Für mich ist das ein perfektes Beispiel dafür, wie viel Kommunikation sowie gewisse Umgangsarten im Unternehmen wirklich ausmachen können. Dabei haben wir uns auch privat ausgetauscht, was ebenso viel ausmacht. So wurde unsere Verbindung und das Vertrauen noch mal mehr gestärkt.

DHB: Und haben Sie in Ihrem Betrieb bewusst Maßnahmen eingeführt, um eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren?
Oettgen: Grundsätzlich, wenn irgendwas passiert in irgendeiner Form, was alle betrifft, haben wir direkt – innerhalb von 48 Stunden – ein Gruppen-Meeting. Da führt kein Weg dran vorbei. Manchmal sind es Arbeitssicherheitsthemen. Ich möchte, dass alle gesund und munter nach Hause kommen. Darüber hinaus führen wir regelmäßige Gespräche mit der Belegschaft, aber ebenso Einzelgespräche. Zusätzlich haben wir seit diesem Jahr acht Vorarbeiter, die immer dabei sind und sich sehr intensiv mit ihrer jeweiligen Kolonne sowie untereinander austauschen. Auch in Sachen Produkte, Projekte und neue Tools. Insgesamt nutzen wir verschiedene Kommunikationswege, um immer alle Informationen zu haben, aber unsere Stärke ist das persönliche Miteinander.

Die vierfache Handwerksmeisterin und UFH-Bundesvorsitzenden Katja Lilu Melder, Dachdeckermeister Michael Wenzel, Enke-Geschäftsführer Hans-Ulrich Kainzinger, Oliver Oettgen und Rechtsberater Thomas G. Schmitz (v. l. n. r.) im Rahmen der zweiten 'Fails Night'. Foto: © Toni Günther / Oliver Oettgen GmbHDie vierfache Handwerksmeisterin und UFH-Bundesvorsitzenden Katja Lilu Melder, Dachdeckermeister Michael Wenzel, Enke-Geschäftsführer Hans-Ulrich Kainzinger, Oliver Oettgen und Rechtsberater Thomas G. Schmitz (v. l. n. r.) im Rahmen der zweiten 'Fails Night'. Foto: © Toni Günther / Oliver Oettgen GmbH

DHB: Welche Pläne gibt es für zukünftige "Fails Nights"? Und was braucht es, damit es nicht bei Events bleibt, sondern wirklich bei allen im Alltag ankommt?
Oettgen: Es braucht Mut von allen Ebenen. Es braucht Mut von demjenigen, dem der Fehler passiert, und es braucht Mut von den Leuten ringsum – von Arbeitgebern, Verbänden und allen denen, die drumherum sind. Und wir brauchen jetzt einfach noch mehr Sichtbarkeit, Reichweite und Menschen sowie Insitutionen, die sich beteiligen wollen. Deswegen bin ich auch wirklich glücklich, dass die Firma Enke sich sehr schnell bereit erklärt hat, organisatorisch sowie vor Ort mitzuwirken. Daneben ist der Dachdecker-Verband Nordrhein auch sehr schnell dabei gewesen.

Generell müssen wir an dem Thema Vertrauen arbeiten, in dem Bereich haben wir einiges nachzuholen. Ebenso müssen wir unsere Wirkung nach außen stark verbessern – gerade für junge Leute, die wir ins Handwerk holen wollen. Daher ist das Thema Fehlerkultur für mich ein wichtiger Baustein, um das Innenverhältnis des Handwerks – den Austausch, die Kommunikation – nachhaltig zu verbessern.

Das Interview führte Verena S. Ulbrich.

Dritte Fails Night am 17. Juni 2025

Auch zur dritten Edition der "Fails Night" trifft sich das Handwerk erneut im Düsseldorfer Enke-Werk. Dieses Mal mit dabei:

EckdatenEinlass: ab 16.30 Uhr (Austausch, Getränke und Snacks inklusive)
Beginn der Vorträge: 18 Uhr

Adresse Enke-Werk
Johannes Enke GmbH & Co. KG
Hamburger Straße 16
40221 Düsseldorf

In der Umgebung sind öffentliche Parkplätze verfügbar. Weitere Informationen sowie die Möglichkeit der Anmeldung zum Event gibt es hier.
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Text: / handwerksblatt.de

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