Glaskunst made in Tschechien – in Böhmen hat die Glasherstellung eine jahrhundertealte Tradition. (Foto: © Jürgen Ulbrich)

Glaskunst made in Tschechien – in Böhmen hat die Glasherstellung eine jahrhundertealte Tradition. (Foto: © Jürgen Ulbrich)

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Glaskunst: Jedes Werkstück ein Unikat

Auf den Spuren der Glasmacher in Böhmen – eine Reise zu den traditionsreichen Manufakturen eines Handwerks, das in Tschechien bis heute zelebriert wird.

Die Hitze trifft uns wie ein Schlag. Drei Hafenöfen mit einer Innentemperatur von 1243 Grad Celsius heizen die Glashütte auf, in exakt aufeinander abgestimmten Arbeitsschritten wird hier Glas geblasen, geformt und geschnitten. Wir sind in der Glasmanufaktur "Moser", die 1857 in der berühmten Kurstadt Karlovy Vary (Karlsbad) gegründet wurde und heute eine der bekanntesten Glas-Manufakturen der Tschechischen Republik ist.

Mosers Gläser, Vasen, Schalen und Pokale gelten als "Glas der Könige". "Königshäuser, Präsidenten und Prominente nutzen sie", erzählt Moser-Mitarbeiterin Veronika Zvonařová, "und Tschechiens Präsident verschenkt sie bei Staatsbesuchen." Das zeigen Fotos von Elizabeth II. und Felipe VI., aber auch von Stars wie Claudia Cardinale, Gina Lollobrigida oder Richard Gere. Der wurde 2015 beim Internationalen Filmfestival von Karlovy Vary mit dem Kristallglobus von Moser ausgezeichnet.

Auf der Suche nach dem perfekten Glas

Glasblasen und die Glasveredelung haben in Böhmen eine lange Tradition. Seit dem Mittelalter suchte man das perfekte Glas, klar und glänzend wie Bergkristall sollte es sein. Doch erst im 18. Jahrhundert wurde das böhmische Kristallglas zum Konkurrenten des venezianischen Glases, das den Markt seit Ende des 15. Jahrhunderts dominiert hatte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts produzierten die Hütten höchst komplizierte Oberflächen in unendlicher, weil individueller Formenvielfalt, die das böhmische Glas berühmt machten. Diese Individualität lebt bis heute, die Hütten pflegen ihr Handwerk, jedes Stück ist ein Unikat, auch bei Moser.

Kleine Serien statt Masse

Oder bei "Ajeto Glass" im nordböhmischen Lindava nahe Liberec. Glasdesigner und Glasbläser Petr Novotný setzt auf kleine Serien statt auf Masse. "Kunstvolles Design und ungewöhnliche Formen sollen neue Kunden erschließen, Diversifizierung ist unser Gebot", erklärt er. In der Glas-Schenke üben wir uns im Glasblasen – mit durchwachsenem Erfolg. "Ideenreichtum ist gefragt, die billige Konkurrenz aus China erschwert das Geschäft", sagt Novotný, "böhmisches Glas wird zu rund 80 Prozent auf dem Weltmarkt verkauft."

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Glasblasen ist Teamarbeit unter Aufsicht eines Glasmeisters, jedes Team bildet eine sogenannte "Werkstatt". Zur Werkstatt gehören drei bis vier Glasmacher und der Meister selbst. Der Kölblmacher dreht ein Stück der rotglühenden, aus dem Hafen entnommenen Glasmasse auf der Glasbläserpfeife und bläst es zu einer hohlen Kugel ("Kölbl"). Diese wird mittels "Überstechen" – die erneute Zugabe von flüssigem Material – verstärkt und die Grundform in eine nasse Buchenholzform ("Wulgerholz") geblasen.

Der Glasmeister zieht den Stiel und formt den Boden. Eine Arbeit, die viel Erfahrung, Konzentration und Fingerspitzengefühl erfordert. Hat ein Glas die Qualitätskontrolle gemeistert, das gelingt nur rund 30 Prozent der Produktion, veredeln Glasschleifer, -graveure und -maler das Werkstück in vielen weiteren einzelnen Arbeitsschritten. Minderwertige Produkte, die die äußerst strenge Qualitätssicherung nicht bestanden haben, werden wieder geschmolzen und gelangen so erneut in den Produktionskreislauf.

