Bisher hatte Gerd Nagel Pech mit seinen Auszubildenden. Nur ein einziger hat bisher in dem 1994 gegründeten Elektrobetrieb die Prüfungen bestanden. Drei weitere haben die Ausbildung abgebrochen. "Die Grundeinstellung passte nicht", sagt Nagel. Die Arbeit sei den jungen Leuten zu anstrengend gewesen. Nagel, der auch im Prüfungsausschuss tätig ist, meint, es sei keine Seltenheit, dass Azubis abbrächen. "Irgendwann sagt man sich als Betriebsinhaber, man lässt es sein", sagt er. Schließlich habe er Geld, Energie und Zeit investiert – vergeblich. Doch jetzt wagt der Unternehmer es erneut: Am 1. August hat Yohannes Tekle die Ausbildung zum Elektroniker, Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik begonnen. Der junge Mann habe ihn einfach überzeugt, schwärmt Nagel. Obwohl sein Praktikum am 19. Februar endete, habe Tekle noch während der Osterferien freiwillig mitgearbeitet. So viel Eigeninitiative habe er selten erlebt, sagt Nagel. Auch seine Mitarbeiter und die Kunden seien begeistert von dem jungen Mann.
Tekle schwärmt von dem Praktikum, weil sich immer jemand Zeit genommen habe für seine Fragen und seine Fehler korrigiert habe. Jetzt freut er sich auf die Ausbildung. Eine Herausforderung, doch mit Anfang 20 hat Tekle schon so einiges gemeistert. Mit 18 Jahren ist er ganz alleine aus seiner Heimat Eritrea geflohen, wie er erzählt. Über Äthiopien, den Sudan und Libyen, mit zum Teil längeren Aufenthalten, gelangte er schließlich auf einem Boot nach Sizilien. Drei Tage seien sie übers Mittelmeer geschaukelt, erinnert er sich. Schlimmer aber sei die Fahrt durch die Sahara gewesen: Eingepfercht zwischen vielen anderen Flüchtenden auf der offenen Ladefläche eines Pick-ups, ohne Wasser in der Hitze. Ständig habe er Angst gehabt, der Wagen könne sich auf dem sandigen, unebenen Gelände überschlagen. Geflohen sei er vor einem Regime in Eritrea, das junge Männer und Frauen willkürlich und für unbestimmte Zeit zum Militärdienst einzieht. "Es gibt keine klaren Regeln dort." Er ist das jüngste von drei Kindern. Eltern und Geschwister leben noch in dem eritreischen Dorf, in dem es keine Straßennamen gibt.
Dramatische Flucht durch die Wüste und übers Mittelmeer
Von Italien ist er im Sommer 2013 über Frankfurt, Dortmund und Hemer nach Löhne gekommen, wo er seinen Antrag auf Asyl gestellt hat. Zweieinhalb Jahre später hat er den Bescheid erhalten, dass er als Asylberechtigter anerkannt ist. Inzwischen hat er auch Reisepass und Aufenthaltstitel erhalten. Damit kann er problemlos eine Ausbildung beginnen. Die Wartezeit hat er gut nutzen können, sagt er, habe Deutsch gelernt, seinen Hauptschulabschluss anerkennen lassen und eine Fachschule für Elektrotechnik besucht. Stolz zeigt er die Belege, die bescheinigen, dass er keine einzige Schulstunde versäumt hat. Jeden Morgen sei er um 5 Uhr aufgestanden, um mit dem Bus zur Schule zu fahren. In dem Flüchtlingsheim, in dem er zuerst untergebracht war, habe er kein eigenes Zimmer gehabt und sich nicht aufs Lernen konzentrieren können. Viele Geflüchtete aus verschiedenen Ländern seien dort aufeinandergetroffen, oft zur Untätigkeit verdammt, weil sie keine Integrations- oder Sprachkurse besuchen konnten. Er habe mit einem Sozialarbeiter gesprochen und durfte wenig später in eine Wohngemeinschaft mit drei jungen Männern aus Eritrea ziehen. Dort konnte er besser lernen, und zur Praktikumsstelle war es auch nicht weit.
