Tischlermeisterin Johanna Röh hat einen Stein ins Rollen gebracht: Zum Thema Mutterschutz für Selbstständige fand heute eine Anhörung im Bundestag statt.

Selbstständige arbeiten oft bis kurz vor der Entbindung und auch nach der Geburt sind sie schnell wieder im Büro, auf der Baustelle, im Friseursalon oder in ihrer Praxis. (Foto: © Dmytro/123RF.com)

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Mutterschutz für Selbstständige: Anhörung im Bundestag

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Bei einer Anhörung im Bundestag zur Absicherung von schwangeren Selbstständigen waren sich Vertreter aller Fraktionen einig, dass dringend etwas passieren muss, damit Schwangerschaft nicht die Existenz bedroht. Das Anliegen sei eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", hieß es.

Beim Mutterschutz sollen angestellte und selbstständige Schwangere gleich behandelt werden. Dafür setzt sich Tischlermeisterin Johanna Röh seit ihrer Schwangerschaft ein und hat mit ihrer Initiative "Mutterschutz für alle" einen Nerv getroffen. Die Unternehmerin und inzwischen Mutter einer kleinen Tochter hat bundesweit tausende Mitstreiterinnen und Unterstützer für ihre Petition gefunden. Von der Tierärztin, über die Übersetzerin bis hin zur Friseurin: Für viele selbstständigen Frauen stellt eine Schwangerschaft eine Existenzbedrohung dar. Dass bei diesem Thema schnell etwas passieren muss, darüber waren sich alle geladenen Sachverständigen bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss (18. September) einig. Grundlage der Anhörung war ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion, in dem diese fordert, Schwangerschaft und Mutterschutz für Gründerinnen und Selbstständige zu erleichtern.

Tischlermeisterin Johanna Röh hat einen Stein ins Rollen gebracht: Beim Thema Mutterschutz für Selbstständige gab es bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss große Zustimmung. Foto: © HENNING SCHEFFEN PHOTOGRAPHYTischlermeisterin Johanna Röh hat einen Stein ins Rollen gebracht: Beim Thema Mutterschutz für Selbstständige gab es bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss große Zustimmung. Foto: © HENNING SCHEFFEN PHOTOGRAPHY

Und auch die Abgeordneten im Bundestagsausschuss bedankten sich unisono bei Tischlermeisterin Johanna Röh, dass sie mit ihrer Petition den Stein ins Rollen gebracht hat. Es gehe jetzt nicht mehr um das ob, sondern um das wie, hieß es da. Insbesondere Fragen der Finanzierung müssten noch geklärt werden. Das Thema sei, auch da war man sich einig, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Vorgeschlagen wird zum Beispiel die Finanzierung über eine Umlage für Mutterschaftsleistungen, in die alle Selbstständigen und Unternehmen einzahlen, oder aber aus Steuermitteln. 

Viele junge Frauen scheuen allein wegen dieser Ungleichheit davor zurück, sich selbstständig zu machen. Für Väter ist das alles kein Thema. Familie und berufliche Selbstentfaltung müssten aber geschlechtsunabhängig ermöglicht werden, sagt Röh. "Alles andere ist diskriminierend." Und: "Jede Schwangere muss die Möglichkeit haben, zu pausieren, wenn es notwendig ist, ohne wirtschaftliche Nachteile zu haben."

Momentan hätten Selbstständige nur die Möglichkeit sich über Krankengeld abzusichern, aber das sei kein geeignetes Instrument für Schwangerschaft und Mutterschutz. Bei einer Umfrage dazu hätten über 82,5 Prozent der selbstständigen Frauen gesagt, dass sie durch eine Schwangerschaft wirtschaftliche Nachteile hätten. 

Voll bezahlter Mutterschutz für Selbstständige

Röh fordert unter anderem eine Absicherung, die Lebenshaltungskosten und die Fixkosten schwangerer Selbstständiger auffängt. "Immer dann, wenn Bedarf da ist." Etwa, dass im Falle einer Krankschreibung aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden Krankentagegeld ab dem ersten Tag der Krankschreibung gezahlt wird. Auch dürfe es beim Krankengeld keine Abzüge geben. Das Krankengeld müsse auf der Grundlage der gezahlten Beträge und nicht auf der Grundlage des ausgefallenen Arbeitseinkommens berechnet werden.

