Foto: © Frank Ferring
HWK Trier | Februar 2025
Fabian Ferring hat "Bock auf Ausbeulen"
Der Fahrzeugfan und Kfz-Mechatroniker Fabian Ferring aus Trierweiler-Fusenich ist zweiter Bundessieger bei der Deutschen Meisterschaft im Handwerk geworden.
Ideal für Jugendliche mit ADHS sind altmodische Ausbilder, die so eine Art Vaterfigur werden, betonen Experten. (Foto: © goodluz/123RF.com)
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April 2016
Viele Handwerker bilden Azubis mit ADHS aus – häufig ohne es zu wissen. Das kann beide Seiten viel Kraft und Nerven kosten. Doch ADHSler können ein großer Gewinn für den Betrieb sein.
Wenn Sie für Ihren Handwerksbetrieb keinen Azubi finden, sollten Sie es mal mit einem Lehrling versuchen, der ADHS hat. Sie finden das bescheuert, weil Sie schon genug Probleme mit Ihren Azubis haben? Kann sein. Oder auch nicht! Wahrscheinlich haben Sie nämlich schon mal einen solchen "Hypie" ausgebildet, ohne es zu wissen. Denn im Handwerk gibt es viele Betroffene – darüber sind sich die Experten einig. Der Dachdecker gehört sogar zu den drei nichtakademischen Traumberufen von Jugendlichen, die unter an einer sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden. Die beiden anderen sind übrigens die Berufe Notfallsanitäter und Feuerwehrmann...
Das überrascht Dr. Wilfried Hehr nicht. "Handwerksberufe bieten viele Vorteile für Jugendliche mit ADHS", erklärt der Leiter des psychologischen Dienstes beim Berufsbildungswerk Rummelsberg. Sie sind häufig mit Bewegung verbunden und körperlich anstrengend, "das tut ADHSlern gut", sagt der Diplom-Psychologe. Das Berufsleben sei außerdem strukturierter als die Schule – ein weiterer Vorteil für Jugendliche mit ADHS.
Hehr kümmert sich in Rummelsberg um die ADHSler, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Sie bekommen dort – ähnlich wie zum Beispiel im Berufsbildungswerk Greifswald – eine besondere Förderung. In berufsvorbereitenden Maßnahmen werden die Betroffenen ein Jahr lang trainiert, lernen, wie man strukturiert arbeitet, Checklisten für seine Aufgaben anlegt und kontrolliert, ob die Arbeiten auch richtig erledigt wurden.
Das sind doch Selbstverständlichkeiten?! Nicht für Menschen mit ADHS! Deshalb, ganz ehrlich: Es kann auch eine ganz schöne Herausforderung sein, einen Lehrling mit ADHS auszubilden. Dazu kommt: Viele Jugendliche wissen inzwischen über ihre Störung Bescheid, verschweigen es aber bei der Bewerbung. Erschwerend kommt hinzu: Viele hoffen gegen den Rat ihrer Ärzte, dass sie in der Lehre ohne Medikamente auskommen. Die Folge: "Sie fallen häufig ohne ihre Medikamente auf die Nase", sagt Dr. Myriam Bea schonungslos. "Sie sind impulsiv und anstrengend."
Die Geschäftsführerin des Bundesverbandes ADHS-Deutschland glaubt trotzdem, dass die Ausbildung dieser Jugendlichen gelingen kann – wenn der Nachwuchs willig und der Ausbilder bereit ist, sich auf den ADHSler einzustellen. "Ideal für sie sind altmodische Ausbilder, die so eine Art Vaterfigur werden", betont Dr. Bea. "Und wenn das gelingt, können Handwerker einen hochloyalen und hochmotivierten Azubi bekommen, im besten Fall sogar einen Nachfolger für ihren Betrieb."
Das sieht der stellvertretende Vorsitzende von ADHS-Deutschland ähnlich. Viele Betroffene könnten sich leichter mit den Perspektiven in Ausbildung und Beruf anfreunden als mit der Aussicht, neun Jahre oder länger in Klassenzimmern gefangen zu sein, erklärt Diplom-Psychologe Dr. Johannes Streif: "Für sie ist das Werkzeug der bessere Schreibstift, der Arbeitsplatz der bessere Unterrichtsraum, der Meister der bessere Lehrer."
