Auf der Suche nach didaktischen Konzepten für die virtuelle Welt
AR und VR halten Einzug in die berufliche Bildung. Lehrkräfte der Berufsschulen und ÜBA sollten darauf vorbereitet sein. Das Institut für Berufliche Lehrerbildung der FH Münster forscht auch zur Didaktik der virtuellen Welt.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Augmented Reality und Virtual Reality im Handwerk
Lehrkräfte in der beruflichen Bildung sollten stets auf dem Laufenden sein, denn die technologische Entwicklung schreitet in vielen Berufen mit großen Schritten voran. Als Beispiel führt Professor Dr. Marc Krüger die Industriemechatroniker an. "Einige Firmen dokumentieren technische Anlagen inzwischen so, dass ihre Monteure sie mit einer AR-Brille instand setzen können", sagt der gelernte Elektroniker und Berufsschullehrer, der seit fünfeinhalb Jahren als Technikdidaktiker an der FH Münster lehrt und forscht.
Müssen nun auch alle Lehrkräfte an den berufsbildenden Schulen und Dozenten der überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA) ihren Unterricht mit Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) gestaltet? Krüger verneint. "Das sollte für jeden Ausbildungsberuf einzeln bewertet werden", meint der Wissenschaftler. Dabei seien zwei Faktoren zu berücksichtigen – zum einen, ob AR und VR bereits im jeweiligen Beruf zum Einsatz kommen; zum anderen, ob es bei der Gestaltung des Lehrprozesses helfen kann.
Lernanwendungen in AR und VR
Die Mitarbeiter am Institut für Berufliche Lehrerbildung (IBL) der FH Münster verschaffen sich zurzeit einen Überblick. Zu den ersten Schritten gehörte es, die vorhandenen Lernmedien unter die Lupe zu nehmen. "Die Lernanwendungen in VR und in AR unterscheiden sich sichtbar", bilanziert Professor Krüger.
VR: Abbildung von Handlungsprozessen
Über Virtual Reality werden vor allem ganze Stränge beruflicher Handlungsprozesse abgebildet. Der Forscher nennt zwei Beispiele aus dem Kfz-Handwerk. So können die Auszubildenden in VR lernen, wie sie das Getriebe vom Motor lösen, um an die Kupplung zu kommen, oder wie sie eine Fahrzeugkarosserie lackieren. "Natürlich ist die berufliche Praxis komplexer, aber in VR lassen sich viele Arbeitsschritte schon vorher üben." An den Lernanwendungen in Virtual Reality bemängelt Krüger allerdings, dass die Wissensvermittlung noch "ein bisschen dünn" ausfällt.
AR: Vermittlung von Wissen
Anstelle von Handlungsprozessen steht bei den Lernanwendungen in Augmented Reality eher die Wissensvermittlung im Vordergrund. "Auf einer AR-Brille werden den Nutzern Informationen oder Erklärungen eingeblendet, mit denen sie einen Zuwachs an Wissen erlangen", so der Wissenschaftler der FH Münster. Wer beispielsweise durch ein historisches Gebäude gehe, an dessen Wände QR-Codes platziert sind, könne über die AR-Brille erfahren, wie sich der Putz zusammensetzt und mit welchen handwerklichen Techniken das Material verarbeitet worden ist.
Eine Lernanwendung, die Wissens- und Handlungsprozesse in AR miteinander kombiniert, sei derzeit die Ausnahme. In VR sei sie noch gar nicht zu finden.
Materialien für den Unterricht
Verlage mit technischer Ausrichtung wie Christiani oder Festo seien bereits auf den Zug, Lernmittel für eine Lernanwendung mit AR und VR zu erstellen, aufgesprungen. Dass die Berufsschullehrkräfte bald nachziehen und eigene Unterrichtsmaterialien für den virtuellen Lernraum erarbeiten, sieht Professor Dr. Marc Krüger derzeit eher nicht. Seine Skepsis begründet der Wissenschaftler mit den Erfahrungen aus den frühen 2000er-Jahren. "Die Entwicklung webbasierter Lernsoftware von Berufsschullehrkräften lieferte bei einem hohen Aufwand ernüchternde Ergebnisse. Es zeigt sich, dass hier die Verlage ihre Kompetenzen einbringen müssen."