Darüber hinaus sollten schwangere Selbständige nach Auffassung von Johanna Röh einen voll bezahlten Mutterschutz genießen. Zudem müsse ein System aus Betriebshelfern nach dem Vorbild der Landwirtschaft eingerichtet werden, um Betrieben, in denen die Arbeitskraft der schwangeren Unternehmerin fehle, unbürokratisch und kostenfrei zu helfen. Was allerdings im Handwerk angesichts der Vielzahl der Gewerke (130), der Meisterpflicht in vielen Berufen und des Fachkräftemangels nicht so einfach zu bewerkstelligen sein dürfte, wie in der Landwirtschaft. 

Tierärztin Dr. Maren Püschel vom Bundesverband der Freien Berufe e. V. betonte im Bundestagsausschuss, dass es eine unbürokratische Lösung geben müsse, über alle Frauen dann auch früh informiert werden, damit sie erst gar nicht vor einer Selbstständigkeit zurückschrecken. Püschel fordert neben dem bezahlten Mutterschutz eine Sicherstellung der Betreuungsmöglichkeiten nach der Geburt und die steuerliche Absetzbarkeit der Betreuungskosten. Vera Dietrich vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) rechnete vor, dass Selbstständige im Durchschnitt 20 Prozent höhere Beiträge an die Sozialversicherung abführten als Angestellte. "Wir brauchen eine faire Beitragsbemessung in der Sozialversicherung", forderte Dietrich. Auch Anne Dohle, Referatsleiterin der Abteilung Soziale Sicherung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), betonte, dass eine Schwangerschaft nicht länger eine existenzielle Bedrohung für Firmeninhaberinnen sein dürfe.

Handwerkspräsident Jörg Dittrich unterstützt das Anliegen

ZDH-Präsident Jörg Dittrich erklärte angesichts der Anhörung im Bundestagsausschuss: "Frauen in Handwerk und Wirtschaft müssen sichtbarer werden und stärker gefördert werden, um Klischees ab- und Vorbilder aufzubauen. Dies schließt eine stärkere Unterstützung von Frauen auf dem Weg zur Selbstständigkeit ein, ganz besonders in Zeiten der Familiengründung." Das Ziel, Beruf und Familie besser vereinbaren zu können, müsse weibliche Selbstständige einschließen. Das Handwerk unterstütze die Diskussion mit konkreten Vorschlägen. Diese sind:

  • Bestehende Regelungen zum Mutterschutz konzentrieren sich bislang fast ausschließlich auf Arbeitnehmerinnen, nicht auf Selbstständige. Unternehmerinnen müssen daher noch deutlich stärker über ihre Absicherungsmöglichkeiten durch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer informiert werden.
  • Bereits bestehende Beratungsangebote müssten weiter ausgebaut und in einer zentralen Anlaufstelle für schwangere Unternehmerinnen gebündelt werden.
  • Die steuerlichen Höchstgrenzen, bis zu denen erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten steuerlich abzugsfähig sind, müssten erhöht werden. Seit 2012 ist die Höchstgrenze von 4.000 Euro pro Kind nicht angepasst worden. "Dabei kann mit der Dynamisierung dieser Höchstgrenze eine effektive finanzielle Entlastung vorgenommen werden, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärkt", so Dittrich.
  • Mithilfe zusätzlicher Anreize, wie einer freiwilligen Höherversicherung oder höheren Hinzuverdienstgrenzen beim Elterngeld sollen Maßnahmen geschaffen werden, die die soziale Absicherung schwangerer Selbstständiger stärken.
  • Zudem brauche es finanzielle Instrumente, um Unternehmerinnen vor und nach der Geburt so in der Betriebsführung zu unterstützen, dass keine Einkommensverluste entstehen. Die Betriebshilfe der landwirtschaftlichen Krankenversicherung könnte als Blaupause genutzt werden, um angepasste Modelle für andere Wirtschaftsbereiche wie etwa das Handwerk zu entwickeln.
  • Das von der Bundesregierung geplante Pilotprojekt zur Einbindung des Senior Expert Service (SES) weise hier die richtige Richtung, so der ZDH. 

Wenn man möchte, dass junge Frauen das Wagnis einer Selbstständigkeit eingehen und als Führungskräfte Verantwortung für einen Betrieb übernehmen, brauchen sie die Sicherheit, dass sich Beruf und Familie vereinbaren lassen. Die Bundesregierung sei daher gefordert, den konkreten Unterstützungsbedarf von Unternehmerinnen in allen Wirtschaftsbereichen zu erfassen, so Dittrich weiter, "um tragfähige Lösungsansätze zu entwickeln, die die Absicherung während der Schwangerschaft und nach der Geburt für weibliche Selbstständige verbessern".

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Text: / handwerksblatt.de