Magdalena Münstermann kann das bestätigen. Das Maschinenbauunternehmen im Münsterland hat vor einiger Zeit wieder einen Jugendlichen mit ADHS erfolgreich ausgebildet. Die Prokuristin war über die Störung informiert, der Jugendliche musste – wie alle anderen Bewerber – vorher ein Praktikum machen. "Wir müssen uns den Menschen ansehen, bevor wir uns entscheiden. Das gilt auch für Bewerber mit ADHS", betont Magdalena Münstermann, die Mitglied der Geschäftsleitung der Firma ist.
Die Probleme aus der Schulzeit tauchten im Betrieb kaum noch auf. Profitiert hat der Azubi dabei sicher von der klar strukturierten Ausbildung in dem Unternehmen, den regelmäßigen Feedback-Runden und einer Unternehmenskultur, die schon Azubis kleine Verantwortungsbereiche gibt und mit viel Lob und Anerkennung arbeitet. "Gerade Berufe, die viel Bewegung bieten, strukturiert sind und kleine Erfolgserlebnisse bringen, können so manche Schwäche kompensieren", betont die Unternehmerfrau: "Jeder, der will, hat eine Chance verdient."
Wer also den Verdacht hat, dass sein Lehrling betroffen ist, sollte sich zunächst einmal selbst informieren, daran mangelt es häufig, bedauert Dr. Streif. ADHS sei bisher kaum in das Bewusstsein von Berufsschullehrern, Ausbildungsleitern und Firmenchefs vorgedrungen: "Handwerksmeister und Personalchefs kennen meist nur schlechte Zeugnisse und schwierige Mitarbeiter." Dabei kann man sich heutzutage ohne großen Zeitaufwand informieren. Am schnellsten geht es im Internet – zum Beispiel auf der Seite von adhs-deutschland.de. Gute Tipps gibt es auch auf der Website stark-fuer-ausbildung.de, die eine Online-Version des Ausbilderhandbuchs enthält (siehe "Buchtipp").
Die Mühe kann sich lohnen, betont Dr. Hehr vom Berufsbildungswerk Rummelsberg. Zwei Drittel seiner Schützlinge finden am Ende eine Lehrstelle und schließen die Ausbildung erfolgreich ab: "Wenn man Menschen mit ADHS richtig behandelt, sind sie ein Gewinn für jedes Unternehmen!"
ADHS ist die am häufigsten diagnostizierte psychiatrische Störung im Kindes- und Jugendalter. ADHS bedeutet Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, wobei nicht alle Betroffenen hyperaktives Verhalten zeigen. Dann spricht man bisweilen auch von ADS. ADHS ist keine Modeerkrankung und tritt in allen Kulturen und Gesellschaften weltweit auf. Man geht davon aus, dass etwa sechs Prozent der Kinder- und Jugendlichen in Deutschland darunter leiden. Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen. ADHS ist eine Störung des Hirnstoffwechsels, die unter anderem mit Medikamenten gut behandelt werden kann, erklärt Dr. Streif: "ADHS-Medikamente sind keine Drogen und machen nicht süchtig, solange sie sachgerecht verschrieben und angewendet werden."
Auch Erwachsene können noch ADHS haben. Da die Störung biologisch angelegt ist, verschwindet sie am Ende der Kindheit nicht einfach. Durch das größere Maß an Selbstbestimmung, ist es für die Erwachsenen leichter, trotz ADHS zufrieden und erfolgreich zu sein. Experten gehen davon aus, dass 30 bis 50 Prozent der betroffenen Kinder auch im Erwachsenenalter noch deutliche Symptome zeigen, das sind schätzungsweise etwa zwei Millionen Erwachsene in Deutschland. Mehr Informationen finden Sie im Internet.
