Seit zwei Jahren fordern wir Mittelstandspolitiker einen Bürokratiestopp. Unsere Forde-rungen haben wir in diesem Jahr erneut in der KMU Resolution von Juli eingebracht", sagt Markus Pieper.

Seit zwei Jahren fordern wir Mittelstandspolitiker einen Bürokratiestopp. Unsere Forde-rungen haben wir in diesem Jahr erneut in der KMU Resolution von Juli eingebracht", sagt Markus Pieper. (Foto: © markus-pieper.eu)

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EU-Mittelstandspolitik: "Wir fordern einen Bürokratiestopp"

Der Europaabgeordnete Markus Pieper spricht über die EU-Mittelstandspolitik der letzten Jahre und Notwendigkeiten für die Zukunft.

Markus Pieper (CDU/EVP) ist seit 2004 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Der Gründer des Parlamentskreises Mittelstand Europa (PKM Europe) blickt zurück auf die Mittelstandspolitik der letzten fünf Jahre und bewertet die aktuellen Maßnahmen der EU-Kommission.

Herr Pieper, Sie haben den Parlamentskreis Mittelstand Europa gegründet. Was konnten Sie in den letzten fünf Jahren für das Handwerk erreichen?
Pieper: Grundsätzlich sicher eine zunehmende Sensibilität für KMU-Belange im EU-Parlament. Das ist auch der starken Stimme der Handwerksorganisation in Brüssel zu danken. Wir haben mittlerweile gut 80 Europaabgeordnete aus 17 Ländern, die sich parteiübergreifend organisieren. Die meisten in der EVP mit CDU/CSU, aber auch die RENEW hat seit Ende letzten Jahres eine "KMU Taskforce". Das sind gute Entwicklungen, weil wir mittelstandsrelevante Gesetzgebung systematisch überprüfen und parteiübergreifend Anträge stellen. Deshalb wird sich die Europäische Kommission drei Mal überlegen, den Zugang zu reglementierten Berufen noch einmal derart auf den Prüfstand zu stellen, dass der Meisterbrief gefährdet wird. Im Gegenteil, die guten Entwicklungen den Bachelor mit dem Meisterbrief gleichzustellen, haben durch Kommission und Parlament Rückenwind. Dass das duale System der Berufsausbildung Benchmark ist, sieht man auch an der Berücksichtigung in der EU-Strukturförderung für entsprechende Projekte in anderen Ländern.

In der laufenden Legislatur ist auch das Corona-Krisenmanagement rund um Betriebsbeihilfen gut gelungen. Das herrschende Thema ist und bleibt aber der Bürokratieabbau. Stichworte sind Energiegesetzgebung, in der wir von klein bis groß denken, Datenregulierung zum besseren Datenzugang für Handwerk und KMU, Lieferkettenrichtlinie, wo wir die kleinen nicht den großen ausliefern dürfen, Verpackungsverordnung, wo es um die Anerkennung bewährter Rücknahmesysteme geht, Entgelttransparenz, wo Lohngleichheit zwischen Frau und Mann die Situation der Familienbetriebe berücksichtigen muss, oder Mindestlöhne, in die sich Europa gar nicht einmischen darf. Wir haben zwar überall Verbesserungen für das Handwerk erreicht, aber die ganze Gesetzgebung kommt auf einmal, teils unabgestimmt und mit doppelten Berichtspflichten. Diese Bürokratie passt nicht in die schwierige Zeit.

Wie bewerten Sie denn dann die jüngsten Maßnahmen der EU-Kommission, also das KMU-Entlastungspaket und den Plan, nur die bestehenden Berichtspflichten um 25 Prozent zu reduzieren? Ist dies angesichts der Vielzahl von belastenden Vorschlägen, die gerade noch auf dem Tisch liegen, nicht zu kurz gegriffen?
Pieper: Seit zwei Jahren fordern wir Mittelstandspolitiker einen Bürokratiestopp. Unsere Forderungen haben wir in diesem Jahr erneut in der KMU Resolution von Juli eingebracht. Ja, viele der Forderungen finden sich im von der Kommission vorgestellten KMU-Entlastungspaket von September wieder. So die künftig einfachere, weil digital unterstützte Entsendung. Auch der Weg zum digitalen Tool zur Dateneingabe mittels des Once-Only-Prinzips, also einmal eingeben, gilt auch für andere Gesetzgebungen, kann ein "Game Changer" werden. Auch die Zahlungsverzugsrichtlinie und Erleichterungen der internati-onalen Steuerabrechnungen sind positiv, brauchen aber den "Deutschland-Check", was wir gerade durch Änderungsanträge einbringen.

