Regeln muss man bis zur Abnahme einhalten
Ein Handwerker muss nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik arbeiten. Ändern sich diese vor der Abnahme, muss er sein Werk anpassen.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Die Abnahme: Dreh- und Angelpunkt für Handwerkerrechte
Wer trägt das Risiko einer Änderung der anerkannten Regeln der Technik? Der Auftragnehmer! Er schuldet nach VOB/B grundsätzlich die Einhaltung der Regeln bis zur Abnahme. Dies gilt auch bei einer Änderung der Regeln zwischen Vertragsschluss und Abnahme, sagt ein aktuelles Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs.
Der Fall
Es ging um den Bau von drei Pultdachhallen mit Stahlkonstruktion. Die Hallen sollten laut Baubeschreibung eine Schneelast von 80 kg/m² tragen. Dies entsprach der DIN 1055-5 (1975) und der im Jahr 2006 erteilten Baugenehmigung. Die DIN 1055-5 wurde 2005 geändert und schrieb nun eine Schneelast von 139 kg/m² vor. Sie galt für Bauvorhaben nach dem 1. Januar 2007. Der Auftragnehmer errichtete die Hallen bis August 2007. Als eine Photovoltaikanlage auf das Dach montiert werden sollte, meldete das damit beauftragte Unternehmen Bedenken an der Traglast an. Daraufhin forderte die Kundin das Bauunternehmen zur Verstärkung der Dachkonstruktion auf – ohne Erfolg. Sie verweigerte daher eine förmliche Abnahme mit der Begründung, die Hallen seien mangelhaft, weil sie nicht die nach DIN 1055-5 (2005) vorgesehene Schneelast von 139 kg/m² tragen.
Das Urteil
Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Berufungsgericht zur genauen Klärung des Vertragsinhalts zurückverwiesen, aber ein paar grundsätzliche Hinweise gegeben:
Der Auftragnehmer schuldet nach VOB/B grundsätzlich die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme. Dies gilt auch bei einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme. In einem solchen Fall muss der Auftragnehmer den Kunden über die Änderung und die Konsequenzen für die Bauausführung informieren – es sei denn, diese sind dem Auftraggeber bekannt oder ergeben sich aus den Umständen.
Kunde hat zwei Handlungsalternativen zur Wahl
Der Auftraggeber hat dann zwei Möglichkeiten zu reagieren: Entweder kann er auf der Einhaltung der neuen Regeln der Technik bestehen. Dann kann ein aufwändigeres Bauverfahren erforderlich werden als bei Vertragsschluss vorgesehen. Der Auftragnehmer darf dafür im Gegenzug eine Vergütungsanpassung nach VOB/B verlangen, falls dabei außerplanmäßige Leistungen nötig werden.
Der Kunde kann aber auch von einer Einhaltung der neuen Regeln der Technik absehen und damit eine etwaige Verteuerung des Bauvorhabens vermeiden. (Ob dies im vorliegenden Fall geschehen war, muss das Berufungsgericht noch klären.)
"In der Praxis wird dies schon lange Zeit so gehalten", erklärt Dipl.-Ing. Helge-Lorenz Ubbelohde, Vizepräsident des Bundesverbands öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. "Neu ist nun, dass ein höchstrichterliches Grundsatzurteil diese bestehende Praxis bestätigt."
Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. November 2017, Az. VII ZR 65/14 (die Sache wurde zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen).
Hintergrund: Anerkannte Regeln der Technik sind bautechnische Regeln, die von der Wissenschaft als theoretisch richtig belegt wurden und sich dann, von Bauexperten in der Praxis erfolgreich angewandt, durchgesetzt haben. Manche dieser Regeln münden in eine DIN-Norm, andere werden in weitere Regelwerke übernommen. Als allgemein anerkannte Regeln der Technik gelten dabei sämtliche Vorschriften und Bestimmungen, die sich in der Theorie als richtig erwiesen und in der Praxis bewährt haben. Entspricht das Werk nicht diesen Regeln, so ist die Leistung meistens mangelhaft.
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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