Die typischen Symptome zeigen sich in drei Bereichen: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Menschen mit ADHS können ihr Verhalten schwer kontrollieren. Sie tun sich schwer, ihre Aufmerksamkeit auf Reize und Aktivitäten zu richten, die nicht ihr Interesse wecken. Ihre Offenheit für Sinneseindrücke aller Art macht sie leicht ablenkbar.
"Es fällt ihnen schwer, unwichtige Reize herauszufiltern und auszublenden", heißt es im Ausbilderhandbuch, einem gemeinsamen Projekt der DIHK-Bildungs-GmbH und der Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk.
Sie sind empfindlich gegenüber äußeren Reizen und neigen zu emotionalen und impulsiven Reaktionen. Die Betroffenen müssen sich angesichts der alltäglichen Reizüberflutung einerseits bewusst ausklinken, um zur Ruhe zu kommen und leistungsfähig zu sein. Andererseits brauchen sie viele Reize, um konzentriert arbeiten zu können, schreiben die Autoren des Handbuchs, das für das Ausbildungspersonal in kleinen und mittleren Unternehmen entwickelt wurde: "Eine schwierige Gratwanderung, die eine Unterstützung seitens Eltern, Lehr- und betrieblichem Ausbildungspersonal erfordert."
Menschen mit ADHS haben auch Stärken. Sie sind häufig kreativ, spontan, hilfsbereit und humorvoll. Ist ihre Leidenschaft geweckt, können sie sehr hartnäckig und ausdauernd sein. Sind Kollegen und Freunde, Lehrer und Betreuer, Ausbilder und Vorgesetzte ehrlich und gerecht, sind ADHS-Betroffene meist ausgesprochen dankbare und loyale Mitarbeiter. (ulo)
Die Diplom-Psychologen Dr. Johannes Streif und Dr. Wilfried Hehr haben praktische Tipps für den Umgang mit Jugendlichen zusammengestellt, die ADHS haben.
Das Berufsbildungswerk (BBZ) Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern bietet ADHSlern – ähnlich wie zum Beispiel das Berufsbildungswerk Rummelsberg – eine besondere Förderung. Das ADHS-Fachteam dort besteht seit 2004, zu ihm gehören vier Sozialpädagogen. Die Förderung beginnt damit, dass die Teilnehmer zunächst einmal verstehen, was sich hinter ihrer Störung verbirgt, erklärt Martin Meklenburg, Leiter des ADHS-Fachteams. Sie setzen sich mit ihren speziellen Schwächen und besonderen Stärken auseinander, sie bekommen in speziellen Coachings gezeigt, wie man strukturiert arbeitet, Checklisten für seine Aufgaben anlegt und kontrolliert, ob die Arbeiten auch richtig erledigt wurden. Kurz gesagt: Es geht um die Stärkung von alltäglichen Kompetenzen wie Ordnung, Pünktlichkeit, Kritik-, Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit.
"Handwerksberufe bieten viele Vorteile für Jugendliche mit ADHS", erklärt Sozialpädagoge Meklenburg vom BBZ Greifswald. Sie sind häufig mit Bewegung verbunden und körperlich anstrengend. "Monotone Tätigkeiten und langes Stillsitzen sind dagegen Gift für ADHSler." Beliebt seien deshalb zum Beispiel Berufe in der Holz- und Metallverarbeitung, die Mädchen interessieren sich für eine Ausbildung als Maler und Lackierer oder in den Zweiradgewerken.
Das sind einige der praktischen Tipps die Mitarbeiter des ADHS-Fachtteam vom Berufsbildungswerk Greifswald für den Umgang mit den ADHS-Azubis bekommen:
Mehr zum ThemaBuchtipp: DIHK-Gesellschaft für Berufliche Bildung – Organisation zur Förderung der IHK-Weiterbildung mbH (Hrsg.), Ausbilderhandbuch. Stark für Ausbildung, W. Bertelsmann Verlag 2016, 29,90 Euro
Zu bestellen im VH-Buchshop bei Michael Sasse, Tel.: 0211/3 90 98-64 oder per E-Mail unter: sasse@verlagsanstalt-handwerk.de
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