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HWK Trier | Mai 2025
Beratung: Beruflich weiterkommen im Handwerk
Persönliche Beratung beim "Zukunftstreffer" :Die nächste Sprechstunde ist am Dienstag, 13. Mai, von 16. bis 17.30 Uhr.
Von links: Mirja Heitmann, Heiko Siegmann und Niklas Darboven. (Foto: © Steffi Brischke)
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Februar 2021
Durch mehr Teamarbeit und Kommunikation auf Augenhöhe haben sich die Abläufe in der Tischlerei Siegmann deutlich verbessert. Ein Beispiel für den Schritt hin zu mehr agilem Arbeiten im Handwerksunternehmen.
Erfolg und Überlebenschance hängt bei Unternehmen zu großen Teilen davon ab, wie schnell sie sich an Veränderungen in ihrem Umfeld anpassen können. Agiles Arbeiten ist seit ein paar Jahren ein Ansatz im Management. Die Methode wird in den letzten Jahren vermehrt in der Softwareentwicklung von Konzernen eingesetzt. Es zeigt sich aber, dass auch kleine und mittlere Unternehmen von mehr Agilität profitieren können.
"Unternehmen werden agiler, indem sie ihre Mitarbeiter stärker einbinden. Übernimmt das Team innerhalb klar gesteckter Rahmen mehr Verantwortung, gewinnt der Chef Gestaltungsspielraum", sagt Agilitäts-Expertin Dr. Julia Staffa, Gründerin und Geschäftsführerin der agiLOGO GmbH. Im Kern geht es darum, dass Mitarbeiter selbstständiger, über die Abteilungen hinweg und mit Fokus auf den Kunden zusammenarbeiten, um schneller zu effektiven Lösungen zu kommen.
Auch das Handwerk kann sich hiervon etwas abschauen, meint die Expertin für agiles Management. "Reagieren geht leichter, wenn alle mitdenken. Klare Ziele, transparente Prioritäten und effiziente Prozesse gewährleisten, dass der Chef weiterhin den Überblick behält. "
Holztechniker Heiko Siegmann hat vor zwei Jahren den Familienbetrieb von seinem Vater übernommen. Die Tischlerei Siegmann in Rotenburg (Wümme) ist auf individuelle Bauelemente aus Holz spezialisiert. Etwa 70 Prozent der Aufträge für Fenster und Türen kommen von Tischlerkollegen und Zimmereien, der Rest von Privatkunden. 2020 war eines der besten Jahre in der Geschichte der Tischlerei.
Der Auftragsboom brachte den Betriebsinhaber an seine Grenzen. Vom Kundengespräch, über die Werkstattleitung bis zur Büroarbeit, vieles lief über Heiko Siegmanns Schreibtisch. "Ich habe viele Ideen, neige aber auch dazu, mich zu verzetteln. Außerdem war ich völlig überlastet", erzählt der Unternehmer. "Dadurch, dass so viel los war, ging dann auch mal etwas schief. Da habe ich gemerkt, dass sich etwas verändern muss."
Siegmann stellte eine Assistentin ein, die ihn auf Minijob- Basis im Büro und beim Aufmaß unterstützt, er fand einen angehenden Meister, der ihn in der Produktion, im Kundengespräch und im Büro entlastet, und er entschied sich für ein Organisationsentwicklungsprojekt mit agiLOGO.
In Einzel- und Teamcoachings durch Julia Staffa wurden zunächst die Ziele geklärt: eine bessere Wirtschaftlichkeit dank hoher Kundenorientierung, guter Qualität und funktionierenden Prozessen. Erreicht werden soll das durch mehr Selbstorganisation im Team, transparente Produktionsabläufe und eine wertschätzende Kommunikation miteinander.
"Bei kleinen Handwerksbetrieben liegt die Verantwortung für neue Geschäftsmodelle und die Organisation der Wertschöpfung oft allein bei den Inhabern. Das bremst aus. Die Mitarbeiter verfügen durch die tägliche Arbeit häufig über Fähigkeiten und Erfahrungswissen, ohne dass dieses beim Chef landet", sagt die Expertin. "Und selbst wenn er davon erfährt, ist der Schreibtisch meist so voll, dass das Tagesgeschäft ihn davon abhält, die Ideen aufzugreifen und umzusetzen."
So war es auch bei Heiko Siegmann. Nach der Übernahme des Familienbetriebes hatte er viele Ideen, die er umsetzen wollte. Gleichzeitig musste er sich in seiner neuen Rolle als Chef etablieren. Er musste die Beziehungen zu den Kunden stärken und die Verantwortung für das Tagesgeschäft bewältigen. So eine Mehrfachbelastung hält man nur über einen begrenzten Zeitraum aus.
