Garrelt Duin ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln. Der ehemalige Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein Westfalen befasst sich vor allem mit der Frage, wie sich die Karriereperspektiven im Handwerk an potenzielle Auszubildende und deren Angehörige vermitteln lassen, um langfristig dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
DHB: Wie ist aktuell die Betroffenheit des Handwerks durch Corona?
Duin: Nach fast zwei Jahren gilt aktuell fast immer noch die gleiche Analyse, nämlich, dass wir ein sehr differenziertes Bild haben. Mit Branchen, denen es die ganze Zeit über richtig gut geht und Branchen, die sehr leiden. Entscheidend ist, dass die Betriebe eine Verlässlichkeit haben und sich nicht ständig auf neue Regeln einstellen müssen.
DHB: Welche Forderungen haben Sie an die Politik, um notleidende Betriebe zu unterstützen?
Duin: Ich glaube, dass die Politik in den letzten anderthalb Jahren vieles richtig gemacht hat. Nicht nur mit der Soforthilfe, sondern auch mit den folgenden Programmen. Problematisch ist hier allerdings die Soforthilfe, die vom Land erst jetzt, mit viel zeitlicher Verzögerung, insofern zurückgefordert wird, als dass die Betriebe Nachweise erbringen müssen. Da hat die Politik während des Spiels die Regeln geändert – und das wäre eine klare Forderung, dass sich so etwas nie wiederholen darf.
DHB: Hat Corona die Ausbildungsbereitschaft im Kammerbezirk ausgebremst?
Duin: Erfreulicherweise liegen wir in den Zahlen über denen des letzten Jahres. Es gab dabei einen deutlichen Zuwachs von Erstausbildungsbetrieben im Kammerbezirk. Viele Betriebe haben verstanden, Corona ist irgendwann vorbei, aber nicht der Fachkräftemangel. Deswegen ist die Investition in Ausbildung enorm wichtig, und in einigen Gewerken steigen die Zahlen sogar überproportional. Wir könnten aber noch viel besser sein, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, stärker für uns zu werben. Die Botschaft, dass das Handwerk krisensicher ist, konnten wir aber nicht wie sonst auf Ausbildungsmessen oder Veranstaltungen in Schulen vermitteln.
DHB: Auf digitalen Pfaden konnten Sie die Ausfälle nicht kompensieren?
Duin: Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir bei der Handwerkskammer Köln, gerade was die digitalen Wege angeht, sehr viel ausprobiert haben – und auch mit großem Erfolg. Ein Beispiel dafür ist TikTokTil. Einen Til gab es wirklich, fürs Branding ein wunderbarer Zufall. Dieser Till hat bei uns ein freiwilliges soziales Jahr absolviert und in dieser Zeit kurze Videos gedreht, in denen er möglichst viele Berufe – alle 130 hat er nicht ganz geschafft – vorgestellt hat. Er ist zu den Betrieben gefahren, hat sich die Kluft übergezogen und gezeigt, was sie dort machen. Die vielen Reaktionen haben uns gezeigt, wie erfolgreich das gewesen war. Darüber hinaus haben wir – wie andere auch – Online-Beratungen durchgeführt, aber nichts ersetzt das persönliche Gespräch.
DHB: Die Zahl der Schulabsolventen sinkt.
Duin: Richtig. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Es werden nicht mehr junge Leute zur Verfügung stehen. Deswegen ist der Verteilungskampf zwischen akademischer und dualer Ausbildung umso wichtiger. Aber wenn wir uns die Herausforderung der Zukunft ansehen, zum Beispiel Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Mobilität, Klimawandel – das alles wird nur mit Handwerksbetrieben gehen. Anders formuliert: Auf die Frage, welcher Beruf zukunftsfest ist, kann man für fast jeden Handwerksberuf mit einem "Ja" antworten. Manche Dinge lassen sich nicht wegdigitalisieren. Natürlich wird das Handwerk digitaler werden, keine Frage. Aber die Installation eines Photovoltaik-Dachs erledigt kein Algorithmus, dafür brauchen Sie Menschen.
