In der Freizeit müssen Arbeitnehmer manchmal für den Chef erreichbar sein
Beschäftigte müssen außerhalb der Arbeitszeit an sich nicht SMS-Nachrichten ihrer Vorgesetzten lesen. Es sei denn, es gibt eine betriebliche Regelung, dass der Chef Arbeitszeit und -ort für den folgenden Tag konkretisieren kann.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Was Sie als Chef im Handwerk wissen müssen
Wenn der Chef nach Feierabend per SMS oder E-Mail über Dienstplanänderungen informiert, darf er nicht damit rechnen, dass der Arbeitnehmer die Nachricht liest, urteilte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) im September 2022. Die Mitarbeiter hätten in ihrer Freizeit ein Recht auf Unerreichbarkeit.
Das Bundesarbeitgericht hat das Urteil jetzt aufgehoben. Es gebe durchaus die Pflicht, die Nachrichten zu lesen, wenn wenn eine Betriebsvereinbarung vorsieht, dass Dienste kurzfristig konkretisiert werden können. Dienstliche SMS müssten daher im Einzelfall auch in der Freizeit gelesen werden
Der Fall
Ein Notfallsanitäter erhielt kurzfristige Dienstplanänderungen von seinem Arbeitgeber. Er war aber in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht zu erreichen. Der Mann meldete sich jeweils wie ursprünglich geplant zu seinen Diensten. Der Arbeitgeber wertete das Verhalten als unentschuldigtes Fehlen und erteilte ihm zunächst eine Ermahnung und dann eine Abmahnung. Der Notfallsanitäter dagegen zog vor Gericht. Er verlangte die Nachzahlung des vorenthaltenen Lohns und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
Das Urteil
In der Berufung entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) zugunsten des Arbeitnehmers. Der Chef habe damit rechnen müssen, dass der Notfallsanitäter die SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nehmen würde, erklärten die Richter. Erst zu diesem Zeitpunkt sei der Sanitäter verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehöre auch, die dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen. "In seiner Freizeit steht dem Kläger dieses Recht auf Unerreichbarkeit zu. (...) Arbeit wird nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt", so das Urteil wörtlich.
Schutz der Gesundheit und des Persönlichkeitsrechts
Das Verhalten des Arbeitnehmers sei auch nicht treuwidrig gewesen, urteilte das Gericht. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers auch dem Persönlichkeitsschutz. "Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht", hieß es vom Landesarbeitsgericht.
Zwar übe ein Arbeitgeber mit einer Änderung des Dienstplans sein Direktionsrecht zulässig aus, die Änderung müsse dem Mitarbeiter aber auch zugehen. Daran fehle es, wenn der Mitarbeiter lediglich in seiner Freizeit über eine Änderung des Dienstplans informiert werde, so das LAG. Nehme er eine Änderung des Dienstplans nicht zur Kenntnis, gehe ihm diese formal daher erst bei Dienstbeginn zu. Da der Notfallsanitäter seine Arbeitsleistung ohne Erfolg angeboten hatte, sei der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Die Abmahnung müsse aus der Personalakte entfernt werden.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. September 2022, Az.1 Sa 39 öD/22
BAG: Pflicht zum Lesen der SMS
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob das Urteil der Vorinstanz auf und stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers. Die Erfurter Richter entschieden, dass die Abmahnung des Notfallsanitäters ebenso wie der Abzug der Stunden auf dem Arbeitszeitkonto rechtmäßig waren.
Der Arbeitgeber habe sich nicht im Annahmeverzug befunden, da der Notfallsanitäter seine geschuldete Arbeitsleistung nicht wie erforderlich angeboten habe. Entsprechend der Betriebsvereinbarung habe der Chef mit seiner SMS den Springerdienst wirksam konkretisiert und eine Weisung erteilt. Der Notfallsanitäter hätte diese zur Kenntnis nehmen und sich um sechs Uhr zum Dienst begeben müssen.
Keine Unterbrechung der Ruhezeit
Aus der Betriebsvereinbarung ergebe sich eine Nebenleistungspflicht. Dieser Pflicht müsse der Arbeitnehmer auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit nachkommen. Die Ruhezeit werde durch die Kenntnisnahme nicht unterbrochen, erklärte das BAG. Der Arbeitnehmer könne frei wählen, wann er die Weisung zur Kenntnis nehme. Auch sei die Zeit zum Lesen der SMS so kurz, dass dies die freie Zeit nicht wirklich beeinträchtige.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. August 2023, Az. 5 AZR 349/22
HB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale HB registrieren!
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
Kommentar schreiben