Gericht stärkt selbstständige Handwerkerinnen
Diskriminierung wegen des Geschlechts: Ein Gericht hat einer Kosmetikerin einen Anspruch auf 6.000 Euro Schadenersatz gegen einen Versicherer zugesprochen. Das Urteil ist für (werdende) selbstständige Mütter von großer Bedeutung.
Das Landgericht Hannover hat entschieden, dass der Ausschluss von Versicherungsleistungen bei Schwangerschaft, Fehlgeburt, Schwangerschaftsabbruch oder Entbindung eine unmittelbare Geschlechterdiskriminierung darstellt. "Die Bedeutung für werdende selbstständige Mütter ist groß", sagt Johanna Röh vom Verein "Mutterschutz für alle". Das Urteil des Landgerichts setze einen neuen Maßstab für Versicherungsbedingungen.
Worum geht es: Eine Kosmetikerin plante eine zweiten Schwangerschaft und wollte eine Inhaberausfallversicherung abschließen. In den Versicherungsbedingungen hieß es, dass kein Versicherungsschutz bestehe bei "Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Fehlgeburt und Entbindung". Das wollte die selbstständige Handwerkerin so nicht hinnehmen - mit Erfolg.
Das Landgericht erkannte darin eine Benachteiligung der Kosmetikerin im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Indem das Versicherungsunternehmen in seiner Inhaberausfallversicherung den Leistungsumfang für den Versicherungsfall "Krankheit" dahin einschränkt, dass Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, Fehlgeburt und Entbindung ausgenommen sind, werde, so das Gericht, sei der Leistungsumfang der konkreten Versicherung allein für Frauen, eingeschränkt.
Für eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts genüge es, wenn bereits der wesentliche Grund für die Schlechterstellung ausschließlich für Personen eines der beiden Geschlechter gelte. Dies sei etwa bei der Schwangerschaft der Fall, da diese ausschließlich mit dem weiblichen Geschlecht verbunden sei. Es handele sich damit um eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, die einer Rechtfertigung nicht zugänglich sei. Das Urteil bezieht sich auf die EuGH-Unisex-Entscheidung von 2011, die eine geschlechtsneutrale Ausgestaltung von Versicherungsprämien verlangt.
Aufgrund der erfahrenen Diskriminierung sprach die Kammer der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro zu.
"Zeiten von Mutterschutz und Schwangerschaft müssen versichert sein"
Angela Heinssen, Rechtsanwältin der Klägerin und Vorstandsmitglied im Verein Mutterschutz für Alle!, erklärt: "Zeiten von Mutterschutz und Schwangerschaft müssen versichert sein – diskriminierungsfrei, geschlechtsneutral und rechtskonform. Damit erhält das Unisex-Prinzip ein längst überfälliges Update und setzt neue Standards für faire Versicherungsbedingungen in Deutschland." Wenn Betriebsausfallversicherungen Zeiten von Unfall, Krankheit oder Quarantäne abdecken, müssten sie ebenso Zeiten der Schwangerschaft und des Mutterschutzes versichern. "Das ergibt sich unmittelbar aus der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie."
Sie betont: "Zusätzliche oder erhöhte Beiträge, die ausschließlich von Frauen für diese Zeiten verlangt werden, verstoßen gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die Kosten der Mutterschaft müssen von der Solidargemeinschaft getragen werden und dürfen nicht gesondert auf Frauen umgelegt werden. Der EuGH hat dies bereits in seiner Unisex-Entscheidung eindeutig bestätigt."
Heinssen verweist außerdem auf die gesetzlichen Wartezeiten: "Die in § 197 VVG vorgesehene besondere Wartezeit von acht Monaten für Entbindung und für Krankentagegeld während des Mutterschutzes verletzt europäisches Recht. Die übliche Wartezeit von drei Monaten darf nicht zum Nachteil von Frauen verlängert werden. Eine solche Differenzierung verstößt klar gegen die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie."
Zum Verlauf der mündlichen Verhandlung berichtet sie gegenüber dem Verein "Mutterschutz für alle": "In der mündlichen Verhandlung betonte Richter am Landgericht Dr. Gietzelt, dass das europäische Recht hier eindeutige Vorgaben macht: Die Kosten von Schwangerschaft und Mutterschaft müssen von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen werden. Eine Risikokalkulation zulasten von Schwangeren oder Müttern ist diskriminierend und verletzt das europäische Gleichbehandlungsgebot."
Johanna Röh, Vorsitzende des Mutterschutz für Alle! e. V., sagt: "Private Krankenversicherungen haben über Jahre hinweg systematisch den Schutz von Frauen aus Betriebsausfallversicherungen ausgeschlossen, sobald es um Schwangerschaft und Mutterschutz ging. Dieser Ausschluss ist nach nationalem und europäischem Recht diskriminierend."
"Die Solidargemeinschaft muss die zusätzlichen Kosten tragen – nicht die einzelne Frau"
Die Tischlermeisterin betont: "Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen nicht als individuelles Risiko von Frauen gewertet werden. Frauen dürfen weder durch höhere Beiträge, durch gesonderte Zusatzbeiträge noch durch den Ausschluss von Leistungen belastet werden." Ihr abschließendes Fazit lautet: "Die Solidargemeinschaft muss die zusätzlichen Kosten tragen – nicht die einzelne Frau. Mutterschaft ist keine private Kostenstelle, sondern ein verfassungsrechtlich geschützter gesellschaftlicher Auftrag." Das Urteil aus Hannover setze hierfür einen wichtigen und überfälligen Maßstab. Der Anspruch sei klar, so Röh: "Solidarisch finanzierte Mutterschaftsleistungen für selbstständige Frauen sind der rechtlich gebotene Standard."
Das Urteil 6 O 103/24 ist am 13. November 2025 vom Landgericht Hannover verkündet worden. Es ist nicht rechtskräftig. Das bedeutet, dass es noch mit Rechtsmitteln wie Berufung oder Revision angefochten werden kann.
Quellen: Landgericht Hannover; Verein Mutterschutz für alle!
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Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
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