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HWK Münster | Dezember 2025
Zweiter Red Dot Award für Jutta Ulland
Die bereits schon mehrfach prämierte Gold- und Silberschmiedemeisterin Jutta Ulland aus Ahaus hat den Red Dot Award 2025 erhalten.
Von einem Stützpunkt fahren die Teams mit einem Firmenfahrzeug zum Einsatzort, den der Arbeitgeber vorgibt. (Foto: © welcomia/123RF.com)
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Arbeitszeit erfassen - aber wie? - Themen-Specials
Dezember 2025
Bestimmt der Chef, dass Mitarbeiter sich an einem Stützpunkt sammeln, um von dort aus gemeinsam zur Baustelle zu fahren, kann diese Fahrt als Arbeitszeit gelten. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden.
Am Bau gibt es das nicht selten: Mitarbeiter sammeln sich auf Geheiß des Chefs an einem Stützpunkt, um gemeinsam mit einem Firmenfahrzeug samt Baumaterial zur Baustelle und zurückzufahren. Diese Fahrten können Arbeitszeit im Sinne des Art. 2 der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 sein, stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) jetzt klar.
Wirtschaftsverbände erwarten, dass die Entscheidung weitreichende Folgen bei der betrieblichen Kalkulation und der Personaleinsatzplanung haben wird, wenn Reisezeiten bei der Einhaltung der Höchstarbeitszeiten zu berücksichtigen sind.
Das spanische Unternehmen Vaersa, ein öffentliches Unternehmen der Region Valencia, übernimmt Naturschutzarbeiten. Die Beschäftigten arbeiten in 15 Teams mit jeweils vier Personen. Sie haben keinen festen Einsatzort, sondern fahren in unterschiedliche kleine Naturschutzgebiete. Der Arbeitgeber hat einzelne Stützpunkte festgelegt. Dort sollen sich die Beschäftigten jeden Morgen um 8 Uhr selbstständig einfinden. Von diesen Stützpunkten fahren die Teams mit einem Firmenfahrzeug, das ein Teammitglied steuert und in dem auch das Arbeitsmaterial liegt, zum Einsatzort, den der Arbeitgeber vorgibt. Dort endet die Arbeitszeit um 15 Uhr. Anschließend fahren die Beschäftigten mit dem Firmenfahrzeug zurück zum Stützpunkt und danach eigenständig nach Hause.
In den Arbeitsverträgen der im Bereich Biodiversität beschäftigten Mitarbeiter steht, dass die Fahrzeit zwischen Stützpunkt und Mikroschutzgebiet grundsätzlich nicht als Arbeitszeit gilt. In der Praxis rechnet der Arbeitgeber aber die Hinfahrt vom Stützpunkt zum Einsatzort als Arbeitszeit an. Die Rückfahrt am Ende des Tages zählt er nicht dazu.
Die Gewerkschaft Stas-IV sieht das anders. Aus ihrer Sicht folgt auch die Rückfahrt den Vorgaben des Arbeitgebers. Die Beschäftigten können in dieser Zeit nicht frei über ihre Zeit verfügen. Deshalb soll diese Rückfahrt nach Ansicht der Gewerkschaft als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie gelten.
Das spanische Gericht hat den Fall dem EuGH vorgelegt.
Die EU-Richterinnen und -richter urteilten, dass die Hin- und Rückfahrten der Arbeitnehmer zwischen Stützpunkt und Einsatzort insgesamt als Arbeitszeit zu werten sind. Der EuGH betont, dass der Begriff der "Arbeitszeit" nach Art. 2 Nr. 1 der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88 als diejenige Zeitspanne gelte, während der Arbeitnehmer arbeite, dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe und seine Tätigkeit ausübe oder Aufgaben wahrnehme. Von den Regelungen des Art. 2 der Richtlinie dürfen Arbeitgeber nicht abweichen.
Entscheidend sind also drei Punkte: Er muss zur Verfügung stehen, Tätigkeiten ausüben und tatsächlich arbeiten. Im Fall Vaersa bestimmt der Arbeitgeber alle wichtigen Vorgaben sehr genau. Er legt fest, wie die Hin- und Rückfahrt der Arbeitnehmer abläuft, welches Transportmittel sie nutzen, von wo aus sie starten, wo sie ankommen und zu welchen Uhrzeiten das alles passieren soll. Unter diesen Bedingungen gehören laut Urteil die Fahrten untrennbar zur Rolle der Beschäftigten als Arbeitnehmer und zählen damit als Teil ihrer Tätigkeit. Da die Beschäftigten auf diesen Fahrten nicht frei über ihre Zeit verfügen können und ihre eigenen Interessen zurückstellen müssen, sehen die Richter auch das zweite Kriterium erfüllt: Sie stehen dem Arbeitgeber zur Verfügung.
