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Chemnitz ist Europäische Kulturhauptstadt 2025! Im Bild zu sehen: die Stadthalle sowie das Congress Hotel in der Innenstadt.

Chemnitz ist Europäische Kulturhauptstadt 2025! Im Bild zu sehen: die Stadthalle sowie das Congress Hotel in der Innenstadt. (Foto: © Ernesto Uhlmann)

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Chemnitz – ein attraktives Reiseziel (nicht nur) in diesem Sommer

Mit pfiffigen Ideen und vielen Innovationen präsentiert sich die Europäische Kulturhauptstadt einem breiten Publikum.

Kulturhauptstadt Chemnitz? Das schien zunächst ein Widerspruch. Einst eine kleine Handwerkerstadt, entwickelte sich Chemnitz im Lauf der Zeit zu einer industriellen Hochburg und damit zu einer reichen und modernen Stadt.

In Stadtteilen wie dem Kaßberg, einem der größten zusammenhängenden Jugendstil- und Gründerzeitzentren Europas, sieht man heute noch, wie Chemnitz Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner Textilindustrie sowie dem Maschinen- und Fahrzeugbau prosperierte und enormes Kapital erzeugte. Hier wohnten die Industriellen in dekorativen Villen, deren Fassaden auch heute noch ganze Straßenzüge prägen. Zur DDR-Zeit umbenannt in Karl-Marx-Stadt und umgebaut nach den Vorstellungen sozialistischer Moderne, mit breiten Straßen, die Honeckers Polit-Paraden dienten, verlor die Stadt nach der Wende nicht nur fast ein Viertel ihrer Bevölkerung, sondern auch eine Menge Ansehen. Das Negativ-Image gipfelte 2018, als nach einem Messerangriff mit Todesfolge ein rechter Mob durch die Straßen fegte und Jagd auf "alles Ausländische" machte.

Industriekultur mit der historischen Markthalle und der Fluss Chemnitz. Foto: © Ernesto UhlmannIndustriekultur mit der historischen Markthalle und der Fluss Chemnitz. Foto: © Ernesto Uhlmann

Doch sieben Jahre später vollzieht die mit 250.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Sachsens eine radikale Kehrtwende. Als Europäische Kulturhauptstadt zeigt sie nicht nur den benachbarten großen Schwestern Leipzig und Dresden, was eine kulturelle Harke ist. Schon der brillante Slogan "C the Unseen" verrät, dass hier, am Nordrand des Erzgebirges, die Dinge in mindestens doppelter Bedeutung spannend sind. C, das Chemnitzer Kfz-Kennzeichen, klingt, englisch gesprochen, wie "see". Also lautet das Motto einerseits "Chemnitz die Ungesehene" und fordert andererseits zum "Sehen" auf. Und zu sehen gibt es viel in der Stadt, die sich besonders in diesem Jahr als "lebendige, gastfreundliche und überraschende Region im Osten Deutschlands, mitten in Europa" verstanden wissen will. Der Einfallsreichtum der zahlreichen Akteure reicht von Karaoke- und Garagenkonzerten über Storytelling, Pflanzaktionen und Plattenpicknicks bis hin zu Jugendaustauschen und vielen weiteren, auch kulinarischen Projekten.

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Wo Tradition und Innovation aufeinandertreffen

Lars Neubert in seinem Atelier beim Schnitzen eines Bergmanns. Foto: © Cornelia GanittaLars Neubert in seinem Atelier beim Schnitzen eines Bergmanns. Foto: © Cornelia Ganitta

Makerhubs sind Orte, an denen Gestalter, Handwerker, Unternehmer, der Fachkräftenachwuchs von morgen und Macher aus aller Welt aufeinandertreffen, um voneinander zu lernen und gemeinsam Neues zu erschaffen. Als solche präsentieren sich acht Gemeinden rund um Chemnitz, darunter Augustusburg, Lößnitz, Zwönitz und Schneeberg. Das romantische Städtchen mit Kopfsteinpflaster und "Gardinenstübl'" ist für seine traditionelle Holzschnitzkunst (Bergmann und Schwibbogen) bekannt. Hier kann man einem der letzten Handschuhmacher Deutschlands über die Schulter schauen und Kurse bei einem Holzschnitzer belegen (s. Kasten). In einem neuen Showroom werden überdies Produkte der Fakultät für Angewandte Kunst angeboten, die in Schneeberg die Studiengänge Holzgestaltung, Textilkunst und Modedesign unter einem Dach vereint.