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Zumindest ein positives Signal ist auch die Verschiebung der Branchen-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). Allerdings müssen die Betriebe die allgemeinen Vorgaben schon erfüllen, was schwierig genug ist. In der Tat adressiert die EU-Kommission noch zu wenig, dass zu viel Gesetzgebung auf einmal kommt. Sie sieht die kumulative Belastung nicht. Lieferkette, Taxonomie oder CSRD machen ja Sinn. Wer will seinen Betrieb nicht nachhaltiger ausrichten?

Aber umsetzen lässt sich das nur, wenn kein zusätzlicher Bürokratieaufwand damit verbunden ist. Unsere Kernforderung ist deshalb zunächst eine deutliche Anhebung der Betriebsgrößen für die Anwendung neuer Gesetzgebung. Damit dann das Durchreichen von Bürokratie in das Handwerk vermieden wird, brauchen wir Erprobungstests für neue Gesetzgebung in ganz wenigen Branchen. Und wo es tatsächlich zu neuen Gesetzen kommt, müssen diese mit neuem Service verbunden sein. Soll heißen, Daten nur einmal eingeben oder auch Hilfestellung bei Zertifikaten entlang der Lieferkette, etwa durch die nationalen und internationalen Kammern.

Handwerk und KMU standen auch krisenbedingt oft nicht im Mittelpunkt dieser Legislaturperiode. Wie wollen Sie das für die nächsten fünf Jahre ändern, und mit welcher Botschaft ziehen Sie in den anstehenden Europawahlkampf?
Pieper: Gut ist für den Ausblick zunächst, dass der künftige KMU-Beauftragte eine direkte Anbindung an die Kommissionsspitze hat, wodurch fortan besser koordiniert wird und bestimmte Dinge gar nicht erst das Licht der Gesetzgebung erblicken dürften. Und ich erwarte, dass doppelte Berichtspflichten, verursacht durch die scheinbar parallel zueinander laufenden Arbeitsschwerpunkte unterschiedlicher Kommissare, der Vergangenheit angehören.

Wir brauchen aber eine noch deutlich stärkere Unternehmensperspektive in der europäischen Gesetzgebung. Die Devise der nächsten fünf Jahre heißt: Think-Small-First und Diskontinuität. Klingt theoretisch, heißt aber, dass es für Gesetzgebungsvorschläge der EU-Kommission viel realitätsnähere Folgenabschätzungen braucht. Das dafür bislang zu-ständige "Regulatory Scrutiny Board" muss zu einem echten – von der EU-Kommission unabhängigen – Normenkontrollrat aufgewertet werden. Dieser muss – wie in Deutschland auch – die Berechnung von Bürokratielasten und eine Überprüfung der Europäi-schen Zuständigkeit übernehmen. Diese Forderung wird auch im Vorfeld der Europawahlen zu diskutieren sein. Genau wie unser Anliegen der Diskontinuität. Das heißt, Gesetzgebungsverfahren müssen in einer Legislatur erledigt sein, sonst verfallen sie. Das wäre die "halbe Miete" in Sachen Bürokratieabbau.

Gestatten Sie mir bei allem berechtigten Ärger aber auch eine Schlussbemerkung: Offene Grenzen, gemeinsame Währung, gemeinsame technische Standards und Handelsverträge, die Importe und Exporte aus 70 Ländern besser als WTO-Regeln stellen, sind doch eine prima marktwirtschaftliche Grundlage für Bürokratieabbau. Und auch Green Deal und nachhaltigere Lieferketten sind zunächst mal positiv, gerade im globalen Kontext. Wir dürfen die Betriebe aber nicht überfordern. Dazu muss die europäische Ebene wieder stärker in die Unternehmen und die Handwerksorganisationen schauen. Die Mittelstandspolitiker werden das massiv einfordern.

Quelle: ZDH

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Text: / handwerksblatt.de

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