DHB: Sind die überproportionalen Zuwächse der Lehrlingszahlen im Bau- und Ausbaubereich schon ein Bonus auf das Thema Klimawandel?
Duin: Diesen Bonus merken wir vor allem im SHK-Bereich. Da fragen Menschen konkret nach, was Klimatechnik heißt. Wer sich darin auskennt und die entsprechende Ausbildung hat, genießt top Aussichten. Positive Effekte spüren wir auch beim Thema Nachhaltigkeit. Sachen reparieren zu können, mit Rohstoffen so zu arbeiten, dass sie nicht sinnlos verschwendet werden, sondern damit wirklich wertschätzend etwas Langlebiges zu schaffen, sind wichtige Werte. Klimawandel und Nachhaltigkeit haben bei jungen Leuten eine hohe Bedeutung, weshalb wir diese Themen noch deutlicher in den Mittelpunkt unserer Ansprache stellen müssen.
DHB: Müssen Sie nicht gleichzeitig auch die Karrierechancen, möglichst früh sein eigener Chef mit entsprechender finanzieller Sicherheit zu sein, verdeutlichen?
Duin: Bei der Entscheidung für einen Beruf spielt natürlich der Spaß an der Tätigkeit eine wichtige Rolle. Aber wenn ich absehbar damit nie Geld verdiene, stelle ich vielleicht diese Begeisterung ein bisschen nach hinten. Wenn man sich ansieht, wie die Verdienstmöglichkeiten schon in der Ausbildung, aber erst recht danach sind, sieht das Handwerk schon ganz gut aus. Aber es geht ja noch eine Stufe weiter mit einem eigenen Betrieb. Wer jetzt neu auf den Markt kommt, hätte in fast jedem Gewerk schnell gut gefüllte Auftragsbücher. Dieses Argument müssen wir mit ins Spiel bringen und klarmachen: Die Volksweisheit "Handwerk hat goldenen Boden" gilt für dieses Jahrzehnt mit drei Ausrufungszeichen.
DHB: Das ist eine Botschaft, die auch die Eltern gerne hören.
Duin: Nicht nur die Eltern. Deshalb haben wir uns überlegt, dass wir in der Ansprache über die digitalen Kanäle nicht nur auf die potenziellen Auszubildenden sehr direkt zugehen, sondern dieses Jahr parallel auch Ältere ansprechen, also Oma, Opa, Vater, Mutter, um auch bei ihnen für den "Klick" zu sorgen. Für unsere regionale Kampagne haben wir keine Models, sondern echte Menschen aus unserem Kammerbezirk gewonnen, die ihre Ausbildung bei uns in den Betrieben machen. Sie ergänzen wir um Meisterinnen und Meister, um deutlich zu machen, welcher Weg ihnen offensteht, also nicht nur der Start in die Ausbildung, sondern auch die Karriereperspektiven. Beim Slogan sind wir noch in der Arbeitsphase, aber es steht fest, dass wir das erste Mal unsere Ausbilder, die sonst nie in der öffentlichen Wahrnehmung vorkommen, sehr in den Fokus rücken werden.
Zitat "Man braucht Handwerksbetriebe, das Material und das Know-how, um die Heizung wieder in Gang zu bringen, das Dach wieder zu decken, die Fenster wieder in Ordnung zu bringen. Ohne dieses Know-how wird es nicht funktionieren." Garrelt Duin, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu KölnDHB: Blicken Sie für die Handwerksbetriebe positiv in das Jahr 2022?
Duin: Ja – und darüber hinaus. Ich glaube tatsächlich, dass alle politischen Entwicklungen, auch die Festlegungen in der neuen Bundesregierung, eine echte Unterstützung für das Handwerk in seiner Konjunktur sind. Was wir noch ein bisschen mehr einfordern müssen, ist die Bedeutung der dualen Ausbildung und die Notwendigkeit der Unterstützung. Warme Worte kennen wir, aber die müssen sich auch in Euro und Cent niederschlagen. Wenn ich die finanziellen Mittel, die Hochschulen und Universitäten gewährt werden, mit denen, die zum Beispiel für unser Bildungszentrum in Aussicht gestellt werden, vergleiche, wird das Handwerk nach wie vor etwas stiefmütterlich behandelt. Nur eine moderne und wirklich attraktive Berufsschule, ein modernes und attraktives Berufsbildungszentrum, was von Handwerkskammern, Kreishandwerkerschaften oder Innungen betrieben wird, ist zeitgemäß und entscheidende Voraussetzung, eine Ausbildung überhaupt interessant zu finden. Deswegen brauchen wir noch mehr finanzielle Unterstützung – und zwar schnell.