Zum dritten Kriterium – dass der Arbeitnehmer in dieser Zeit auch arbeitet – hatte der EuGH schon früher entschieden: Wenn ein Arbeitnehmer keinen festen Arbeitsort hat und seine Aufgaben auf der Fahrt zu einem Kunden oder von dort zurück erledigt, gilt auch diese Fahrzeit als Arbeitszeit (Az. C-266/14). Die Fahrten gehören dann untrennbar zum Berufsbild eines Arbeitnehmers ohne festen oder gewöhnlichen Arbeitsort. Der Arbeitsort solcher Beschäftigter beschränkt sich nicht nur auf die Stellen beim Kunden, an denen sie körperlich arbeiten.
Daraus folgt: Die Vaersa-Mitarbeiter haben während der Fahrten vom Stützpunkt zur jeweiligen Arbeitsstelle und zurück keinen festen Arbeitsort. Sie müssen sich zu wechselnden Einsatzorten bewegen, um ihre vertraglich vereinbarten Aufgaben zu erfüllen. Deshalb gehen die Europa-Richter davon aus, dass sie in dieser Zeit ihre Tätigkeit ausüben oder Aufgaben wahrnehmen – und die Fahrten insgesamt als Arbeitszeit zu werten sind.
Die EuGH-Grundsatzentscheidung hat aus Sicht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) weitreichende Folgen für die betriebliche Praxis, das sie sich mittelbar auch auf das deutsche Recht auswirkt. In vergleichbaren Fällen würden hiesige Arbeitsgerichte ebenfalls zu dem Schluss kommen (müssen), dass die Reisezeit von Arbeitnehmern ohne festen Arbeitsort arbeitsschutzrechtlich als Arbeitszeit zu werten ist, so die Experten.
"Arbeitgeber sind daher gut beraten, in vergleichbaren Konstellationen die Reisezeiten solcher Arbeitnehmer bei der Berechnung sowohl der Höchstarbeitszeiten als auch der täglichen Ruhezeit zu berücksichtigen. Gleiches gilt mit Blick auf die nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz beschränkten Einsatzzeiten von Auszubildenden." Unverändert bleibe es jedoch dabei, dass die Fahrt von Wohnort zum Sammelplatz als sogenannte Wegezeit weiterhin nicht als Arbeitszeit zähle, ebenso wenig wie Pausenzeiten.
"Die neue EuGH-Rechtsprechung schränkt die Flexibilität des Personaleinsatzes vor allem in den Bau- und Ausbaugewerken erheblich ein, da mit der rechtlichen Einstufung der Reise- zeit von Arbeitnehmern ohne festen Arbeitsort als Arbeitszeit im arbeitszeitschutzrechtlichen Sinne im Ergebnis weniger produktives Arbeitszeitvolumen zur Verfügung stehen dürfte", so der Handwerksverband.
Zu beachten sei aber, dass das EuGH-Urteil ausschließlich die arbeitsschutzrechtliche Bewertung der Reisezeit betreffe, nicht aber die vergütungsrechtliche Seite, betont der ZDH. Letztere bestimme sich weiterhin nach den jeweils vereinbarten (tarifvertraglichen) Vergütungsregelungen im Einzelfall. "Soweit bisher für die hier in Rede stehenden Reisezeiten keine Vergütung gezahlt wird, ist dies auch weiterhin möglich, aber nur, soweit unter Hinzurechnung der Reisezeiten als Arbeitszeit die gewährte Vergütung den jeweils verbindlich geschuldeten tarifvertraglichen bzw. gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreitet."
Außerdem dürfte nach Ansicht des ZDH das EuGH-Urteil keine Auswirkungen haben auf Reisezeiten von Arbeitnehmern mit festem Arbeitsplatz, die sich nur gelegentlich auf Dienstreise begeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfte es in diesen Fällen auch künftig dabei bleiben, dass beispielsweise Reisezeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln grundsätzlich nicht als Arbeitszeit gelten, sofern der Arbeitnehmer während dieser Zeit keine dienstlichen Tätigkeiten zu erbringen hat. Absolviere dieser Arbeitnehmer die Reisezeit dagegen als Fahrer eines Pkws, gelte dies – wie bisher – als Arbeitszeit, da die Fahrzeugführung als eine belastende Tätigkeit betrachtet werde.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 9. Oktober 2025, Az. C-110/24
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