Allerdings sei die Produktion von Lernmitteln für AR und VR auch für die Verlage kein Selbstläufer. "Inhaltlich und technisch wird sehr viel Know-how verlangt, welches die Verlage derzeit noch ausbauen. Da wird sich in den kommenden Jahren noch einiges entwickeln", prognostiziert Krüger, "Die AR- und VR-Lernmedien werden anspruchsvoller werden."
AR-Lernmedien fürs Handwerk
Ziel wird es auch sein, eine Didaktik der virtuellen Welt zu entwickeln. Anregungen dazu könnte das Förderprojekt "ARihA" liefern, bei dem das Institut für Berufliche Lehrerbildung der FH Münster der Handwerkskammer für Unterfranken zuarbeitet. "Für die überbetrieblichen Lehrgänge in deren Bildungszentrum in Schweinfurt werden AR-Lernmedien entwickelt", erklärt Professor Dr. Marc Krüger. Hierbei erarbeitet er mit seinem Team ein didaktisch-methodisches Konzept, welches unterstützen soll, AR-Lernmedien mit einem didaktischen Mehrwert zu versehen. Nach Abschluss des Projektes wird dieses didaktisch-methodische Konzept auch anderen Handwerkskammern zur Verfügung gestellt.
Projekt "ARihA" Das Projekt "Augmented Reality in der handwerklichen Ausbildung" (ARihA) ist Teil des Sonderprogramms zur Digitalisierung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten. Dabei soll erprobt werden, wie die AR-Technologie im Handwerk eingesetzt und in den Lehrplänen der überbetrieblichen Ausbildung verankert werden kann. Ziel ist es, aus den Ergebnissen ein Vorgehensmodell zu erarbeiten, welches die AR-Technologie Gewerke übergreifend und bundesweit in die Handwerksausbildung implementiert. Die Laufzeit des vom Bundesbildungsministerium geförderten Projekts ARihA endet im Juni 2023. Eine Übersicht weiterer Förderprojekte finden Sie im Online-Artikel "AR dürfte dem Handwerk zunächst die größten Chancen bieten" auf handwerksblatt.de, der zum Themen-Special "Augmented Reality und Virtual Reality im Handwerk" gehört.
Die Forscher verfolgen dabei auch den so genannten Entwurfsmuster-Ansatz. "Wir suchen in bestehenden AR-Lernmedien nach bewährten didaktischen Konzepten, die sich von einem auf andere Ausbildungsberufe übertragen lassen", verdeutlicht Professor Dr. Marc Krüger. Mit der von der Handwerkskammer für Unterfranken entwickelten Lichtwand für Kfz-Mechatroniker gebe es bereits einen Prototypen. "Das dortige Konzept für die Fehlersuche in der Beleuchtungsanlage eines Autos ließe sich auf die Fehlersuche in einer klassischen Hausinstallation transferieren."
Unterrichten im virtuellen Raum
Zum Forschungsgebiet des IBL zählt auch das Unterrichten im virtuellen Raum. Hierbei wollen die Forscher zunächst vergleichen, wie sich die Präsenz in VR von der Teilnahme an einer Videokonferenz unterscheidet. "In Tools wie Teams oder Zoom sieht man zwar die Mimik und die Gestik, aber alle Teilnehmer sind nur als Kacheln auf dem Bildschirm angeordnet", bemängelt Krüger die daraus resultierende "Enträumlichung".
Demgegenüber sei eine "Räumlichkeit" in der VR-Welt gegeben. Als Manko des virtuellen Raums macht der Wissenschaftler jedoch aus, dass die Avatare derzeit noch keine Emotionen zeigen könnten. Damit würden wichtige Informationen in der Kommunikation fehlen. Dieses Defizit lasse sich jedoch leicht beheben. "Als die SMS aufkam, haben sich die Menschen mit Emojis beholfen. Darüber hinaus bahnen sich technischen Weiterentwicklungen an, die die Mimik der Person über die VR-Brille erfassen und auf den Avatar übertragen."
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Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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