DHB: Diese Notwendigkeit ist eigentlich bekannt. Eine Überzeugungsarbeit dürfte gerade jetzt auf wenig Widerstand stoßen ...
Duin: ... weil viele Ereignisse im letzten Jahr gezeigt haben, wie wichtig das Handwerk ist. Nur ein Beispiel: Wir alle hätten gern auf die Hochwasserkatastrophe verzichtet, aber wenn es an die Beseitigung geht, nutzen manche Studiengänge einfach gar nichts. Ich brauche Handwerksbetriebe, das Material und das Know-how, um die Heizung wieder in Gang zu bringen, das Dach wieder zu decken, die Fenster wieder in Ordnung zu bringen. Ohne dieses Know-how wird es nicht funktionieren. Manche haben zwischenzeitlich darüber nachgedacht, Menschen, die nicht qualifiziert sind, als Helfer einzusetzen. Das klappt für das Aufräumen gut, aber eben nicht für das Aufbauen. Dafür sind Qualifikationen notwendig – und die erwerben sie nur mit dualer Ausbildung und den entsprechenden Fortbildungen im Handwerk.
DHB: Wie ist es um die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Kammerbezirk, am Campus Handwerk, bestellt?
Duin: Wir sind in den Überlegungen, erheblich in den Campus zu investieren, weil es modernste Werkstätten braucht. Leider ist diesen Investitionen ein intensives Prüfungsverfahren vorgeschaltet. Schließlich wollen wir nicht die kompletten Maßnahmen aus eigener Tasche finanzieren, sondern die dafür üblichen 65 Prozent Förderung bekommen und möglicherweise noch auf andere Programme wie die energetische Gebäudesanierung zugreifen. Problematisch ist, dass wir in die Prognose gehen müssen, wie sich welche Gewerke und Ausbildungsgänge über einen sehr langen Zeitraum entwickeln. Wir müssen alles abwägen, damit wir nicht Berufe mit High-Tech aufbauen, die in fünf Jahren gar nicht mehr gefragt sind.
DHB: Für Auszubildende ist der Standort der Berufsschule auch nicht ganz unwichtig.
Duin: Wenn ich hier in Köln meinen Ausbildungsbetrieb habe, aber unter der Woche zur Berufsschule nach Dortmund oder Essen muss, kann das ein K.-O.-Kriterium sein. Wenn ein entsprechendes Angebot nicht mehr hier in Köln, sondern noch viele Kilometer weit entfernt angeboten wird, hat das entsprechende Gewerk gleich ein paar Azubis weniger. Wir haben zum Beispiel das Kuriosum, dass die Millionenstadt Köln ausgerechnet für Landmaschinen ein Alleinstellungsmerkmal hat. Die Kurse sind voll, auch auf absehbare Zeit, und wir haben gerade erst zwei Traktoren dafür neu erworben.
DHB: Und Sie haben die schwierige Aufgabe, jetzt zu prognostizieren, dass sich solche Investitionen auch auf lange Sicht rechnen.
Duin: Ganz genau, wir gehen alle Gewerke durch und sagen: machen, mehr machen, weniger machen oder vielleicht sogar sein lassen. Das machen wir nicht alleine, sondern treffen uns nach und nach mit jeder Innung, um das mit ihnen abzugleichen. Das sind total spannende Fragen, die man sich stellen muss, bevor wir in eine neue Werkstatt am Campus investieren.
Das Gespräch führten V. Ulbrich und S. Buhren.
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Text:
Verena Ulbrich und Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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