Bei all seiner Zielstrebigkeit hat Tekle auch immer Unterstützer gefunden: eine Frau aus Löhne, die selbst vor 16 Jahren aus Eritrea eingewandert ist und sich jetzt ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzt, indem sie bei Behördengängen und Arztbesuchen hilft, einen Berufsschullehrer, der bei der Praktikumssuche unterstützt hat, und nicht zuletzt Gerd Nagel und seine Frau Regina. Sie und ihre Tochter haben Yohannes Tekle dabei geholfen, eine kleine Wohnung in der Nähe zu finden oder den Antrag für Ausbildungsbeihilfe auszufüllen. Das Amtsdeutsch sei schon für sie schwierig zu verstehen gewesen, erinnert sich Gerd Nagel. Die Nagels betrachten den Einsatz als ihren Beitrag zur Integration. "Da wissen wir, dass es an der richtigen Stelle ankommt", sagt der Handwerksunternehmer. Yohannes habe sie mit seiner positiven Ausstrahlung überzeugt. Nagel ist sich sicher, dass der junge Mann "den Grips" hat, die Ausbildung zu schaffen. Der fühlt sich mittlerweile ganz in Deutschland angekommen, spielt am Wochenende mit Jungen aus Löhne und Flüchtlingsjungen Fußball und hat sich sogar an das "komische deutsche Essen" gewöhnt. Als nächste Ziele hat er die Ausbildung und den Führerschein angepeilt. Und er strahlt vor Zuversicht.
Willkommenslotsin baut Brücke zwischen Betrieben und Geflüchteten
Foto: © Handwerkskammer OWL zu Bielefeld
Seit dem 15. Mai ist Katrin Herking als Willkommenslotsin in einem geförderten Projekt bei der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld tätig. Das Programm "Passgenaue Besetzung – Unterstützung von KMU bei der passgenauen Besetzung von Ausbildungsplätzen sowie bei der Integration von ausländischen Fachkräften" – Programmerweiterung "Willkommenslotsen" wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Herking versucht, bei kleinen und mittleren Unternehmen ein Interesse dafür zu wecken, Geflüchtete zu beschäftigen. Wer sich bereits für den Schritt entschieden hat, kann bei ihr drängende Fragen klären.
Meist wollten Betriebsinhaber wissen, in welchem Rahmen sie Praktika gestalten oder wie sie die Praktikanten danach weiter beschäftigen oder ausbilden könnten, erklärt Herking. Da könne sie je nach Einzelfall weiterhelfen. Manchmal gehe es auch um finanzielle Hilfen, asylrechtliche oder arbeitsrechtliche Fragen. Eine Rechtsberatung mache sie nicht, stellt sie klar, sie sei aber gut vernetzt und könne deshalb nachforschen oder an entsprechende Stellen weitervermitteln, falls sie eine Frage nicht direkt selbst beantworten könne.
Motivierte Mitarbeiter sind der Lohn für Mehraufwand
"Es ist wichtig, im Netzwerk mit anderen Organisationen wie Sprachschulen, Flüchtlingshilfen und Arbeitsagenturen zusammenzuarbeiten", so die Willkommenslotsin. Die Ausweispapiere eines Geflüchteten geben laut Herking einen ersten Hinweis, welche Art der Beschäftigung möglich ist. "Wenn es eine Aufenthaltserlaubnis gibt, ist alles deutlich unkomplizierter", sagt Herking. Im Zweifelsfall könne sie weiterhelfen oder -vermitteln. Es kämen auch Betriebe auf sie zu, die sagten, ihnen fehlten Arbeitskräfte oder Nachwuchs. In diesem Fall könne sie unter Umständen Kontakte herstellen. Mit einem Mehraufwand müssten die Betriebe schon rechnen, räumt die Expertin ein, größtes Problem seien oft die fehlenden Sprachkenntnisse. "Doch wenn es gut läuft, kann es eine Bereicherung sein", so Herking. Der Betrieb bekomme sehr motivierte Mitarbeiter, die vielleicht sogar neue Arbeitstechniken einbringen könnten.
Die Bereitschaft der Unternehmer, Flüchtlinge zu beschäftigen, sei laut Herking bereits groß, dabei spielen unterschiedliche Gründe eine Rolle. Entweder fänden sie keine Auszubildenden oder sie seien einfach neugierig darauf, jemanden aus einem anderen Kulturkreis zu beschäftigen. Viele wollten damit aber auch einen Beitrag zur Integration leisten. Bis das Gros der Geflüchteten, die im letzten Jahr nach Deutschland gekommen sind, eine Beschäftigung finden kann, wird es laut Herking jedoch noch dauern. Sie müssten erst die notwendigen Integrations- und Sprachkurse absolvieren. Kontakt: Tel.: 0521/56 08-310; E-Mail: katrin.herking@hwk-owl.de
Text:
Melanie Dorda /
handwerksblatt.de
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