Die spätgotische St. Wolfgangskirche lockt mit einem doppelflügeligen Wandelaltar aus der Wittenberger Cranach-Werkstatt. Auf dem Vorplatz steht die Skulptur "Coin Stack II" von Sean Scully. Der aus 40 runden Scheiben bestehende Münzstapel nimmt Bezug auf den Vater des irischen Bildhauers, der als Friseur arbeitete und nach Feierabend die Trinkgelder stapelte, um das Taschengeld für seine Kinder anzusparen. Die 2,40 Meter hohe Skulptur ist angelehnt an die legendäre Geschichte der erfolgreichen Arbeitskämpfe der Schneeberger Bergleute in den Jahren 1496 und 1498. Nach 25 Jahren intensiven Silberabbaus waren die Vorkommen nahezu erschöpft und es bedeutete größere Anstrengungen, sie auszubeuten. Um die Profite hoch zu halten, beabsichtigen die Unternehmer, den Arbeitern einen Groschen vom Wochenlohn "zu brechen". Die stolzen Bergleute drängten das Vorhaben erfolgreich zurück, weshalb man heute mit einem Augenzwinkern vom vermutlich ersten Arbeiterstreik der frühen Neuzeit sprechen kann.

Glückauf mit lila Wegen

Sean Scullys Münzstapel vor der St. Wolfgangskirche in Schneeberg. Foto: © Cornelia GanittaSean Scullys Münzstapel vor der St. Wolfgangskirche in Schneeberg. Foto: © Cornelia Ganitta

Scullys Münzstapel ist Teil des "Purple Path", dem größten Projekt der Kulturhauptstadt. Mitte April wurde der lila Skulpturenweg, der 38 Kommunen verbindet und dessen Name der farblichen Kennung von Fernwanderwegen entlehnt ist, eröffnet. Werke von über 60 Künstlerinnen und Künstlern – neben vielen regionalen auch internationale Größen wie die 2024 verstorbene Rebecca Horn, Jeppe Hein, Daniel Buren oder James Turrell – finden sich auf Industriebrachen, an Bahnhöfen, Flussufern oder im stillen Wasser eines Mühlengrabens.

Auch der Wuppertaler Künstler Tony Cragg ist vertreten. In Aue-Bad Schlema, nur wenige Kilometer von Schneeberg entfernt, steht seine 3,80 Meter hohe Bronzeskulptur "Stack" im heutigen Kurpark, wo sie an verwitterte Felsen oder geologische Modelle erinnert. Hier, in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Wismut-Schachtes 7.0, wurde ab 1947 aus bis zu 278 Metern Tiefe Uranerz für die Sowjetunion gefördert. Der Rohstoff aus Sachsen deckte im Atomzeitalter 60 Prozent des Uranbedarfs für Bomben und Atomkraft. Später wurde Aue-Bad Schlema zum Kurort und damit zum Symbol für einen gelungenen Strukturwandel. Einen wohlgemerkt, denn auch Chemnitz steht für einen immensen Strukturwandel. So sollen in der industriellen Blütezeit zwischen 300 und 400 rauchende Schlote das Stadtbild geprägt haben, was der Stadt den Beinamen "Sächsisches Manchester" einbrachte. Davon ist heute keine Rede mehr. Mit den neuen Museen, den sanierten Baudenkmälern, der Oper und der Technischen Universität ist der Wandel längst vollzogen. Der aktuelle Titel "Kulturhauptstadt Europas" setzt dem Ganzen nur noch die Krone auf.

Impressionen: Chemnitz als Europäische Kulturhauptstadt 2025

Bildergalerie

Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Der brillante Slogan "C the Unseen" verrät, dass hier, am Nordrand des Erzgebirges, die Dinge in mindestens doppelter Bedeutung spannend sind. (Foto: © Peter Rossner )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Blick über den Stadtteil Sonnenberg. (Foto: © Ernesto Uhlmann )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Das Stadtbad Chemnitz. (Foto: © Ernesto Uhlmann )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Die Makerhubs sind Orte, an denen Macher aus aller Welt aufeinandertreffen. (Foto: © Johannes Richter )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
(Foto: © Johannes Richter )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Cranach-Altar in der St. Wolfgangskirche in Schneeberg. (Foto: © Cornelia Ganitta )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Die 3,80 Meter hohe Bronzeskulptur "Stack" von Tony Cragg. (Foto: © Cornelia Ganitta )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Jugendstilviertel Kaßberg. (Foto: © Cornelia Ganitta )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Wirkbau, ehemaliger Industriekomplex in Altchemnitz. (Foto: © Ernesto Uhlmann )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Karl Marx-Denkmal. (Foto: © Cornelia Ganitta )
Chemnitz: Europäische Kulturhauptstadt 2025
Infos vor Ort zum Programm gibt es in der Hartmannfabrik. (Foto: © Peter Rossner )