Glasinstallationen für die Paläste der Welt

Klassische wie moderne Kronleuchter und Glasinstallationen, die von der Stange 1000 Euro kosten, im individuellen Design jedoch keine Preisgrenze kennen, sind die Spezialität von "Preciosa Lightning" in Kamenický Šenov. Die riesigen Lichtobjekte und Installationen schmücken die Paläste und Nobelhotels dieser Welt, rund 90 Prozent der Erzeugnisse werden exportiert. Radsportlern ist Preciosa durch den Kristallpokal bekannt, der seit 2015 dem Sieger der Tour de France nach der Zieleinkunft in Paris überreicht wird.

Europas modernste Glashütte

Als modernste Glashütte Europas gilt "Bomma" in Světlá nad Sázavou. "Wir vereinen klassisches Handwerk mit computergesteuerten Glasschneide- und Schleifmaschinen, die wir selbst nach eigenen Plänen entwickelt haben", erklärt Ingenieur Jiří Trtík. Er gründete den Betrieb nach jahrelangen Vorbereitungen im Juni 2012 und schenkte damit Glasspezialisten aus der Region, die von der Schließung einer lokalen Glasfabrik betroffen waren, neue Zukunftsperspektiven. Mittlerweile arbeitet "Bomma" mit vielen bedeutenden tschechischen und ausländischen Glas-Designern zusammen, ist auf allen bedeutenden Glas-Messen vertreten und exportiert die Produkte weltweit.

Die Tradition geht weiter

Ganz auf die Herstellung von Designer-Leuchten konzentriert sich Jan Rabell mit seiner Firma "Brokis" in Horní Dubenky. Damit setzt er die 200 Jahre alte Tradition der letzten Glashütte der 650-Seelen-Gemeinde fort. Und das so erfolgreich, dass jüngst ein hochmoderner Verwaltungs-Neubau eingeweiht wurde. So werden auch bei "Brokis" die heißen Öfen sicher noch lange weiterglühen.



Text und Fotos: © Jürgen Ulbrich
 

Die Hüttenseiten

Ajeto: Führungen müssen angemeldet werden.
Bomma: Besuche sind nach Anmeldung möglich.
Brokis: Besucher sind willkommen.
Moser: Tägliche Führungen sind möglich.
Preciosa: Besichtigungstouren sind möglich.

Karlovy Vary

Eleganz, prächtige Kurkolonnaden, exklusive Kurhäuser und eine wunderschöne Lage inmitten eines bewaldeten Tals – all das und noch viel mehr erwartet Sie in Karlsbad (Karlovy Vary), der beliebtesten Stadt des weltberühmten Bäderdreiecks. Viele berühmte Persönlichkeiten waren hier schon zur Kur und auch heute noch ist die Stadt das zweitbeliebteste Touristenziel Tschechiens und einer der schönsten Kurstädten Europas. Mehr Infos zu Karlovy Vary und Umgebung. Hotel-Tipp: Das Hotel Imperial ist eine der bedeutendsten Karlsbader Sehenswürdigkeiten. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte es zu den eindrucksvollsten und luxuriösesten Hotels in Karlovy Vary. Restaurant-Tipp: Le Marche bietet Speisen aus gründlich ausgewählten, frischen Rohstoffen und Zutaten.

Liberec

Nordböhmens Hauptstadt Liberec (einst Reichenberg) liegt im Isergebirge. Von hier hat man es nicht weit zu den zahlreichen Glashütten in der Umgebung. Denn der Kreis Liberec zählt 15 Großbetriebe mit über 13.000 Mitarbeitern und etwa 100 selbstständigen Glasbläsern. Ausflugs-Tipp: Der Berg Jeschken/Ještěd mit dem preisgekrönten, an ein Raumschiff erinnernden Fernsehturm mit Restaurant ("Über den Wolken") und Hotel im stimmigen Siebzigerjahre-Design.

Weitere Infos zu Tschechien und Böhmen.

Text: / handwerksblatt.de

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