Verfassungsbeschwerden gegen Soka-Gesetz scheitern
Das Bundesverfassungsgericht hat die Klagen gegen das Sozialkassen-Gesetz des Baugewerbes (SokaSiG) nicht zur Entscheidung angenommen. Die Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft begrüßen dies.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Heftige Proteste gegen Soka-Bau-Abgabe
Mehrere Unternehmen hatten gegen das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie bleiben ohne Erfolg, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 11. August.
Der Fall
Das SokaSiG ordnet die branchenweite Geltung der Bau-Tarifverträge seit 2006 verbindlich an. Die den Sozialkassensystemen zugrunde liegenden tariflichen Regelungen werden normalerweise auf Antrag durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich erklärt und gelten damit auch für nicht tarifgebundene Unternehmen. Nachdem das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen für die Jahre 2008 bis 2014 für unwirksam erklärt hatte, erließ der Gesetzgeber das SokaSiG.
Die Betreiber der Verfassungsbeschwerden sahen darin eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Sie machten geltend, dass die Regelungen des SokaSiG die Grundrechte auf unternehmerische Freiheit aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG, die Koalitionsfreiheit sowie das Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzten. Das Gesetz entfalte eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung.
Die Entscheidung
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Das SokaSiG verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, entschieden die Richter.
Zwar seien Normen mit echter Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Das SokaSiG ordnet eine solche echte Rückwirkung an, weil es Arbeitgeber, die nicht kraft Verbandsmitgliedschaft tarifgebunden sind, mit Beitragspflichten für zurückliegende Zeiträume belastet.
Die Rückwirkung sei hier aber ausnahmsweise verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Den Allgemeinverbindlicherklärungen, die das Gesetz ersetzt, kam vor den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts der Rechtsschein der Wirksamkeit zu. Dieser wirkt nicht nur zugunsten derjenigen, die eine Norm bindet, sondern hier auch zu ihren Lasten. Auch eine ungewisse, sich später als richtig herausstellende Ansicht, eine Norm sei ungültig, entbindet nicht davon, zu berücksichtigen, dass die angewandte Norm weiterhin gültig sein kann. Daher konnten die Betroffenen nicht darauf vertrauen, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen unwirksam sind und sie keine Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes leisten müssten.
Rückwirkende Gesetzgebung ist verhältnismäßig
Der Gesetzgeber konnte folglich rückwirkend eine "Reparaturgesetzgebung" in Kraft setzen, deren Belastungen dem entsprechen, was nach Maßgabe des korrigierten Rechts ohnehin als geltend unterstellt werden musste. Den Grundrechtsberechtigten wird damit durch die Rückwirkung nichts zugemutet, womit sie nicht ohnehin schon zu rechnen hatten. Die Verfassungsbeschwerden hätten nicht aufgezeigt, dass mit dem angegriffenen Gesetz neue und eigenständige Belastungen einhergingen.
Das Gesetz verstößt nach Ansicht der Richter auch nicht gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere bestehen keine verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber von der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des Sozialkassensicherungsgesetzes ausgegangen ist. Ihm komme dazu ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu, der hier nicht überschritten wurde.
Koalitionsfreiheit und Gleichheit nicht verletzt
Auch soweit die Beschwerdeführenden die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz) sowie ihr Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG als verletzt ansehen, hatten sie keinen Erfolg. Die Geltung des SokaSiG nur für die Baubranche erkläre sich schon daraus, dass nur die Allgemeinverbindlichkeit dieser tarifvertraglichen Regelungen für unwirksam erklärt worden war, so das Gericht. Zwischenzeitlich habe der Gesetzgeber die Allgemeinverbindlichkeit im Übrigen auch für die anderen Branchen mit dem Gesetz zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren vom 1. September 2017 ("SokaSiG II") geregelt.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. August 2020, Az. 1 BvR 2654/17
Tarifparteien begrüßen Entscheidung
Die drei Tarifvertragsparteien des Baugewerbes – der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, die IG Bauen-Agrar-Umwelt und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, begrüßen die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden gegen das SokaSiG durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich.
"Die Entscheidung trägt zum Erhalt der für die Branche wichtigen Sozialkassensysteme der Bauwirtschaft, welche das Urlaubsverfahren, die zusätzliche Altersversorgung sowie die Finanzierung der Berufsausbildung in der Bauwirtschaft unter dem Dach von Soka-Bau vereinen, bei", erklärten sie in einer Pressemitteilung. Mit dieser Entscheidung sei der Streit um die Wirksamkeit des SokaSiG zugunsten der bewährten Sozialkassensysteme der Bauwirtschaft beendet. Auch nicht tarifgebundene Unternehmen unterliegen damit den Sozialkassensystemen. Damit würden letztlich Wettbewerbsverzerrungen verhindert und fairere Arbeitsbedingungen geschaffen, betonen die Tarifvertragsparteien.
Was ist die Soka-Bau?
Die Soka-Bau ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifparteien der Bauwirtschaft: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Aufgaben der Soka-Bau sind die Finanzierung von Urlaubsgeldern, die Bezuschussung der Berufsausbildung, betriebliche Altersvorsorge und die Kontrolle der Mindestlöhne. Grundlage der Beitragspflicht ist der Tarifvertrag des Baugewerbes, der auf Antrag der Tarifpartner vom Bundesarbeitsministerium jedes Jahr neu für allgemeinverbindlich erklärt wird. Dadurch gelten die Tarifverträge auch für alle anderen Arbeitgeber der Branche. Sie sind verpflichtet, die tariflichen Arbeitsbedingungen einzuhalten und Beiträge an die Sozialkassen zu leisten. Der Beitragssatz liegt je nach Bundesland derzeit zwischen 18,9 und 25,75 Prozent der Bruttolohnsumme,
Was ist das SokaSiG?
Das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren (SokaSiG) trat am 25. Mai 2017 in Kraft. Das umstrittene Gesetz schafft eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Bau-Sozialkassenverfahren (Soka-Bau) und erklärt die Sozialkassen-Tarifverträge von 2006 bis 2015 für alle Unternehmen und Beschäftigten der Bauwirtschaft für verbindlich. Das SokaSiG blieb bei Juristen nicht ohne Kritik. Viele stellten die Frage nach seiner Verfassungsmäßigkeit, denn es regelt einen Einzelfall und gilt rückwirkend.
In > unserem Themenspecial zur Soka-Bau finden Sie alle wichtigen Informationen
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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