Europarichter segnen Bau-Sozialkassen ab
Die allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Baugewerbes und sein Sozialkassensystem verstoßen nicht gegen das Menschenrecht auf Vereinigungsfreiheit.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Heftige Proteste gegen Soka-Bau-Abgabe
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das System der Sozialkassen im deutschen Baugewerbe am 2. Juni 2016 bestätigt.
Der Fall: Geklagt hatte die Firma Geotech Kancev GmbH aus Castrop-Rauxel, die inzwischen Insolvenz anmelden musste. Das Geotechnikunternehmen hatte sich dagegen gewehrt, in die Sozialkassen des Baugewerbes (Soka-Bau) einzahlen zu müssen. Es argumentierte damit, dass es kein Unternehmen der Baubranche sei und auch keinem der – für den Abschluss der Bau-Tarifverträge verantwortlichen – Arbeitgeberverbände angehöre. Die Allgemeinverbindlicherklärung des Bau-Tarifvertrags verletze es in seiner Vereinigungsfreiheit. Damit war es vor deutschen Gerichten erfolglos geblieben.
Das Urteil: Der EGMR erklärte, die aus dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag folgende Soka-Beitragspflicht verletze nicht das Menschenrecht auf Vereinigungsfreiheit. Die Beitragspflicht kann laut Urteil zwar als Anreiz gesehen werden, Mitglied zu werden, um Einfluss auf die Aktivitäten der Sozialkassen zu nehmen. Dieser Anreiz sei aber zu vage, um die Vereinigungsfreiheit im Kern zu berühren. Die Beitragspflicht würde durch die Auszahlungsansprüche gegen die Soka-Bau wieder ausgeglichen. Auch das Recht auf Eigentum werde nicht verletzt, denn der Eingriff sei verhältnismäßig und durch das öffentliche Interesse gedeckt, die Arbeitnehmer sozial abzusichern.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 2. Juni 2016, Az.: 23646/09
Hintergrund: Die Soka-Bau ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifparteien der Bauwirtschaft (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt). Aufgaben der Soka-Bau sind die Finanzierung von Urlaubsgeldern, die Bezuschussung der Berufsausbildung, betriebliche Altersvorsorge und neuerdings auch die Kontrolle der Mindestlöhne. Bilanzsumme 2014: Rund 6,627 Mrd. Euro. Grundlage der Beitragspflicht ist der Tarifvertrag des Baugewerbes, der auf Antrag der Tarifpartner vom Bundesarbeitsministerium jedes Jahr neu für allgemeinverbindlich erklärt wird. Der Beitragssatz liegt je nach Bundesland zwischen 17,2 und 26,55 Prozent der Bruttolohnsumme, zahlbar bis zu vier Jahre rückwirkend bei zwölf Prozent Verzugszinsen.
Besonders oft gibt es Krach zwischen der Soka-Bau und Betrieben der baunahen Gewerke wegen ihrer Zuordnung zum Baugewerbe. Das ist für die Unternehmen deshalb so wichtig, weil sich danach entscheidet, ob sie Beiträge an die Soka-Bau zahlen müssen oder nicht. Die Bauwirtschaft ordnet in ihren Tarifverträgen die Betriebe danach ein, ob deren überwiegende Arbeit im Bauhaupt- oder Baunebengewerbe anfällt. "Das Bauhauptgewerbe definiert den fachlichen Geltungsbereich seiner Tarifverträge so, dass gezielt auch baunahe Dienstleistungserbringer anderer Gewerke von den Tarifverträgen erfasst und somit zur Kasse gebeten werden können", kritisiert der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke und geht deshalb mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das seit 2014 geltende Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vor. Nach Ansicht des Verbandes verstoßen einzelne Regelungen darin gegen die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit.
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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