Eine Pflicht zur innerbetrieblichen Klärung hat der Whistleblower dann nicht, wenn keine Abhilfe zu erwarten ist.

Eine Pflicht zur innerbetrieblichen Klärung hat der Hinweisgeber – auf Englisch Whistleblower genannt – dann nicht, wenn keine Abhilfe zu erwarten ist. (Foto: © najmi9590 /123RF.com)

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Whistleblowing ist kein Kündigungsgrund

Zeigt ein Beschäftigter Unregelmäßigkeiten seiner Firma an, darf er deshalb nicht gekündigt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Umstände den Arbeitgeber betreffen und eine Lösung im Betrieb unwahrscheinlich ist, sagt ein aktuelles Urteil.

Erstattet ein Arbeitnehmer bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Unregelmäßigkeiten in seinem Betrieb, ist dies für sich genommen kein Kündigungsgrund. In besonderen Fällen kann das Arbeitsverhältnis jedoch mit einer Abfindung beendet werden, hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschieden.

Der Fall

Die stellvertretende Vorsitzende eines Vereins, die auch als Koordinatorin arbeitet, erstattete Strafanzeige. Der Grund war finanzielles Fehlverhalten: Sie fand über 700 Amazon-Bestellungen der ersten Vorsitzenden, die sie nicht mit dem Vereinszweck verbinden konnte.

Daraufhin erhielt sie vom Verein eine fristlose und eine ordentliche Kündigung. Der Arbeitgeber bot ihr eine Abfindung an. Doch die Mitarbeiterin wehrte sich und erhob Kündigungsschutzklage.

Das Urteil

Die Kündigungen waren unwirksam, entschied das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern. Habe der Arbeitgeber sich selbst strafbar gemacht, begehe ein Beschäftigter, der die Staatsanwaltschaft einschaltet, in der Regel keine Pflichtverletzung.

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Dabei stellte das Gericht folgende Grundsätze auf: Die Strafanzeige darf keine unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers sein. Eigentlich sollte das strafbare Verhalten entweder dem Vorgesetzten oder der zuständigen internen Stelle gemeldet werden. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Arbeitgeber selbst die Straftaten begangen hat. Eine Pflicht zur innerbetrieblichen Klärung hat der Arbeitnehmer dann nicht, wenn keine Abhilfe zu erwarten ist. Unter diesen Voraussetzungen sei die Kündigung unwirksam. 

Abfindung bei besonderen Fällen

Laut Gericht lagen hier alle diese Voraussetzungen vor. So musste die Arbeitnehmerin gerade deshalb keine interne Klärung bemühen, weil der Vorsitzende sich hier unter Umständen selbst strafbar gemacht hatte.

Da das Verhältnis der Beteiligten durch persönliche Feindschaft und Machtkampf geprägt war, löste das Gericht das Arbeitsverhältnis nach § 9 Kündigungsschutzgesetz gegen eine Abfindung von 9.000 Euro auf. Diese Auflösung können sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber beantragen, wenn die Kündigung sich im Prozess als unwirksam herausstellt, aber Gründe vorliegen, die "eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lassen".

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15. August 2023, Az. 5 Sa 172/22

Praxistipp

"Durch das neue Hinweisgeberschutzgesetz wäre es in diesem Falle wahrscheinlich nicht zur Kündigung gekommen, denn dieses Gesetz ist genau auf solche Konstellationen zugeschnitten", erklärt der Fachanwalt für Arbeitsrecht Volker Görzel. "Aber auch ohne dieses Gesetz galt, dass Arbeitnehmer keine Pflichtverletzung begehen, wenn sie bei ausreichender Tatsachengrundlage eine Anzeige gegen den Arbeitgeber erstatten, wenn dies eine angemessene Reaktion darstellt."

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Text: / handwerksblatt.de

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