Im ersten Schritt ging es darum, klare Prioritäten zu setzen. Im Einzelcoaching arbeiteten Heiko Siegmann und Julia Staffa zunächst die individuellen Ziele und Prioritäten aus – und zwar sowohl persönlich als auch mit Blick auf die Tischlerei.
Auf dieser Basis folgte Schritt zwei: die Übertragung von mehr Verantwortung ins Team. "Klare Ziele, transparente Prioritäten und effiziente Prozesse gewährleisten, dass der Chef mehr Verantwortung ans Team abgeben kann und weiterhin den Überblick und die Kontrolle behält. Umso besser sich das Team selbst organisieren kann, umso schneller kann sich der Betrieb auf verändernde Gegebenheiten einstellen", betont Julia Staffa. Und der Chef kann sich mehr auf die Umsetzung von langfristigen Ideen fokussieren.
Die elf Mitarbeiter der Tischlerei Siegmann waren zunächst skeptisch, als sie an einem Samstag im Dezember in die Werkstatt kommen sollten. Als sie merkten, dass es darum ging, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und dass sie sich mit ihren persönlichen Stärken einbringen konnten, tauten sie auf. "Am Schluss waren alle positiv überrascht, wie offen die Probleme angesprochen wurden. Und dass wir dadurch Ideen oder Lösungsansätze entwickelten und jeder seinen Teil dazu beitragen kann", erzählt Heiko Siegmann.
"Durch die offene Aussprache konnte das Spartendenken Büro, Produktion, Lackierung, Endmontage in der Werkstatt und Montage gelöst werden – wir haben gemeinschaftlich gedacht", erzählt der Firmenchef. "Für die Mitarbeiter ist es wichtig, dass sie sich und ihr Können gewürdigt wissen. Dann sind sie in der Regel auch bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen", ergänzt Julia Staffa.
Wenn der Chef zwischen den Zeilen jedoch ausstrahlt, dass er doch lieber die Kontrolle hat und am Ende entscheiden möchte, wirke das auf die Mitarbeiter häufig als Zweifel an ihren Kompetenzen. "Durch die offene Aussprache konnte das Spartendenken Büro, Produktion, Lackierung, Endmontage in der Werkstatt und Montage gelöst werden – wir haben gemeinschaftlich gedacht."
Das sei eine Botschaft mit doppeltem Boden nach dem Motto: "Wasch mich, aber mach mich nicht nass". Heiko Siegmann konnte seiner Mannschaft auf seine direkte Art sofort vermitteln, wie sehr er auf die Fähigkeiten seines Teams vertraut. Entsprechend positiv war die Resonanz. Es wurde auch kritisch diskutiert – aber immer konstruktiv und wertschätzend. Im Teamcoaching wurde das herausgearbeitet, was gut läuft, um es weiter auszubauen. Es wurde aber auch das angesprochen, was besser laufen soll.
Am Ende wurden konkrete nächste Schritte geplant, um den Transfer in den Alltag zu sichern. Staffa: "Wichtig ist, dass sowohl das Positive als auch das Negative so angesprochen werden kann, so dass ein Austausch auf Augenhöhe stattfindet." Das sei die Basis für nachhaltige Lösungen und auch die Chance für kleine Unternehmen. "Stärken kleine Teams ihre Fähigkeit, auf Augenhöhe zu kommunizieren, bringen sie sehr schnell sehr viel mehr Verbesserungen auf den Weg", sagt die Expertin.
Fast noch wichtiger als die Diskussion über konkretes Verbesserungspotenzial sei, dass am Ende ein Prozess stehe, der sicherstellt, dass neu auftauchende Probleme schnell, konstruktiv und kritisch angesprochen und adäquat weiterbearbeitet werden, betont Staffa. Das Team der Tischlerei Siegmann löste diese Frage, indem es für unterschiedliche Problemstufen die Vorgehensweisen definiert hat. Was im Rahmen der verteilten Verantwortlichkeiten gelöst werden kann, wird im Alltag gelöst.
Themen, die so nicht geregelt werden konnten, werden im wöchentlichen Teammeeting zusammen mit einem konkreten Lösungsvorschlag eingebracht. Sie werden vor Ort kurz diskutiert, gegebenenfalls angepasst und verabschiedet. Für die komplexeren Herausforderungen wurde ein entsprechend komplexeres Vorgehen gewählt.
Staffa: "Am Ende geht es bei Agilität viel darum, die Lösungsfindungskompetenz im Unternehmen zu stärken. Denn dann kann sich die Organisation immer wieder aus eigener Kraft neu anpassen."
(Quelle: Dr. Julia Staffa, agiLOGO GmbH)
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