Eine Auswahl der Kulturhauptstadt-ProjekteNoch bis zum 29. Juni ist im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz (Stefan-Heym-Platz 1), dem ehemaligen Kaufhaus Schocken, die Ausstellung "Silberglanz & Kumpeltod" zu sehen. Der Bergbau prägte die Wirtschaft und Kultur des Erzgebirges an der sächsisch-tschechischen Grenze (ein Grund auch, weshalb die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří 2019 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurde). "Prägte" im doppelten Sinne, denn aus dem abgebauten und aufbereiteten Silbererz wurden Münzen hergestellt, die die Grundlage für den Reichtum des Landes bildeten. Die sehr informative und gut aufbereitete Ausstellung behandelt u.a. die Themen Bergbau-Know-how, Auswirkungen auf Mensch und Natur sowie Konflikte durch den Bergbau. Infos gibt es unter smac.sachsen.de/bergbau.

Am 4. Mai (bis 1. Februar 2026) wurde im Schlossberg-Museum (Schlossberg 12) die Ausstellung "Die neue Stadt - Chemnitz als Karl-Marx-Stadt" eröffnet. Sie verfolgt die nur wenige Jahrzehnte (von 1953 bis 1990) währende, aber intensive und folgenreiche Epoche als "Sozialistische Musterstadt" mit besonderem Fokus auf die Entwicklungen im Städtebau und in der Architektur. Neben der Welt der Plattenbauten und Hochstraßen lassen Leucht-Reklamen von Tanzbars, Platten aus Ungarn, Retro-Möbel, Mode, Geschirr und Kinderspielzeug sowie der Gegenstände mehr, den Alltag im "real existierenden Sozialismus" lebendig werden.

Auch die neu gestalteten Villen Esche und Schmidt-Rottluff lohnen den Besuch. Erstere wurde von dem belgischen Architekten Henry van de Velde 1902/1903 als "Gesamtkunstwerk" (er war zuständig für Architektur und Inneneinrichtung) für die Familie des Strumpfwaren-Fabrikanten Moritz Samuel Esche erbaut. Bei Letzterem handelt es sich um das Geburtshaus des Brücke-Künstlers Karl Schmidt-Rottluff. Es wurde erst am 6. April seiner Bestimmung als Museum übergeben. Weitere Ausstellungen und Museen gibt es auf der Website der Kunstsammlungen Chemnitz.

Seit dem 9. Mai sind im Garagen-Campus (Zwickauer Str. 164) Fotoporträts von Chemnitzer/-innen, kuriose Fundstücke, Video- und Tonaufnahmen, Installationen und Objekte sowie getunte Fahrzeuge ausgestellt. Sie vermitteln einen ganzheitlichen Blick auf das Projekt "#3000Garagen", das in Anlehnung an eine alte DDR-Gewohnheit das "Leben in der Garage" aufgreift. Auch Garagenhof-Konzerte finden statt. Zeiten und Orte sind – wie übrigens alle relevanten Informationen zur Kulturhauptstadtunter chemnitz2025.de einsehbar.

Anreise
Chemnitz ist mit dem Zug von Berlin aus in zwei Stunden und von Leipzig aus in einer Stunde zu erreichen. Informationen zum Kulturhauptstadtprogramm vor Ort gibt es in der Hartmannfabrik (Fabrikstraße 11).

Unterkunft
Wer noch einen Hauch von DDR erleben möchte, kommt in dem in den 70er Jahren errichteten Congress Hotel (Brückenstraße 19) auf seine Kosten. Mit 97 Metern Höhe und 26 Obergeschossen ist es das höchste Gebäude in Chemnitz. Direkt neben der geschichtsträchtigen Stadthalle gelegen, bietet das ehemalige Interhotel "Kongreß" aus den oberen Etagen einen herrlichen Blick über die Stadt.

Kreativ-Workshops
Lars Neubert bietet in seiner Schneeberger Werkstatt (Markt 16) Schnupper-, Tages- und Intensivkurse rund um das Arbeiten mit Holz an. Infos unter: holzkunst-erleben.de.
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Text: / handwerksblatt.de

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